Platz 22: Ethel Cain - "Preacher's Daughter"
Ethel Cains Debüt-Album "Preachers Daughter" klingt wie eine Geschichte, die die Zeit vergaß. Wie ein Tagebuch, das man beim Einzug in ein altes Bauernhaus in einer Kleinstadt in South Carolina auf dem Dachboden findet. Die vergilbten und brüchigen Blätter erzählen von dem Schicksal eines Mädchens, das ihrem pastoralen Alltag entkommen wollte, an den amerikanischen Traum glaubte, ihm letzten Endes aber wortwörtlich zum Opfer fiel.
Nicht nur das Cover evoziert dieses Gefühl des Vergangenen, auch Ethel Cains Songwriting, die Sprachbilder, die sie benutzt, transportieren uns mühelos unter die gleißende Sommersonne der Südstaaten. Ein Ort, wo die Uhren etwas langsamer ticken, wo die Männer Schmutz an den Händen tragen und nach billigen Zigaretten riechen, wo die nächste Schrotflinte nie weiter entfernt liegt als die heilige Schrift Gottes. Diesen Americana-Kitsch, die Bilder eines Amerikas, wie Republikaner es sich wünschen, subvertiert sie mit ihrer eigenen Erfahrung als Transfrau, die in einem solchen Umfeld aufwuchs.
Daraus resultiert die fiktive Tragödie der Ethel Cain. Die 24-Jährige, die das komplette Album in Eigenregie aufnahm und produzierte, erzählt in 13 wunderschönen wie herzzerreißenden Balladen von einem Mädchen, für das inmitten dieser Gesellschaft kein Platz zu sein scheint. Von jenen schmutzigen Männerhänden gebrochen und fallen gelassen, treibt es sie gen Westen, geradewegs hinein in den Schlund des amerikanischen Traums, der schnell zu ihrem persönlichen Alptraum mutiert.
Hayden Anhedonia, die Frau hinter dem Alias, bezeichnete das Album als ihre alternative Realität, ein Was-wäre-wenn, hätte sie die Traumata ihrer eigenen Adoleszenz nicht aufgearbeitet. Mit nahezu makelloser Handwerksarbeit erschuf sie einen immersiven musikalischen Exorzismus, der in seiner emanzipierenden Wirkung geradezu abhängig macht. "God loves you, but not enough to save you": Es gab dieses Jahr keine schönere und schmerzhaftere Katharsis.
Kaufen?
Ethel Cain - "Preachers Daughter"*
Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!
1 Kommentar
Bewegende Geschichte hinter der Musik, würde sie aber nur mit ausreichend Anti-Depressiva im Blut hören, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht noch vor dem Ende suizidieren würde...