laut.de-Kritik
Fastnachts-Metal ohne Gnade: die Maskenmänner überrollen die Schweiz.
Review von Philipp SchiedelPünktlich zur Narrenzeit im Februar entsenden auch die Amerikaner neun maskierte Jecken in Form der intellektuellen Fastnachtsmetaller Slipknot ins traditionsbewusste Europa. Mit der Stadthalle Bülach war die perfekte Location gefunden. Während dort am letzten Wochenende noch der örtliche Flohmarkt (mit Festbewirtung des Sportvereins) groß und klein der Schweizer Kleinstadt begeisterte, prangert an diesem Dienstagabend auf beiden Seiten der Bühne eine in Blech geschmiedete und mit Glühbirnen beleuchtete "666". Die Messe konnte also beginnen, aber leider blieb die mitgebrachte Vorgruppe American Head Charge am italienischen Zoll hängen und so mussten sich die 1500 Heiden mit der Schweizer Vorgruppe PX-Pain begnügen, deren Auftritt wir aber verpassten.
Um halb zehn gehen dann die Lichter aus und die Teufelszeichen in die Höhe. Ein unheimliches Intro mit dunklen Kerkergeräuschen, weiblichen Sprachfetzen und beherrschenden elektronischen Sounds nimmt die Halle für fünf Minuten unter seine Fittiche. Als die Satansjünger ihre Hände gerade wieder in die Taschen gesteckt haben erscheint eine erste Maske im Scheinwerferlicht. Blitzschnell jagen wieder Tausende Zeige- und kleine Finger der Bühne entgegen.
Die Prunksitzung beginnt mit "People=Shit" und damit ist ihr Motto hinreichend beschrieben. Die neun Verkleidungskünstler begeben sich auf die 80minütige Suche nach der Melodie und rotzen dabei allen "Motherfuckern" mitten ins Gesicht, die ihnen auch nur annähernd in die Quere kommen. Mit einem glasklaren Sound prügeln sie sich durch ihre letzten zwei Alben, schreien, grunzen und singen. Und das kann Frontmann Corey Taylor (sorry: Nummer 8) entgegen aller Vorurteile: diesen Spagat zwischen animalischen Balzgeräuschen und punktgenau gesungen Refrains, wie z.B. bei "Wait and Bleed", soll ihm erst mal jemand nachmachen.
Auch das Publikum hat er fest im Griff. Sobald alle außer den Slipknot-Jüngern Arschlöcher sind und man untereinander zusammenhält, ist er der erklärte Held und die Welt für einen Augenblick in Ordnung. Wie es sich für eine Faschingsveranstaltung gehört, fordert er die explodierende Gemeinde dann noch zum Mitklatschen und –singen auf. Und obwohl alle komplett austicken, bekommen sie das sogar auf die Reihe.
Seine acht Mitstreiter sind dagegen mit ihren psychotischen Eskapaden beschäftigt und müssen in Sachen Ausflippen ihrem dunklen Publikum in Nichts nachstehen. Die zwei Percussionisten hauen mit Baseballschlägern auf silberne Ölfässer, aber meistens gehen sie auf ihren drehbaren Trommeln noch mal ihre Übungen für die bevorstehenden Bundesjugendspiele durch oder springen aus drei Metern Höhe zurück auf die Bühne. Gegen die Show ihres Drummers müssen aber selbst sie einpacken. Er und sein Drumkit fahren von projizierten Pentagrammen begleitet einen Stockwerk höher. Dort oben zieht er dann ein Schlagzeugsolo ab, bei dem es jedem "Humba-Humba"-Trommler vom Straßenumzug die Socken ausziehen würde.
Die fette Brutalo-Metalshow, die Slipknot in Bülach zeigten, tritt die offizielle Nachfolge der technikgeladenen Metalshows der Stadion-Rock-Bands aus den 80ern an. Wenn die Band bei jedem Konzert so böllernd überzeugt, dann dürften nach dem Hamburger Desaster wohl alle Fans wieder zufrieden gestellt sein. Aber wenn meine Mutter wüsste, was ich mir da angesehen habe, kann ich den leckeren Sonntagsbraten das nächste Mal in der Küche essen. Alaaf.