laut.de-Kritik
Diese Charts-Typen spielen "Highway To Hell"? Und wie!
Review von Michael SchuhDie eine Seite von Maroon 5: BRAVO-Coverstories, massenkompatible Schmusehits wie "She Will Be Loved", Travoltas Ehefrau als Video-Darstellerin. Die andere Seite: eine über Jahre zusammen gewachsene Band, die so gar nicht ins Image der aus dem Hut gezauberten Chartsstürmer-Superband passen will, als die Maroon 5 momentan für Furore sorgt. Dementsprechend gemischt das Münchner Publikum: junge Schüler, Oberstüfler, Studenten, Diplomierte, frisch Verliebte, frisch Verlassene, Hemdträger und Kuttenträger. Zugegeben, letztere eindeutig in der Unterzahl und nahe am Bierstand postiert, wo zum Abrocken erwiesenermaßen auch am meisten Platz war.
Doch Maroon 5 sind mittlerweile eben eine Band, und daran erinnerte in besonders schöner Form der vorm Eingang aufgestellte Tisch mit ca. hundert konfiszierten Film- und Tonaufnahmegeräten, für die 15-jährige Mädchen ihre Schulstunden schwänzen, um rechtzeitig vorm Band-Hotel zu stehen. Was zwar selbstverständlich nichts über die Qualität einer Band aussagt, den standhaften Alternative Rocker aber zumindest die Nase rümpfen lässt. Um Missverständnissen vorzubeugen hat sich Keyboarder Jesse Carmichael schon mal einen schicken Vollbart stehen lassen und auch Basser Mickey Madden ist auf dem besten Weg dahin. So richtig scheint sich auch Sänger Adam Levine noch nicht an die frische Teenie-Star-Rolle gewöhnt zu haben. Sein Auftritt im legeren Sakko überm Langarmshirt kurz nach Erlischen des Hallenlichts verursacht einen Aufschrei wie in der Arena bei Robbie Williams. Zwar regnet es keine Teddybären, immerhin aber empfangen ihn süße Plakate mit Botschaften wie "We are Americans, talk 2 us". Doch Levine beherrscht sich, bedankt sich zwar stets artig, schaut ansonsten aber lieber in die Ferne und taucht in seine Musik ab.
Was keiner großen Übung bedarf: Der Fünfer lässt gleich zu Beginn eine beeindruckende Soundwand knallen. Ohne Allüren, dafür mit reichlich Rocker-Posen versuchen Maroon 5 in den folgenden rund 90 Minuten gegen den ohrenbetäubenden Jubel anzukommen, selbst die Bühnenausstattung ist mit einem Vorhang, den das Band-"M" ziert, erfrischend unspektakulär gehalten. Folgerichtig haben es die Pop-Darlings auch nicht nötig, ihre Hits für den Zugabenteil aufzuheben: "She Will Be Loved" und "This Love" finden in der ersten Konzerthälfte statt, und selbst den letztgenannten, eigentlich satt gehörten Song, performen Maroon 5 mit einer Intensität, der einen keine Sekunde an Getränke-Nachschub denken lässt. Beim Refrain von "She Will Be Loved" hebt sich erwartungsgemäß die Hallendecke, und testet die Stimmbänder der Fans für weitere Mitgröhl-Nummern wie "Sunday Morning". Ein neuer Song kommt ebenfalls zum Einsatz und beweist schon beim ersten Hören das ungeheure Hit-Potenzial der Band. Was in der aktuellen Star-Euphorie jedoch etwas zu kurz kommt, ist das gnadenlose Gespür der Truppe für den Groove, das live noch deutlicher zu Tage tritt. Die auf Platte noch bis ins letzte Eck sauber produzierten Soul-Rocker "Shiver" und "Harder To Breathe" kommen live rauh und dreckig rüber, in "Not Coming Home" glühen die Wah-Wahs und bei Brechern wie "Through With You" muss man es Basser Madden gleichtun und den Nacken leiden lassen.
Eine Leidenschaft, wie man sie im Zusammenspiel auch bei der L.A.-Combo Mother Tongue antrifft, blitzt vor allem in verlängerten Songpassagen oder in dreiminütigen (!) Jamsessions durch, die Sänger Levine dazu nutzt, eigene Lieblingssongs kurz anzustimmen. Während die stimmungsträchtige Hookline der Stones-Nummer "Miss You" auf breite Anerkennung stößt, steht der Großteil des Publikums eher ratlos vor der zähen Beatles-Strophe von "(I Want You) She's So Heavy". Doch Maroon 5 wissen zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sich spätestens beim letzten Song wieder alle lieb haben. Überraschend begrüßt Levine den seit Monaten mit Schulterproblemen laborierenden Stamm-Drummer Ryan Dusick auf der Bühne, der den Europa-Höhenflug seiner Band scheinbar keinesfalls nur aus der Zeitung mitkriegen will.
Dusicks Ersatzmann verlässt daraufhin kurzerhand die Schießbude für Sänger Levine, während Drummer Dusick, mit Gitarre und Krächzorgan bewaffnet, Angus Youngs Killer-Riffs von "Highway To Hell" durch die Boxen jagt. Die Kinderchöre von "She Will Be Loved" weichen nun einem tausendkehligen Rock-Karaoke erster Kajüte, selbst der Lichtmann vergisst sich und scheint alle Spot-Tasten gleichzeitig zu drücken. Richtig so, denn dies war nur der Schlusspunkt unter das Konzert einer Band, die weit mehr kann, als mit zielgenauen Hitrefrains die Charts aufzumischen.
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