Metalsplitter: Muss man sich für Metal schämen?
vom 25. Januar 2023
Babymetal haben das Königreich des Metal entdeckt und widmen ihm eine epische Powerballade. Sleep Token reichen dazu das passende Erfrischungsgetränk und besteigen den Hype-Thron. Ghost warnen vor der Ankunft Jesu. Dolly Parton löst ein Versprechen ein und arbeitet an einem Rockalbum. Der harten …
Wenn man alle problematischen Aspekte jeder Szene gleichberechtigt behandelt, kann man damit gerne anfangen. Nicht aber, weil man einfach nur einen Hass-Boner gegen "Lärm-Musik" fährt.
Ich habe selbst schon Black Metal-Konzerte mit meinem Partner (gemischtrassige homosexuelle Beziehung ((sowas ist heutzutage offenbar wieder schrecklich relevant)), und es lief einwandfrei, während man sich dann von irgendwelchen ungewaschenen Teenagern bei Haftbefehl Androhungen von Gewalt antun muss. Ja ja, immer diesen pöhsen, pöhsen Metaller, die nicht vor Aufregung feucht werden, wenn eine Girlgroup K-Pop mit Death Metal mischt. Das ist anscheinend das wirkliche Problem.
Natürlich muss man sich für Metal schämen. Aber gibt es irgendein Genre, bei dem man sich nicht schämt, wenn man die 25 überschritten hat? Ich kenn keines.
"Aber gibt es irgendein Genre, bei dem man sich nicht schämt, wenn man die 25 überschritten hat?"
Ich schäme mich vielleicht dafür, diese und jene Bands mal gemocht zu haben als ich jünger war, weil ichs heute eben anders sehe. Aber (fast) jedes Genre hat großartige Musik hervorgebracht. Warum sollte ich mich denn dafür schämen?
Was ich damit meinte, war: sich mit einem bestimmten Genre komplett zu identifizieren, seine Selbstdefinition auf einem Genre bzw. einer Subkultur aufzubauen, das setzt halt vorraus, dass man sehr viele Widersprüche, Peinlichkeiten und Verabscheuungswürdiges ignoriert. Und das funktionierte halt eher bei jüngeren Menschen, was aber keinesfalls bedeutet, dass ich diese oder mich selbst dafür retrospektiv abwerten oder gar "hassen" würde. Ich bin eher etwas neidisch auf mein jugendliches Selbst, weil das halt noch so schön im tannengrünen Hoodie "Ich bin HipHop, yoyo!" sagen konnte, ohne sich die Mühe zu machen, über kuluturelle Aneignung oder Klassenunterschiede nachzudenken. Sich als erwachsener Mensch machmal für ein Genre, das man mag, zu schämen, halte ich für sehr gesund, es zeugt nämlich von der grundsätzlichen Fähigkeit, kulturlle bzw. soziale Phänomene - und damit sich selbst - im Ansatz differenziert zu betrachten. Und Jazz ist ja wohl das peinlichste Genre von allen, irgendwo schwankend zwischen Jazz-erst-recht-Keipenabenden und Allgemeinmediziner-Neubau-Tristess. Komplett musealisiert und von cultural appropriation gefickt wie kein zweites. Und ich liebe Jazz. Also schämt euch, ihr Pisser!
@caps: Mir geht es vor allem um das Stichwort cultural appropriation. Ich erinnere mich nicht, dass Adorno dazu bzw zu etwas Sinngemäßem was geschrieben hätte. Vieles von dem, das er bemängelt hat, ist heute m.E. nicht mehr auf Jazz anwendbar; Jazz ist heute nicht mehr der tanzbar-prekalkulierte kulturindustrielle Auswuchs, diese Rolle ist (logischerweise) der Popmusik zugefallen. Was er noch bemängelt hat, die starre Struktur, die Konformität der Rhythmen usw wurde alles schon ab den späten 60ern und vor allem in den 70ern von Jazzkünstlern emsig dekonstruiert. Heute ist Jazz, nicht zuletzt durch den Einfluss von Rock und Hip Hop, vielfältiger geworden als je zuvor.
Ich schäme mich vor allem für Metalheads fremd, die mit Mitte 40 noch gegen andere Genres wettern, aber selbst die absolut hängengebliebensten Vertreter des Genres feiern.
So ist es. Man schaue zB nur in die Kommentarspalten solcher Spartenradiosender wie Radio Bob oder Rockland Radio, in denen sich irgendwelche Menschen mittleren Alters, meistens mit Hunde- oder Motorradprofilbild sich dafür abfeiern, wie cool sie doch sind, weil sie AC/DC, Queen oder Deep Purple hören.
Fremdscham lösen in vielen Genres immer eher die Fans aus, statt die Bands und Musiker selbst, da Fans leider oft eine gewisse (selbst-)ironische Distanz zum Schaffen ihrer Lieblingskünstler und dem eigenen Verhalten fehlt. Gerade unter Metalheads ist diese Haltung sehr verbreitet, wie ich finde, und das pathetische Geschwätz, dass ich mir von solchen Leuten über ihre Lieblingsmusik während der letzten 30 Jahre anhören durfte ist Legion.
Für den Metal schämen? Was für eine absurde Vorstellung. Niemals sollten sich die ehrenwerten Krieger des Stahls schämen für den metallenen Gottkaiser aller Musikgenres.
Nein, feiern sollten sie seine erhabene Glorie und die geschlagenen Schlachten während sie in den Schenken Met trinken und den Klängen der elektrischen Laute lauschen.
Babymetal haben das Königreich des Metal entdeckt und widmen ihm eine epische Powerballade. Sleep Token reichen dazu das passende Erfrischungsgetränk und besteigen den Hype-Thron. Ghost warnen vor der Ankunft Jesu. Dolly Parton löst ein Versprechen ein und arbeitet an einem Rockalbum. Der harten …
Wenn man alle problematischen Aspekte jeder Szene gleichberechtigt behandelt, kann man damit gerne anfangen. Nicht aber, weil man einfach nur einen Hass-Boner gegen "Lärm-Musik" fährt.
Ich habe selbst schon Black Metal-Konzerte mit meinem Partner (gemischtrassige homosexuelle Beziehung ((sowas ist heutzutage offenbar wieder schrecklich relevant)), und es lief einwandfrei, während man sich dann von irgendwelchen ungewaschenen Teenagern bei Haftbefehl Androhungen von Gewalt antun muss. Ja ja, immer diesen pöhsen, pöhsen Metaller, die nicht vor Aufregung feucht werden, wenn eine Girlgroup K-Pop mit Death Metal mischt. Das ist anscheinend das wirkliche Problem.
Um die Frage kurz zu beantworten: ja, ein wenig schon.
Natürlich muss man sich für Metal schämen. Aber gibt es irgendein Genre, bei dem man sich nicht schämt, wenn man die 25 überschritten hat? Ich kenn keines.
"Aber gibt es irgendein Genre, bei dem man sich nicht schämt, wenn man die 25 überschritten hat?"
Ich schäme mich vielleicht dafür, diese und jene Bands mal gemocht zu haben als ich jünger war, weil ichs heute eben anders sehe. Aber (fast) jedes Genre hat großartige Musik hervorgebracht. Warum sollte ich mich denn dafür schämen?
"Natürlich muss man sich für Metal schämen"
Warum?
Ist so, ist doch nicht das Problem der Szene das du dein jugendliches Selbst hasst lyl
"Aber gibt es irgendein Genre, bei dem man sich nicht schämt, wenn man die 25 überschritten hat?"
Jazz.
Alda, Schnauze. Jazz ist geil und wird's immer bleiben.
Lesekompetenz von Wingo: 5-
Für Metal muss man sich natürlich schon immer schämen, sollte klar sein.
Nö, ich hab von Anfang an nur dem Besten im Teich meine Aufmerksamkeit geschenkt.
Was ich damit meinte, war: sich mit einem bestimmten Genre komplett zu identifizieren, seine Selbstdefinition auf einem Genre bzw. einer Subkultur aufzubauen, das setzt halt vorraus, dass man sehr viele Widersprüche, Peinlichkeiten und Verabscheuungswürdiges ignoriert. Und das funktionierte halt eher bei jüngeren Menschen, was aber keinesfalls bedeutet, dass ich diese oder mich selbst dafür retrospektiv abwerten oder gar "hassen" würde. Ich bin eher etwas neidisch auf mein jugendliches Selbst, weil das halt noch so schön im tannengrünen Hoodie "Ich bin HipHop, yoyo!" sagen konnte, ohne sich die Mühe zu machen, über kuluturelle Aneignung oder Klassenunterschiede nachzudenken.
Sich als erwachsener Mensch machmal für ein Genre, das man mag, zu schämen, halte ich für sehr gesund, es zeugt nämlich von der grundsätzlichen Fähigkeit, kulturlle bzw. soziale Phänomene - und damit sich selbst - im Ansatz differenziert zu betrachten.
Und Jazz ist ja wohl das peinlichste Genre von allen, irgendwo schwankend zwischen Jazz-erst-recht-Keipenabenden und Allgemeinmediziner-Neubau-Tristess. Komplett musealisiert und von cultural appropriation gefickt wie kein zweites.
Und ich liebe Jazz.
Also schämt euch, ihr Pisser!
♥ @gueldi
Genau so is des, nur so!
"Komplett musealisiert und von cultural appropriation gefickt wie kein zweites."
Aha. Inwiefern?
Öhmm... das ist ja kein neuer Take, wingo. Lies Adorno, wenn du es genau wissen willst.
Ist bekannt. Aber mich würde interessieren, was gueldi genau meint.
Also vermutest du, dass gueldi seine eigene, unabhängige Theorie hat?
Wäre das vermessen?
ich halte es für unwahrscheinlich.
@caps: Mir geht es vor allem um das Stichwort cultural appropriation. Ich erinnere mich nicht, dass Adorno dazu bzw zu etwas Sinngemäßem was geschrieben hätte. Vieles von dem, das er bemängelt hat, ist heute m.E. nicht mehr auf Jazz anwendbar; Jazz ist heute nicht mehr der tanzbar-prekalkulierte kulturindustrielle Auswuchs, diese Rolle ist (logischerweise) der Popmusik zugefallen. Was er noch bemängelt hat, die starre Struktur, die Konformität der Rhythmen usw wurde alles schon ab den späten 60ern und vor allem in den 70ern von Jazzkünstlern emsig dekonstruiert. Heute ist Jazz, nicht zuletzt durch den Einfluss von Rock und Hip Hop, vielfältiger geworden als je zuvor.
Ich schäme mich vor allem für Metalheads fremd, die mit Mitte 40 noch gegen andere Genres wettern, aber selbst die absolut hängengebliebensten Vertreter des Genres feiern.
So ist es. Man schaue zB nur in die Kommentarspalten solcher Spartenradiosender wie Radio Bob oder Rockland Radio, in denen sich irgendwelche Menschen mittleren Alters, meistens mit Hunde- oder Motorradprofilbild sich dafür abfeiern, wie cool sie doch sind, weil sie AC/DC, Queen oder Deep Purple hören.
Am schlimmsten sind jene, die mit über 40 noch einen musikalischen Horizont haben, für den maximal zwei Finger zum abzählen reichen.
Jup, das sind in der Regel auch fast immer diese Hundeprofil-AC/DC-Queen-Menschen.
Ähm … ja. Die meisten sind schwer beschränkt und musikalisch Schrebergärtner.
Fremdscham lösen in vielen Genres immer eher die Fans aus, statt die Bands und Musiker selbst, da Fans leider oft eine gewisse (selbst-)ironische Distanz zum Schaffen ihrer Lieblingskünstler und dem eigenen Verhalten fehlt.
Gerade unter Metalheads ist diese Haltung sehr verbreitet, wie ich finde, und das pathetische Geschwätz, dass ich mir von solchen Leuten über ihre Lieblingsmusik während der letzten 30 Jahre anhören durfte ist Legion.
Für den Metal schämen? Was für eine absurde Vorstellung. Niemals sollten sich die ehrenwerten Krieger des Stahls schämen für den metallenen Gottkaiser aller Musikgenres.
Nein, feiern sollten sie seine erhabene Glorie und die geschlagenen Schlachten während sie in den Schenken Met trinken und den Klängen der elektrischen Laute lauschen.
So ist es mir ein Wohlgefallen.
Kommt auf meine Hotlist für Post des Jahres, ma sagen.