laut.de-Kritik
Furios in Berlin: Die Bauern ernten Applaus.
Review von Oliver LambrechtLos Campesinos heißt übersetzt: die Bauern. Dies lässt sich heutzutage jeder zweiten Rezension zum unlängst veröffentlichen Debüt der Twee-Popper aus Wales entnehmen. Aber nicht erst seit "Bauer sucht Frau" wissen wir, dass es mehr gibt als nur Felder zu bestellen oder zu ackern. Doch während die einen schon früh am Morgen an der frischen Luft ihr Tagwerk verrichten, erntet das Septett erst am Abend den Beifall des Publikums in stickigen Clubs.
Nachdem im Vorfeld zu "Hold On Now Youngster" die Musiker bereits in Berlin auftraten, steuert der Tourbus dieses Mal das Lido in Kreuzberg an. Aber bevor das Manifest der International Tweexcore Underground-Genossenschaft aus den Boxen schallt, erhält zuerst Jetset "aus Ösiland" die Gelegenheit sich der noch überschaubaren Anzahl Anwesender vorzustellen. In der Vergangenheit eröffnete das Quartett bereits für Blumfeld (angesichts des Namens durchaus naheliegend) und weiß sich nunmehr unter der Obhut von Popakademie-Coaches.
Stilecht in engen Jeans und langen Haaren spielt der "Special Guest" Musik für Menschen in engen Jeans und langen Haaren, die sich zwischen den Polen Gallagher und Kilmister wohl fühlen. Da fällt der Unterschied zwischen Liebes- und Rockphase, so die grobe Set-Einteilung der Band, schon einmal unter den Tisch. Für eine gefällige Show reicht es allemal, doch die Besucher lassen die Wahl-Berliner aus Österreich durchaus das harte Los von Vorgruppen spüren.
Während sich manche Raucher noch draußen im Zelt an ihr Lungenbrot kuscheln, stürmen Los Campesinos! nach kurzer Umbaupause erwartungsgemäß euphorisch die Bühne. Die Jungspunde zählen ein schräges "Eins, zwei, drei, vier" ein und legen mit "Broken Heartbeats Sound Like Breakbeats" furios los. Es dauert jedoch ein paar Minuten bis der Raum angenehm gefüllt und ein erster Funke bis nach hinten an die Bar übergesprungen ist. Aber zum anschließenden "Don't Tell Me To Do The Math(s)" sind alle an ihren Plätzen.
Rotschopf Aleks steht links am Keyboard, ihr gegenüber springt Gareth mit Mikro und am Glockenspiel herum während dazwischen Ellen den Bass reitet. Ganz rechts geigt Herriet und daneben bearbeiten Gitarristen Tom und Neil ihre Instrumente. Mittig und wie üblich mit nacktem Oberkörper sitzt Ollie am Schlagzeug und mit einem kleinen Respektsabstand blickt das durchmischte Publikum hinauf zur Bühne.
Auf das treibende "Death To Los Campesinos!" folgt das nicht minder verspielte "This Is How You Spell 'Hahaha, We Destroyed The Hopes And Dreams Of A Generation Of Faux-Romantics'", während im Saal erste Tanzbewegungen auszumachen sind.
Zwischen den Liedern geben sich die Wahl-Waliser erstaunlich wortkarg. Hier und da streuen sie mal ein "Thank you" ein, aber sonst tauschen sie Plätze, Instrumente oder stimmen diese nur etwas nach. Gut 3/4 des erhältlichen Liedgutes geben die Indiepopper zum besten. Ob nun Haldern, Paris oder Berlin, die Auswahl und Reihenfolge bleibt stets die gleiche. Bevor Los Campesinos! die Textsicherheit der Zuschauer bei ihrem Hit-Song "The International Tweexcore Underground" herausfordern, beschließen sie mit "Drop It Does" den ersten Block der Debütplatte.
Auf das flott-langsam-groß Wechselbad "Knee Deep At ATP" folgt das Kurzwerk "My Year In Lists", ehe die Sieben das gelungene "Frontwards"-Cover von Pavement zum Besten geben. Danach folgen das augenzwinkernd-pathetische "We Are All Accelerated Readers" und "... And We Exhale And Roll Our Eyes In Unison", ehe "You! Me! Dancing!" den zweiten polyphonen Höhepunkt des Abends markiert. In euphorischen Höhen berauschen anschließend "We Throw Parties You Throw Knives" und "Sweet Dreams, Sweet Cheeks" bevor die Musiker die Bühne nach knapp 80 Minuten verlassen.
Den für Berliner Verhältnisse stürmischen Applaus honorieren Los Campesinos! im Anschluss mit ihrem Hidden Track "2007, The Year Punk Broke (My Heart)" als Zugabe. Doch danach verstummt die Livemusik und der durchweg gute Mischer muss zur Konserve greifen.
Mit Blick auf den Casting-Wahn steht zwar zu befürchten, dass auch weiterhin die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln ernten, aber vielleicht gilt das in Kürze auch für die charmante Sorte. Los Campesinos! zieht es nun erstmal in die USA und in die britische Heimat, doch das Feld in Deutschland scheint bereitet.