laut.de-Kritik
Das Detroit-Duo zelebriert die Essenz des Rock.
Review von Martin MengeleAngenommen, man hätte einen großen Rock-Fleischwolf und würde oben ein Pfund Stooges reinfüllen, dazu MC5, Led Zeppelin, vielleicht eine Prise Velvet Underground und eine Messerspitze Jimi Hendrix, was käme dann wohl unten raus, wenn man die Kurbel dreht? Eine breiige rot-weiße Masse von der Konsistenz ähnlich der Colgate-Zahnpasta. Kurz: die Essenz des Rock - die White Stripes.
In mancher Hinsicht hat es das Detroit-Duo vielleicht einfacher, weil nur durch zwei geteilt werden muss. Beispielsweise die Gage und den Applaus. Im Falle dieser Veranstaltung muss man allerdings eher von Ovationen reden. Die neugierigen Besucher sind aus dem Häuschen: "Die sind echt nur zu zweit!" Andererseits wird der Erwartungsdruck, der bei solch einem Tourauftakt-Gig vor dem kritischen Kölner Publikum auf einem lastet, auch nur auf vier Schultern getragen.
Das scheint den White-Geschwistern wenig auszumachen, denn sie wissen sich mit den wichtigsten Waffen des Rock'n'Roll bestückt: Gitarre, Schlagzeug und das Songmaterial aus vier Longplayern. Natürlich spielt Jack auch seine Orgel und das Piano. Wie virtuos dieser Mann aber sein Saiteninstrument bedient, ist eine wahre Ohrenweide. Ein Blues-Minimalist, der alleine in der Variation seine Erfüllung sieht und durch Einsparung, Rationalisierung und Selbstbeschränkung die erstaunlichsten Erfolge erzielt. Gleichzeitig ein grandioser Songwriter mit Instinkt für funny lyrics ("I wanna hypnotize you baby by the telephone ...").
Zu Beginn müssen natürlich Brecher stehen wie "I Think I Smell A Rat". Die vierte Nummer ist das Dolly Parton-Cover "Jolene", welches das Publikum zu ersten Begeisterungsstürmen hinreißt. Alle warten gespannt auf die aktuelle Single "Seven Nation Army". Zum ersten Mal seit langer Zeit ist dies ein Rockkonzert, bei dem die Leute nicht unruhig umherlaufen, um Bier zu holen. Man traut sich nicht mal, pissen zu gehen. Hier ruhen alle Augenpaare wie gebannt auf die zwei Protagonisten, um keine noch so kleine Showeinlage zu verpassen.
Wenn Jack auf Knien umherrutscht und sich über seine Klampfe beugt wie ein kühner Liebhaber, um ihr im Steelguitar-Modus mit dem Bottleneck die fiesesten Riffs zu entlocken. Oder wenn er auf die Bassdrum steigt, um ein wenig mit seiner Schwester zu flirten, dann ist das großer Rocksport, wie wir ihn sehen wollen. Als Meg für "In The Cold, Cold, Night" zum Mikro schreitet, hat auch sie die Menge auf ihrer Seite. Jack bleibt aber nie im Hintergrund. Er spielt Rhythmus- und Leadgitarre einfach auf einem Instrument. Auch den Bass hat er perfekt drauf. Im Fundament liegt dazu der satte Beat aus Megs Händen.
Diese Frau funktioniert wie ein Uhrwerk und spielt derart sauber, dass man ein Metronom nach ihrem Rhythmus eichen könnte. Trotz aller perfekten Technik verlieren die White Stripes nicht ihre bodenständige Rotzigkeit. Irgendwann ist dann Zeit für "Seven Nation Army" und das E-Werk wird zum Tollhaus. Crowdsurfing galore. Klar, da muss Dampf abgelassen werden. Dafür war dann am Ende auch genug Zeit. Anderthalb Stunden Bluespunk by force.