Details

Mit:
Datum: 13. Dezember 2006
Location: Zenith
Lilienthalallee 29
80939 München
Website: Offizielle Homepage des Veranstaltungsorts
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Beschimpfungen, Pathos, Hits: Der Meister in Hochform.

Review von Michael Schuh

Morrissey-Fan zu sein ist ein Drama in unzähligen Akten. Genau so soll es sein, so will es der Meister und so will es der Fan. "It's opera, always was", wird er uns später nochmal einhämmern. Logisch. Und wer nur wegen ihm tausende Kilometer nach Benicassim reist, sollte im Vorfeld doch bitteschön zumindest die Worte "Konzert" und "abgesagt" auf spanisch auswendig lernen. Ist ein bisschen Vorbereitung auf das große Ganze denn zu viel verlangt? Ließ er uns nicht jahrelang darben, während er sich in Kalifornien abschottete, inne hielt, verschnaufte, zurück kehrte, gefeiert wurde? Na also. Er für uns, wir für ihn.

Im Frühjahr in Amsterdam durfte ich erstmals Teil der ihm zu Ehren versammelten Jugendbewegung sein, Jugend natürlich im übertragenen Sinn, und die Zeit der Entbehrung fand endlich ein uneingeschränkt versöhnliches Ende. Was schauderhaft kitschig und hochgradig pathetisch klingt, wissen all jene zu schätzen, die den Mann in den letzten zwei Jahren live erleben durften, zum Beispiel gestern Abend in München. Mozalini gibt alles, sogar in solch schauderhaften Industriehallen wie dem Zenith.

Die Fahrt von Konstanz nach München ist lang, aber da die arty Vorband Kristeen Young laut Kollege Henze eh "unanhörbar" ist, lässt man sich Zeit und findet zur Strafe nicht auf Anhieb den Konzertort, während ein bereits dort ausharrender Kollege am Handy etwas von nur etwa tausend Anwesenden stammelt. Beim zweiten Anruf läuft im Hintergrund bereits der Morrissey-Opener "Panic" und die bricht im Auto dann auch aus, nur eben in den Straßen von München, und gemeinsam mit den Cholerikern Möller und Dobler. Das Leben, fürwahr, ist ein Saustall. Nach weiteren zehn Minuten unnötig vergeudeter Lebenszeit erreichen wir unser Ziel, "You Have Killed Me" schallt es uns entgegen, was ja eigentlich auf Gegenseitigkeit beruht. Etwas mehr als 1000 Besucher sinds dann doch geworden, 2000 vielleicht, insgesamt aber verdammt wenig für einen wieder erfolgstrunkenen Pop-Poeten, dessen Bühne derzeit eben nur in 5-6000er Hallen passt. Macht ja nix, hängt man halt die halbe Halle mit Vorhängen ab, wie seinerzeit schon bei Beck im Colosseum.

Wer sich im Vorfeld noch über Mondeintrittspreise von 40 Euro aufregte, erfährt nicht sofort, wo sein Geld hinwandert. Die Bühne ist mit einem großen Leinwand-Foto - diesmal Morrissey-Idol Pasolini - einer überdimensionalen Pauke und einem Gong verhältnismäßig dezent ausgefallen. Sobald der Indie-Altstar aber zu singen beginnt, gelten die gemeinen Kritikgesetze des Marktes plötzlich nicht mehr. Seine fünfköpfige Band perfekt eingespielt und die Riesenbühne gerade groß genug für den geübten Mikrofonkabelwerfer, spielt Morrissey seine Trumpfkombination aus: Stimme plus Charisma. Gelbes Hemd und beige-melierte Krawatte auf brauner Stoffhose, die Rockabilly-Tolle noch immer in Schuss, steht hier einer der bedeutendsten britischen Songwriter vor uns, dessen Repertoire mittlerweile so reichhaltig ist, dass selbst er nicht so recht die eigenen Glanzleistungen findet.

Auch in München bleibt er seiner Eigenart treu, das Set mit obskuren Single-B-Seiten zu bestücken, was beim kräftigen "Ganglord" noch voll in Ordnung geht, statt "Disappointed" oder "I've Changed My Plea To Guilty" hätte man aber sicher gerne, sagen wir, "November Spawned A Monster" oder gleich "Bigmouth Strikes Again" gehört. Der Fan, der sich heutzutage über eine Morrissey-Setlist aufregt, kann allerdings nur ein beinharter Smiths-Maniac sein, denn nostalgische Momente sind durchaus erlaubt. "William, It Was Really Nothing" sorgt nach "Panic" ein zweites Mal für leuchtende Augen, bevor mit "Girlfriend In A Coma" und der frühen Solosingle "Everyday Is Like Sunday" reihenweise Herzen gebrochen werden. Bei den 80er Sachen zeigt sich allerdings besonders schön, wie druckvoll Morrisseys aktuelle Kompositionen ausfallen. Ein wenig schwachbrüstig klingen die alten Smiths-Sachen (gewaltige Ausnahme: "How Soon Is Now"), wie aus einer längst vergangenen Zeit eben, die scheinbar nur des Sängers Stimme nichts anhaben konnte.

So erleben wir 2006 nicht etwa die Niederkunft eines gealterten Stars, der seine frühen Hits aufwärmt, sondern den Interpreten aktueller Lieblingssongs wie dem frenetisch bejubelten "Irish Blood, English Heart", der auch vor krachendem Pathos-Rock ("I Will See You In Far-off Places") nicht zurück schreckt. Die anfängliche Befürchtung, das zahlenmäßig ausbaufähige Publikumsinteresse in München könnte den launischen Maestro zu einer halbherzigen Darbietung verleiten, erfüllte sich nicht. Nur das Rolling Stone-Magazin, das dem aktuellen Morrissey-Album "Ringleader Of The Tormentors" nur dreieinhalb von fünf möglichen Sternen als Bewertung zuerkannte, muss für diese Verfehlung natürlich öffentlich leiden: "Three and a half stars! Not five, not four and a half, not even four! We're not good enough! You silly silly boy", drohte Mozzer mit erhobener Hand ins dunkle Auditorium.

Auch das erprobte Showelement längst vergangener Tage, die Entledigung seines Oberhemdes, ist dem 47-Jährigen Sänger heute noch lieb. In München ist es bei "Let Me Kiss You" soweit, nachdem er uns noch einmal ausufernd über seine Unfähigkeit zur zwischenmenschlichen Liebe aufklärte, die er aber gleichzeitig noch immer zu erlangen hofft. Falls es trotzdem nicht mehr klappt, ists freilich auch nicht schlimm, "because I have my little songs". Mit dem anschließenden "The National Front Disco" (1992) hatten sicher auch die allerwenigsten gerechnet, so dass Morrissey munter weiter scherzt: "This is a song by Diana Ross & The Supremes."

Nach dem Abschlusssong "Life Is A Pigsty", eines der erhebensten aktuellen Stücke, kehrt er zu zwei Zugaben zurück, die in aller Regel nochmal einen Smiths-Song enthalten. War es in Amsterdam noch "Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me" ist es heute das gleichsam tragisch-fesselnde "Please, Please, Please Let Me Get What I Want", das die Münchner, mittlerweile schon etwas lauter als zu Beginn, zu regelrechten Jubelstürmen hinreißt. "Don't Make Fun Of Daddy's Voice" beendet anschließend einen Abend, den zu erleben man sich in Deutschland noch bis vor drei Monaten nicht erträumt hatte. Gelernt haben wir mal wieder einiges: Geld ist unwichtig, Hallen zweckgebunden, das Musikredakteursleben mitunter gefährlich. Gegen 22.30 Uhr verlassen knapp 2000 Menschen einträchtig das Zenith, Fans und frisch Bekehrte.

Fotogalerie: Mehr Livebilder seines Düsseldorf-Auftritts findet ihr hier.

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Artistinfo

LAUT.DE-PORTRÄT Morrissey

Zölibatärer Dandy, aufrichtiger Zyniker, vielbewunderter Außenseiter - ambivalente Facetten der außerordentlichen Künstlerpersönlichkeit Morrissey, …