10. Januar 2022

"Wie kann man zerbrochene Freundschaften erzählen?"

Interview geführt von

Mit einem Konzeptalbum gegen Algorithmen und schnelllebigen Konsum: Keemo und Funkvater Frank erzählen über die Entstehung, Umsetzung und Entwicklung der Idee.

OG Keemo sitzt am letzten Tag seines Berlin-Aufenthalts im Hinterzimmer eines Chimperator-Büros. Angeblich steht dort irgendwo ein Bild von Cro ohne Maske herum, aber wir finden es nicht. Er hat ein paar Presse-Termine abgesessen, am Abend will er sich noch einen BHZ-Gig ansehen, daheim in Mannheim wartet Familie. In Person wirkt er ein bisschen so, wie man ihn sich vorgestellt hat: groß, reflektiert, in sich gekehrt.

Da passt es nur ins Bild, dass alle Fragen zum Drumherum ihn kalt lassen, er aber ins Reden kommt, sobald es wirklich ans Eingemachte geht. "Mann Beisst Hund" heißt sein neues Album, für Funkvater Frank und ihn bedeutete es das konzeptreichste Projekt bisher. Wir unterhalten uns über Storytelling im Rap und darüber, wie man eine Geschichte vielschichtig erzählen kann. Zumindest, sobald er es geschafft hat, Producer Frank über Zoom aus Mannheim dazuzuschalten.

OG Keemo: Nein, nein, das gibt überhaupt keinen Sinn, das ist gespiegelt, wenn ich die rechte Hand hebe, hebt es bei ihm die linke.

Funkvater Frank: Die rechte Hand lässt du unten ... wie gefällt euch eigentlich mein Konferenzraum hier?

(Das Tablet zeigt nach oben, man sieht quasi nichts)

Funkvater Frank: Ist bei euch Scheißwetter?

OG Keemo: Es geht eigentlich

Ist halt Berlin, aber auf eine nicht-beschissene Art, gerade. Man kennts, alle Leute kommen für das Wetter hierher.

(Sieben weitere Minuten, bis Franks Zoom funktioniert)

So lange hats auch selten bis zur Einstiegsfrage gebraucht. Aber dann mal ab dafür: Ich habe die letzte Zeit ein bisschen quergelesen, wie die Leute euch so wahrnehmen. Ich fand interessant, dass euch zwar alle lieb haben, aber auf sehr verschiedene Weisen. Keemo, für manche bist du einfach sehr intelligenter Gangster-Rapper, für andere Horrorcore, für andere der Black Lives Matter-Repräsentant. Wie geht es dir mit diesem Everybody's Darling-Status?

OG Keemo: Ich bekomm das gar nicht so richtig mit, ehrlich gesagt. Ich bin im Kontakt mit den Fans, manchmal so - ich kriege halt Nachrichten und sowas, das ist, was ich mitbekomme. Aber Außenwahrnehmung ... joa, wir sind da einfach nicht so hinterher. Wir machen unser eigenes Ding und denken nicht zu viel drüber nach. Ich weiß nicht. Aber freut mich natürlich immer, wenn die Leute was fühlen, was wir machen.

Interessiert es euch einfach nicht oder geht ihr dem aktiv aus dem Weg?

OG Keemo: Ach, das ist einfach nicht so unser Anspruch. Wir wollen gar nicht darüber nachdenken, dass Leute so oder so oder so über uns denken, wir wollen einfach unser Ding machen. Wie Leute das aufnehmen, das ist dann denen ihre Aufgabe.

Also auch kein Einfluss darauf, wie zufrieden ihr mit einer Tape-Resonanz seid?

OG Keemo: Hm, das geht nur an unserem eigenen Anspruch. Wenns jetzt nicht so gut ankommen würde, dann ist es halt, wie es ist, wir haben so die letzten Monate und Jahre alles reingesteckt, was wir konnten und wollten. Wir haben mit dem Album gemacht, was wir mit dem Album machen wollten.

Funkvater Frank: Wenn der Kopf brennt, dann ist es gut! Und ich glaube, der Kopf hat noch nie mehr gebrannt als jetzt, also ist es wahrscheinlich gut.

Wie meinst du das?

Funkvater Frank: Also, wenn du merkst, dass du ein bisschen über deine Grenzen hinausgegangen bist und brauchst dann erstmal Abstand von allem und jedem und hast überhaupt keinen Bock mehr auf nichts. Bei "Geist" hatten wir das auch dann erstmal, dass man sich ein paar Wochen danach zurückgezogen hat. Jetzt gerade habe ich das Gefühl, ich könnte mich erstmal drei Jahre verkriechen. Und nie wieder mit Leuten reden.

Frank, du hast neulich auf Insta geschrieben, dass du einen Gegenpol zu Algorithmen und schnelllebigem Konsum liefern willst.

Funkvater Frank: Ich glaube aber, das ist es auch unabhängig von dem, was man will! Einfach aus dem Grund, dass eine Stunde Konzeptalbum, das du am Stück durchhören musst, eben kein zweiminütiger Algorithmus-Speiser für die neuen Releases am Freitag ist.

"Es hätte die Genauigkeit von einem Hörbuch haben können"

Gings euch von vornherein darum, etwas Konzeptuelles zu machen?

Funkvater Frank: Hm, ne, ja, klar. Vielleicht auch deswegen, weil wir mit "Geist" in diese Richtung auch Blut geleckt haben, mal an einem Konzeptalbum zu arbeiten. "Geist" ist nämlich im Prozess immer mehr zu einem Konzeptalbum geworden – und das ist jetzt ein Album, an das wir von Anfang an mit einem Konzept im Kopf herangegangen sind, oder?

OG Keemo: Doch, ja, so war das.

Funkvater Frank: Wir haben ja von Anfang an gewusst, dass wir Geschichten und eine Geschichte erzählen wollten, aber bei "Geist" ist das Konzept, das es zusammengeschweißt hat, erst im Prozess entstanden.

OG Keemo: Der Unterschied dazu ist halt – wie Frankie schon sagte – dass wir dieses Mal von Anfang an ein Konzept hatten, mit dem wir arbeiten wollten, und das haben wir als Fundament und Grundgerüst genommen, für die Songs, die wir darum gebaut haben, so.

Könnt ihr diesen Grundfunken beschreiben? Was war der erste Gedanke?

OG Keemo: Wir haben uns ganz am Anfang gefragt, was für ein Album wir machen wollen und was wir eigentlich erzählen können. Am besten irgendetwas, das uns momentan beschäftigt. Gerade in den letzten Jahren hatten wir ein paar persönliche Krisen, gerade in dem Kreis, in dem wir uns befinden und das Team, das wir 2019 um uns hatten, das ist alles so 'n bisschen an einen Punkt gekommen, wo wir Sachen hinterfragen mussten. Und dann dachte ich mir – vielleicht könnte man so etwas ja verpacken? Wie kann man zerbrochene Freundschaften erzählen? Da haben wir uns gedacht, dass wir vielleicht ein bisschen mehr mit Charakteren arbeiten könnten, mehr Skits einbauen, mehr Stimmen, du weißt schon – jedem Charakter eine Stimme verleihen. So haben wir uns das am Anfang gedacht, oder?

Funkvater Frank: Ja, schon! Alles weitere ... das klingt jetzt wie ers erklärt hat, halt so strukturiert und durchgeplant, aber eigentlich ist es das nicht. Guck mal, wir haben jetzt zwei Jahre daran gearbeitet, und in diesen zwei Jahren sind ja auch ständig Sachen passiert, es haben sich Sachen um uns neu strukturiert. Es ging trotzdem immer weiter und alles ist ins Album eingeflossen, was am Ende auch der Grund war, warum es so lang gedauert hat.

Hat diese Form sich durchgezogen oder sich zu etwas Neuem entwickelt?

OG Keemo: Wie gesagt, der Grundgedanke war nur das Wissen, wie es grundlegend aufgebaut war. Wir wussten, wir wollten etwas erzählen über drei Leute, und wir wollen eine Geschichte aufbauen. Aber wie das endet und was über das Album drüber passiert, das hat sich erst im Prozess herauskristallisiert.

Funkvater Frank: Ganz am Anfang, schon bevor wir an die Songs gegangen sind, hatten wir die Struktur davon, was wir erzählen wollten. Gelöst von Songs, einfach nur: Es gibt Keemo, es gibt Malik, es gibt Yasha. Die leben alle drei in einem Komplex und entwickeln sich alle in verschiedene Richtungen. Ich hatte sogar schon den Teil von einer Kurzgeschichte rumliegen, die ich vielleicht mal zu Ende schreiben werde, dann gibt es ein richtig kleines Büchlein. Die Geschichte stand, die Songs sind eher Gefühle aus der Geschichte, die ausgekoppelt wurden.

Also ging es eher um Impressionen aus dieser Story, mehr, als jetzt ein Akt I, Akt II...-Ding zu erzählen.

OG Keemo: Ja, genau. Wir hatten das alles tatsächlich schon sehr viel detaillierter rumliegen, dass es wirklich die Genauigkeit von einem Hörbuch hätte haben können, oder sowas. Aber das war uns dann zu detailreich, das haben wir verworfen und haben gesagt, wir wollen schon auch Interpretationsspielraum lassen, damit es kritischer bleibt, damit der Hörer sich auch selber seine Gedanken machen kann. Damit es nicht so eindeutig ist. Und dieser Prozess ist halt: Du baust um diese Struktur, die du schon hast, und entfernst Bausteine, fügst neue hinzu, du adjustierst die ganze Zeit.

Ich finds interessant, weil selbst für einen so erzählerischen Rapper wie du das alles ja seine Abstraktheit hat. Zum Beispiel auf einem Song wie "Töle", auf dem du ja ein bisschen wie in einer Mischung aus "Stan" und Kendricks "U" auf dich selbst einrappst, werden diese Charaktere namentlich klar und sehr konkret. Trotzdem war die Storyline für mich ein sehr vages Konzept im Album. Wie war da dein Ansatz zum Storytelling?

OG Keemo: Ich wollte halt einfach, dass man versteht, an welchem Punkt der Malik sich an diesem Moment der Story befindet. Ich glaube, das ist das beste Mittel, um herauszubringen, wo er sich gerade befindet. Was ist die Lage, was ist der Ausgangspunkt jetzt für ihn?

Funkvater Frank: Gleichzeitig ist es aber auch ein Stück Selbstreflektion. Weil, auch wenn das aus der Sicht von Malik ist, sprichst du ja trotzdem auch ein Stück weit über dich.

"Das wollte ich vermitteln, ohne mit dem Finger zu zeigen"

Genau das ist, was ich meine: Oft war es für mich schwer zu durchdringen, welche Charaktere dich spiegeln – oder wie sehr sie dich spiegeln sollen.

OG Keemo: Das ist eben ein bisschen der Knackpunkt mit Malik. Wenn man daraus mitnimmt, dass da Keemo mit sich selbst redet, dann ist das auch richtig, weißt du? Weil das ist dann ja so. Wenn ich über Malik schreibe, bin ich ja nicht eine andere Person. Das sind alles verschiedene Personen aus mir.

Funkvater Frank: Zu "Töle" noch, ich bin ja der Meinung, dass das einer der Texte war, die relativ früh schon fertig waren, die aber dann doch noch drei oder vier Mal verworfen wurden. In unserer Kurzgeschichte hatten wir eine ganz klare Linie und ein ganz klares Ende für Malik geplant. Die findet jetzt im Album eigentlich gar nicht statt. Eigentlich war der Plan für einen dritten Part, in dem es mehr ins Detail geht, wie Malik jetzt mit all dem umgeht, wie sein Charakter mit der Geschichte endet. Und den haben wir weggelassen. Das war uns wichtig, dass jeder selbst daraus schließen kann, was jetzt das Ende vom Lied für Malik ist.

Es gibt ja immer diese Idee von einem Hörer, die Frage danach, was man sich vorstellt, was ein neuer Hörer mit jungfräulichen Ohren aus dem Text mitnehmen würde. Hat das bei euch auch eine Rolle gespielt?

OG Keemo: Ja doch, klar. In dem Album geht es ja auch viel um Keemo, also mich aus meiner Perspektive. Ich rede über viele Sachen aus meiner Sicht, ohne sie zu verherrlichen. Also stand oft die Frage im Raum, wie man Dinge erzählen kann, die man zu dem Zeitpunkt so darstellen kann, dass sie damals Fun waren, aber dass man sich zu manchem Sachen in der Retrospektive auch distanziert.

Funkvater Frank: "Vögel" wäre doch ein gutes Beispiel dafür, oder?

Witzig, weil genau darauf wollte ich eingehen. Die Textstelle über den 29-jährigen Typen, der immer noch im Schützengraben hängt, ist mir wahnsinnig hängengeblieben. Ich hab dich selten so bewertend in einem Song erlebt, kann das sein?

OG Keemo: Klar, kommt ja oft genug vor, sowas. Ist ja auch nicht nur meine Story, das ist ja etwas, das ganz oft vorkommt, überall auf der Welt. Dass Leute einfach stehen bleiben an gewissen Punkten. Ja, so wie ich es da beschreibe, dass sie nicht mehr weiterkommen. Und das ist nicht geil. Das wollte ich ein bisschen vermitteln, ohne mit dem Finger zu zeigen.

Zum Abschluss will ich noch einmal daran anknüpfen: Hat sich generell für euch zwischen "Mann Beisst Hund" und "Geist" etwas Konkretes entwickelt?

Funkvater Frank: Alles.

OG Keemo: Ja, wirklich alles, die letzten beiden Jahre waren schon so ein bisschen ...

Funkvater Frank: Scheiße.

OG Keemo: Ja, kompletter Umschwung halt auch. Wenn du 2019 vergleichst, dann war das eine ganz andere Welt, privat, aber natürlich auch mit dem, was so auf der Welt abgeht. Das spielt natürlich alles auch in die Kunst mit rein.

Funkvater Frank: Deswegen hat soetwas wie "Vögel" bei mir auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es gibt jetzt gerade eine Zeit, in der so viele Leute vor suizidalen Phasen oder Angstzuständen stehen, wie auch immer du das betiteln willst. Und da hatten wir Respekt vor. Karim hat schon richtig gesagt, dass es nicht darum geht, etwas zu verherrlichen. Ich hab nur immer Angst, dass das nicht deutlich genug ist. Dass es nicht platt gesagt eine Anleitung zum Selbstmord ist, sondern eher eine Art Hilferuf, eine Art Ausdruck von einem Gefühl, wie du dich fühlen kannst. Da sind wir aber auch ein bisschen aneinandergeraten. Dieser Song hat mich gut mitgenommen.

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