Details

Mit:
Datum: 29. November 2006
Location: Sporthalle
Böblingen
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Wie Adventsplätzchen: süß, klebrig und Glückshormone ohne Ende.

Review von Katja Scherle

Ach, Muse. Mit der nächsten Single-Auskopplung "Knights Of Cydonia" und Sternchen auf der Videoleinwand beginnen sie. Fast schon weihnachtlich wird es da ums Herz. Und vielleicht ist es auch das, womit sich Muse am besten beschreiben lassen: Konzerte wie Adventsplätzchen - süß, klebrig, überladen. Aber einmal im Jahr damit vollgefuttert, sind sie eine Köstlichkeit. Knapp 4000 Fans, ein heterogenes Publikum, Mitte 20 und meistens indie. Aber auch ältere sind gekommen, um Chris Wolstenholme, Dominic Howard und Matthew Bellamy zu sehen.

In der eher breiten als langen Halle kann das dann fast jeder ausnehmend gut. Selbstverständlich hat die Band nicht nur sich selbst, sondern auch eine wahnwitzige Lichtshow mitgebracht. Die Spiralröhren von den sommerlichen Festivalauftritten sind verschwunden, stattdessen gibt es eine Anzeigetafel wie im Football-Stadion und ein ebenfalls mit einer solchen Tafel ummanteltes Podest, auf dem Dom Howard an seinem transparenten Schlagzeug Platz nimmt.

Ein gewaltiger Zwiespalt zwischen zwanghaftem Moshen und staunender Lähmung erfasst bald den Zuschauer: so viel Musik, so viel Licht. "Give me your heart and your soul" fordert Bellamy im zweiten Song "Hysteria". Und da fliegen sie endgültig in Richtung Bühne, die Herzen und Seelen. Er schickt dafür ein deutsches "Vielen Dank" zurück.

Und dann lächelt er sogar. Anfangs sieht sie noch leicht süffisant aus, die Mundbewegung des Leaders der Band, die für ihre wortlose, aber doch irgendwie herzliche Arroganz bekannt ist. Dann scheint er sich tatsächlich immer öfter ehrlich zu freuen. Als schließlich, wie bereits bei ihrer 2002er "Hullabaloo"-Tour, riesige Luftballons gefüllt mit glitzernden Papierfetzen ins Publikum wandern, entsteht fast etwas, das man Interaktion nennen könnte: "Ihr müsst zuerst alle Ballons platzen lassen, bevor wir weiterspielen."

Nachdem aller Glitzer verteilt ist, wird sich wieder der Musik gewidmet. Die ist, wie von Muse gewohnt, beinahe perfekt abgemischt. Nur bei Songs wie "New Born" hallen die Piano-Klänge etwas schrill durch die Arena. Soli werden ebenso geboten, manchmal wie von CD ("Stockholm Syndrome"), öfters aber mit den üblichen Bellamy'schen Oktave- und Rückkopplungs-Eskapaden. "Hoodoo", eine Piano-Ballade im Muse-Bombast, bekommt statt Streichern Gitarrenunterlegung – gespielt von Bassist Wolstenholme. Spannung bringt der Opener des aktuellen Albums "Take A Bow": Auf CD wird er eingeleitet von einer Passage Techno, die viele Fans beim ersten Hören irritierte. Dominic Howard sorgt dafür, dass das auch auf der Bühne so klingt.

Aufgestanden von seinen Drums holt er die technischen Rhythmen aus der hinter ihm thronenden Anlage. Bellamy geht zum Mikroständer und nutzt die Zeit bis zum Einsatz, seinen linken Arm samt erhobenem Finger martialisch in die Luft zu strecken. 4000 linke Arme werden ebenfalls in die Hallenluft gestreckt - trotz einiger Uneinigkeiten, ob nun der Mittel- oder Zeigefinger zu erheben sei.

Wie selbstverständlich klatschen alle mit, ohne von klackernden Drumsticks dazu aufgefordert zu werden. Wie selbstverständlich produzieren 4000 Stimmbänder ein so beinahe unerträgliches wie heimeliges Kollektivgekreische. So entspinnt sich himmlischer Teufelskreis: Die Band wird gepusht und beim Discoklassiker "Time Is Running Out" dürfen die 4000 Münder sogar die Bridge selbst intonieren. Die Belohnung für die drei Herren kommt prompt in erdbodenstrapazierendem Gehüpfe. Der Radiohit "Starlight" lässt schließlich auch die letzten unberührbaren Jungens auf der Tribüne die Luftgitarren auspacken.

Gibt es überhaupt was zu kritisieren? Vielleicht fangen Muse an, ihre Anfänge zu vergessen. So wird die erste Zugabe "Muscle Museum" angekündigt mit: "Das ist jetzt ein Lied von unserem ersten Album". Muss man so was erklären? Anscheinend schon, denn in der Tat dünnt sich die vorherige Massenbewegung beim größten Muse-Klassiker gewaltig aus. Die Briten scheinen nun besonders viele Neu-Fans anzuziehen. Sicher ist das gut. Aber man würde dann doch gern noch einmal "Unintended", "Uno" oder "Sunburn" live kredenzt bekommen. Nach eineinhalb Stunden und fünf Minütchen ist dann auch Schluss. Britisch höflich schließen Muse mit braven Dankes und die lichtshow-getränkte Euphorie endet jäh in den wiederaufflammenden Neonröhren der Halle.

Noch schwindelnd vom Musikrausch in Spielfilmlänge kommt man auch sicher nicht dazu, sich einige doch einige Fragen zu stellen: Ist dieser Farblicht-Flash für die Musik wirklich unabdingbar? Müssen die Nebel-Fontänen zum Schluss dann auch noch sein? Die Antwort lautet: Ja! Denn das macht den Muse-Rausch so erschöpfend. Man kommt neben dem obligatorischen Ohrensausen noch mit einem Disco-Sternchen-Videospiel-Schock heraus – und ist verdammt glücklich.

Artistinfo

LAUT.DE-PORTRÄT Muse

Mit Muse hat die englische Musiklandschaft seit 1999 einen neuen Stern am Himmel. Die drei Jungs aus Devon sind wütend, melancholisch, depressiv und …