9. Oktober 2000 Rosenstolz live in Stuttgart

Sie feiern 10-jähriges Bühnenjubiläum und sind auf Platz 1 der Album-Charts. Und doch gehören sie nach wie vor nicht zum Mainstream. Sie kämpfen gegen den Durchschnitt und für ihre Meinung. Peter Plate, Keyboarder und Sound-Tüftler, hat ein Coming-out längst nicht mehr nötig. Und Anna, die gerne die strahlende Schlampe spielt, überzeugt mit breitgefächerter Stimme und Mut zum Risiko. All dies im Gewand des melodischen Chanson-Pop, vorgetragen mit Schwung und Raffinesse. Da bleibt einem womöglich die Spucke weg.

Beim Konzert im Stuttgarter Theaterhaus am Montag abend ist mit "Kassengift" das Eis schnell gebrochen. Es folgen zum Mitsingen einladende Rosenstolz-Hits, bei denen sich die Fans nicht zwei mal bitten lassen. Beeindruckend ist wie das Programm immer wieder mit charmant inszenierten Überraschungen aufgelockert wird. Bei "Kinder der Nacht" gibt es eine freche und halb-einstudierte Tanzeinlage. "Du atmest nicht" wird sogar auf schwäbisch angesagt: "du schnaufst net". Das Publikum ist gerührt und bedankt sich bei "Engel der Schwermut" mit einem Meer von wippenden Feuerzeugen.

Peter Plate lässt es sich nicht nehmen, Stimmungskanone des Abends zu sein. Vom ausgekochten Bühnenhüpfer und Tanz-Animateur der Szene lassen sich alle mitreißen. Annas Gesang ist abwechslungsreich und am Stärksten bei Balladen wie "Bastard" oder "Lachen". Direkt und schnörkellos treffen Annas Worte mitten ins Herz. Der Stoff ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Lieblingsthema ist das Ritual zur menschlichen Fortpflanzung, welches von vielen Seiten beleuchtet aber teilweise auch aufdringlich behandelt wird. Kleine Sensation am Rande: Die blonde Schönheit mit langen Beinen ist die Multi-Instrumentalistin Anne. Sie spielt nicht nur Bass, Akkordeon und Violine, sondern kann auch noch das Publikum einheizen und singen!

Die Experten spekulieren wie es wohl weiter geht mit Rosenstolz. Wird es einen "Golf Rosenstolz" geben? Oder werden Anna und Peter in Anlehnung an Paul McCartney eine Pop Hochschule eröffnen? So verkehrt wäre das nicht. Da könnte man einiges lernen. Wie man ein Publikum für sich gewinnt und durch Vielseitigkeit bei Laune hält. Wie man zum Schluss noch mal richtig auf die Pauke haut und zum Abschied eine süße Melodie ins Ohr haucht. Das ist nun wirklich was worauf man stolz sein kann, oder?