laut.de-Kritik
Die Kult-Crew aus Philadelphia: keine Zeit für Albernheiten.
Review von Philipp GässleinBereits am frühen Samstagmittag keimte die Vorfreude auf das abendliche Konzert auf, dem unbestrittenen Hip-Hop-Höhepunkt des Jahres für eine gesamte Region: The Roots.
Was in anderen Musikrichtungen gang und gäbe sein mag, wirkt in der Rapszene exotisch: Eine Kapelle, bei der man nie so recht weiß, welche Mitglieder abends auf der Bühne stehen werden und die zudem alle Instrumentals live spielt. Allerdings trifft das Wort spielen hier, wie sich herausstellen sollte, nicht annähernd so gut, besser: zelebrieren.
Die anfänglichen angenehmen Überraschungen (Konzert nicht restlos ausverkauft) und weniger positiven (Bierpreis gestiegen, Ende November keine Garderobe offen) sind umgehend vergessen, als erstmals ?uestloves Snare im Takt erklingt. Die sechs Roots eröffnen mit Stücken aus ihren neuesten Alben "The Tipping Point" und "Game Theory", bevor sie sich langsam zu den Klassikern vorarbeiten. Für alberne Entertainment-Einlagen haben die Jungs aus Philadelphia weder Lust noch Zeit: Sie lassen ihre Instrumente sprechen. Kein einziges Stück wird in der Albumversion zum Besten gegeben, selbst die größten Erfolge verpackt die Rapkapelle in ein neues Gewand.
So übernimmt beispielsweise Gitarrist Martin Luther die Rolle der Erykah Badu beim noch immer Gänsehaut verursachenden "You Got Me" oder die der Cody Chesnutt beim Smash-Hit "The Seed", das trotz der gewöhnungsbedürftig puritanischen Version beim Publikum hervorrragend ankam.
Die Roots gelten nicht nur in Fachkreisen als Liveband par excellence. Und diesen Ruf untermauerten sie in Wiesbaden. Mir persönlich war klar, dass die Jungs ihre Instrumente beherrschen. Dass sich jedoch solch musikalische Virtuosen in einer Hip Hop-Gruppe zusammenfinden, hätte ich nicht gedacht. Besonders während der Soli von Luther an der Gitarre und Gründungsmitglied Hub am Bass blieben die Augen ungläubig aufgerissen, während sich der Kiefer langsam aber stetig Richtung Hallenboden senkte.
Vom Percussionisten bis zum Keyboarder bekam jeder reichlich Zeit zur Selbstdarstellung. Das Konzept, das die meisten Jazz-Darbietungen unerträglich macht, ging bei den Roots dagegen voll auf. Einziger Wermutstropfen war leider die Qualität des Sounds: Ein solches Programm sollte nicht derart auf die Bässe zugeschnitten sein.
Trotz eines abschließenden Medleys quer durch die Rapgeschichte – von Michael Jackson über A Tribe Called Quest und LL Cool J bis hin zu Ol' Dirty Bastard – sind die Roots keine Band für ein gewöhnliches Hip Hop-Publikum. Zu hoch ist der musikalische Anspruch, zu weit entfernt die Tanzbarkeit und das Entertainment. Trotzdem dürfte das Publikum (Alter von 15 bis 50 Jahren!) mehrheitlich begeistert gewesen sein ob des kreativen Feuerwerks, dass über knapp 90 Minuten abbrannte, bevor der Schlachthof seinen Nebenraum öffnete und die Gäste zur Aftershowparty lud.