laut.de-Kritik
Lampshade lassen die Bäume fliegen.
Review von Benjamin FuchsDas Publikum lauscht vom ersten Moment an gebannt den Tönen von "Come Closer", dem ersten Song, den Lampshade an diesem Abend spielen. Der Titel ist wie eine Aufforderung an die überschaubare Menge von Konzertgästen, die sich recht lose in der vorderen Hälfte des Kölner Gebäude 9 verteilen. Erst als der letzte Ton verklingt, wagen sie es, zu applaudieren. So intensiv gestaltet sich die Atmosphäre in der alten Fabrikhalle. Dann die faustdicke Überraschung: Mit einem "Thank you for coming, see you around", verabschiedet sich das dänisch-schwedische Sextett. Verblüffte Gesichter wohin der Blick schweift. Keiner kann so richtig glauben, dass die Musiker das 45 Minuten später begonnene Konzert nach wenigen Augenblicken wieder abpfeifen.
Stimmt. Etwa fünf 360-Grad-Drehungen des Sekundenzeigers später kehren alle zurück, adrett gekleidet - wie auf dem Cover des aktuellen Albums "Let's Away". Sofort legen sie los und arbeiten daran, die Stimmung weiter zu intensivieren. Ohne viele Worte zieht Rebekkamaria Andersson - die in ihrem engen weißen Kleid samt Kniestrümpfen aussieht wie eine Puppe - mit ihrer Band durch ein Programm aus beiden bisherigen Alben. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf dem zauberhaften Debüt "Because Trees Can Fly". "Clean" mündet in ein Gewitter aus hochtönenden Gitarren und wuchtigen Bassschlägen. Es klingt noch dicker als auf Platte. Der Sound drückt und katapultiert die Zuschauer in Glückszustände, die sich jedoch eher nach innen entladen: Bassist Johannes Dybkaer Andersson versucht immer wieder, zum Tanzen zu motivieren, was nur zum Teil erfolgsgekrönt endet. Für die meisten im Publikum machen Lampshade Musik zum andächtigen Zuhören. Andersson selbst gibt derweil in seinen schicken, weißen Herrenschuhen die Rocksau.
Multiinstrumental sind fast alle Musiker unterwegs. Frontfrau Rebekkamaria wechselt zwischen Gesang, E-Piano und der guten alten Melodica, während Gitarrist Erik Nylèn seinem Sechssaiter in bester Sigur Rós-Manier mit dem Geigenbogen Töne entlockt, um anschließend in die schallgedämpfte Trompete zu blasen. Der zierliche und ultrablonde Neuzugang Rebecka Wållgren schwebt ohnehin in ihrer eigenen Welt umher, sie scheint ihre Umgebung gar nicht erst wahrzunehmen. Würde Ihr weißes Kleid ein wenig mehr wehen, könnte man sie glatt für einen Geist halten. Leichthändig wechselt sie zwischen Geige, Keyboard, Glockenspiel und Backgroundgesang. Berührt sie beim Gehen überhaupt den Boden?
Frenetisch bejubelt kehren die Skandinavier noch zweimal auf die Bühne zurück und geben alles. Vor der zweiten Zugabe kündigt Bassist Johannes an, einfach noch einmal von vorn zu beginnen. Vermutlich haben die wenigsten etwas dagegen, den Wiedereintritt in die Realität noch eine Weile hinauszuzögern.