26. April 2002

"Bei VIVA denken sie, wir würden unsere Haustiere opfern"

Interview geführt von

In der Gothicszene haben sie sich schon lange einen Namen gemacht. Unermüdlich tourten sie rund um den Globus und rockten die Clubs der Welt. Mit ihrer Platte "Futureperfect" ernten VNV Nation endlich die Früchte ihrer unermüdlichen Arbeit.

Hi, wie ist das Wetter in England, beschissen wie immer?

Im Großen und Ganzen, ja.

Gehen dir die Interviews schon auf den Sack, ich nehm mal an, dass du schon einige hinter dir hast für heute.

Das auf jeden Fall, ich geb jetzt seit neun Stunden Interviews und das selbe mach ich morgen auch. Trotzdem macht es immer wieder Spaß, sich mit interessanten Leuten zu unterhalten. Du bist für heute der Vorletzte, deswegen bist du mir schon sympathisch.

Na wenns nur daran liegt ... Ihr seid mit "Futurperfect" ja auf Platz 26 in die Charts eingestiegen. War das der höchste Platz den ihr bis dato belegen konntet?

Ja, bisher schon. Wir waren auch mal mit einem anderen Album für eine Woche in den Charts, aber das ist bisher unser bestes Ergebnis. Das ist natürlich eine fantastische Sache.

War etwas in der Art zu erwarten?

Die Leute von unserem Label waren überzeugt davon, dass das Album in die Charts kommt. Ich selber habe von so etwas wie den Top 50 geträumt, mit den Top 30 hätte ich aber nie gerechnet. Das hat mich doch ziemlich aus den Socken gehauen, wenn ich ehrlich sein soll. Es ging auch gar nicht um den höchstmöglichen Charteinstieg an sich, sondern eher darum, dass wir mit diesem Einstieg ein paar Leute auf uns und unsere Art von Musik aufmerksam machen und somit vielleicht ein paar Türen für andere Bands öffnen können.

Denkst du, dass die Erwartungen der Fans nach eurem letzten Album besonders hoch waren und solch ein Einstieg sozusagen Pflicht?

Ich denke es gab viele, die einfach die übliche Weiterentwicklung von uns erwartet haben und viele, die sich dachten, dass "Futureperfect" ein großes Pop Album werden würde. Beide lagen irgendwie falsch. Da "Genesis" aber in die Charts ging, haben wohl auch viele gehofft, dass sich das mit dem Album wiederholen würde. Das ist ja auch von dem Standpunkt aus was tolles, dass wir unseren Sound nicht massiv verändert haben, sondern es vielmehr geschafft haben, mit unserer Art Musik in die Charts zu kommen. Musik, die von der Öffentlichkeit bisher nicht sonderlich beachtet wurde. Jetzt ist der Anreiz, sich auch mit uns zu beschäftigen, einfach größer und das freut bestimmt nicht nur uns.

Da gibts dann auf der anderen Seite aber gleich wieder die Die-Hard-Fans, die Sold Out schreien und euch nur für sich alleine haben wollen. Sogar Gerüchte über ein Video geistern ja schon durch die Gegend.

Es wird definitiv kein Video geben. Ich weiß aber, auf was du hinaus willst. Ich denke nur, dass es an der Message der Musik und an ihr selber nichts ändert, ob jetzt zehn oder 1000 Leute sie hören. Ich kann die Leute schon irgendwo verstehen, wenn auf einmal jeder ankommt und so tut, als ob er die Band schon immer gehört habe, im Endeffekt aber keinen Plan von der Sache hat. Ich wollte immer ein gewisses Feeling mit der Band einfangen und ausdrücken. VIVA würde unser Video doch nicht mal spielen, wenn wir Millionen von Dollars dafür ausgeben würden. Es gibt doch immer noch so viele Vorurteile gegenüber dieser Szene, dieser Musik. Wir schaffen es zwar inzwischen immer wieder, dass uns große Zeitschriften ohne vorgefasste Meinung erst mal anhören, aber bei VIVA denken die doch immer noch, dass alle aus der Szene ihre Haustiere opfern. Diese Erfahrung haben wir auch schon mit den meisten Radiostationen gemacht. Die sagten dann: "Nee, diese Art Musik spielen wir nicht". Diese Art Musik? Viele Bands klingen ähnlich wie wir, aber wir kommen eben aus dieser "Gruftie-Szene". Scheiße, Mann, wir sind doch keine Grufties (lacht), wir haben einfach gute Songs, wo auch noch einiges an Message rüberkommt. Wir haben auch so viel unterschiedliche Sachen in den Songs.

Inzwischen laufen doch auch Projekt Pitchfork und De/Vision auf MTV und VIVA. Denkst du nicht, dass du da etwas zu schwarz siehst?

Ja, Pitchfork waren auf MTV, ok. Aber es ist eine andere Frage, ob es ihnen wirklich was gebracht hat, oder nicht. Ein Video käme für mich sowieso nur dann in Frage, wenn es im Einklang mit Musik, der Band und der Message stehen würde. Etwas, das zeigt was wir sind, das den Leuten klar macht: "Egal ob ihr für oder gegen uns seid, wir gewinnen!" Das war der Slogan auf dem Rücken unseres ersten T-Shirts. Es gibt einfach genügend andere Wege die Menschen zu erreichen, ohne ein Video zu drehen. Ein Video sagt eigentlich nur: "Hey, wir haben jede Menge Kohle, haha". Haben wir aber nicht, wenn wir jetzt ein Video drehen, sind wir einfach nur arm und ich bekomme nie den Audi TT, den ich unbedingt haben will (knallt mit dem Kopf beinahe auf den Tisch vor lachen). Naja, vielleicht einen fürs Regal. Quatsch, die Kinder wollen einfach was zu essen haben. Das Music Biz ist ja auch dermaßen kompliziert, bis man da jeden überzeugt hat, dass das Video unbedingt laufen muss, usw. Ok, ich gebs zu, es gab ein Video und VIVA haben es abgelehnt. Punkt, aus, Ende. VIVA spielen doch sowieso, was sie wollen und nicht, was die Zuschauer wollen. Das ist ein privates Unternehmen, da hat Demokratie nichts zu suchen. Sie spielen das, was sie für cool, hip und angesagt halten und das stimmt meist mit dem Programm von MTV überein.

Lass uns mal etwas über das Album an sich plauschen. Für meine Ohren klingt „Futureperfect ziemlich melancholisch und hat auf der anderen Seite irgendwie die Ecken und Kanten von "Empires" verloren.

Ich finde eigentlich, dass "Empires" auch ein sehr melodisches Album war. Das neue Album geht meiner Meinung nach nicht unbedingt so schnell ins Ohr. Es ist aber doch etwas strukturierter. Vieles hat auch damit zu tun, dass ich immer mehr über die Art und Weise lerne, Songs zu schreiben, zu produzieren, die Song letztendlich so klingen zu lassen, wie ich das möchte. In der Vergangenheit war ich immer am Ausprobieren und Experimentieren und war am Ende glücklich mit dem Ergebnis. Es war eine Sache der Entwicklung.

Denkst du, dass du jetzt das Beste heraus geholt hast, an der Spitze bist?

Keine Chance, vergiss es, da ist auf jeden Fall noch mehr drin. Es liegt noch ein langer Weg vor uns.

Wie siehst du die Aussage von "Futurperfect"? Ist sie positiv, oder eher negativ?

Öh, so jetzt im kurzen? Schwer zu sagen. Es ist von beidem etwas, sozusagen: "Schau dich um und sag mir, was du siehst." Anstatt einfach nur zu denken, das man eh nichts ändern kann, sollte man sich nicht damit abfinden, sondern es versuchen, denn man kann immer etwas ändern, jeder einzelne. Wenn man will kann man verdammt viel verändern, sei es im Privatleben oder sei es in der Gesellschaft. Wir leben in einer sehr dunklen und orientierungslosen Zeit, wir wissen irgendwie nicht, wohin es eigentlich geht und die Probleme werden nur noch größer, wenn wir die Finger nicht aus dem Arsch nehmen und endlich etwas unternehmen. Das weißt du, das weiß ich, das sollte eigentlich jeder wissen, schließlich offenbare ich hier nichts elementar Neues.

In dem Essay, der auch auf eurer Homepage zu finden ist, sprichst du vom Verlust von Glauben und Vertrauen. Denkst du, dass ein Gott überhaupt noch notwendig ist?

Weiß nicht, aber Religion hat ja an sich nichts mit Aberglauben zu tun. Da ist ja mehr, als nur Geburt, Aufwachsen, Sterben und in Staub verwandeln, ich glaube nicht, dass es damit dann einfach vorbei ist. Schließlich war man vor ein paar hundert Jahren noch davon überzeugt, dass die Erde flach ist und man über den Rand stürzt, wenn man sich zu weit von der Mitte entfernt. Ich denke in der Zukunft wird man erkennen, wie ignorant wir doch waren, vom Tod als absolutem Ende auszugehen. Ich bin auch ein sehr skeptischer Mensch, aber die eine gute Sache, die ich in Religionen sehe, ist die, dass sie den Menschen einen Halt, eine Führung geben, so etwas wie eine Orientierung und daran kann ich nichts Falsches sehen. Es schwingt natürlich auch sehr viel Negatives bei Religionen mit, aber der Grundgedanke ist positiv. Wie können wir aber so vermessen sein, zu denken, wir wären besser als Gott? Hey, wir brauchen keinen Gott mehr, wir haben einen Computer, ha! Wir hier im Westen sind inzwischen auf so einem verdammt hohen Level der Arroganz, dass wir uns echt für die absolute Krönung der Schöpfung halten. Warum wundern wir uns eigentlich, dass nicht alle Länder unsere ach so wundervolle Demokratie übernehmen wollen? Hey, Demokratie ist an sich ne feine Sache, aber wenn man in manchen Städten abends nicht vor die Tür kann, wegen der hohen Kriminalitätsrate, wenn man die Bilder von Vergewaltigungen und Drive-by-Shootings sieht, dann würde ich auch zweimal überlegen, ob die Demokratie, die mir da angeboten wird, wirklich so verlockend ist.

Würdest du sagen, dass "Futureperfect" den Menschen die Möglichkeit bietet, dieser traurigen Realität für die Dauer der CD zu entfliehen?

Nicht unbedingt, es bietet eher so etwas wie eine Alternative zur Realität an. Eine Welt, in der diese Probleme erst gar nicht aufgetreten sind. Ich betrachte die Vergangenheit mit ihren Werten, die wir dummerweise fallen gelassen haben und kommentieren die Gegenwart von diesem Standpunkt aus. Ich sage: "Denkt mal darüber nach. Ist es wirklich das, was ihr wollt?" Unsere Musik hat schon immer Leute zu irgendwelchen Gedanken oder Taten verleitet, die mich immer wieder sehr erstaunen und auch glücklich machen. Wenn ich von solchen Dingen dann erfahre, macht mich das unheimlich stolz. Durch unsere Musik können wir Menschen mit absolut unterschiedlichen Background zusammen bringen, das ist schon eine feine Sache. Dieses Gefühl des Zusammengehörens möchte ich weiter geben und verbreiten. Das Leben ist nicht immer besonders schön, aber wie sagten sie in Matrix: "Die Menschen sind erst glücklich, wenn sie leiden."

Warum wird es von der "Beloved" Single zwei Versionen geben?

Ich mag es nicht, Singles mit drei Songs zu veröffentlichen. Wir hätten eine EP rausbringen können, mit den entsprechenden Songs der Singles, oder eben zwei Singles mit unterschiedlichen Tracks. Das Problem bei EPs ist, die gehen nicht in die deutschen Charts und da wollten wir nun mal rein. Die Fans können so auch frei entscheiden. Wenn sie sich beide Singles zulegen, zahlen sie in etwa den Preis, den sie für eine EP hätten hinblättern müssen. Sie können aber auch einfach nur eine von beiden kaufen. Das hat also nichts mit abzocken zu tun. Wie gesagt, dadurch, dass wir es in die Charts schaffen, können wir hoffentlich ein paar Türen öffnen. Vor Jahren hätte man Radiohead nie im Leben im Radio oder im Fernsehen laufen lassen, aber die Zeiten haben sich geändert. Warum sollen sie sich nicht wieder ändern, so dass wir diesmal was davon haben?

Es war ja ursprünglich geplant die Single am 07.02. rauszubringen. Woran ist es gescheitert?

Wir mussten das Ganze auf Ende März verschieben. Das lag an vielen Gründen, auf die ich hier aber nicht näher eingehen will. Es lag aber auch daran, dass unsere Tour ja Anfang April beginnt und deshalb ist es nicht schlecht, dass die Single kurz zuvor erscheint. Ein weiterer Grund war, dass eines unserer Konzerte in den USA gebootlegged und übers Internet ausgestrahlt wurde. Somit hatten einige Leute "Beloved" schon lange, bevor das Album überhaupt erschien. Ich finde die Idee, dass man Musik übers Internet verbreiten kann, an sich nicht schlecht, aber das hat mich wirklich angekotzt. Vor allem, als ich in den Staaten drei Tage später in einen Club in San Francisco ging und der DJ auf einmal "Beloved" laufen ließ. Den Leuten hat es fantastisch gefallen, aber mir ist beinahe der Unterkiefer abgehauen. Ich liebe den Song einfach zu sehr.

Die Frage, welcher Song dir auf der Scheibe am besten gefällt, ist dann wohl auch müßig?

Ja, schon, die hab ich mehr oder minder gerade beantwortet, haha. Das Witzige daran ist, dass ich den Song erst eine Woche vor der Tour geschrieben habe. Das ist kein Witz, das Teil war ursprünglich auch als Instrumental geplant. Das war eher ein Zufall, dass da überhaupt Text dazu kam. Ich wollte aber unbedingt Text dazu haben. Die Melodie existiert in Grundzügen schon seit zwei Jahren und ich wollte den Song auf dem Album haben. Als ich mich dann wieder daran setzte, hat sich das irgendwie verselbstständigt. Es wurde immer mehr Text, die Ideen flossen nur so aus mir heraus. Es geschah einfach und ich bin sehr Stolz darauf.

Ist das der übliche Weg für dich, Songs zu schreiben.

Ja, schon irgendwie. Viele meiner Songs entstehen durch Zufall, "Solitary" zum Beispiel. Naja nicht ganz, ich hatte diese Gesangslinie in meinem Kopf und auch den Text schon mehr oder minder, was fehlte, war die Musik, der Style, der Ausdruck. Der Zufall kam dann ins Spiel wo es darum ging, den Text mit der Musik zu verbinden. Es war ein guter Zufall. Es kann eben sein, dass du einfach eine tolle Melodie auf einmal im Kopf hast, um die du dann den Song entwickelst.

Wird es Festivals dieses Jahr geben?

Ja jede Menge. Wär doch doof wenn es dieses Jahr keine gäbe. Und bevor du fragst, es wird auch wieder Weihnachten geben, Eddy, ganz bestimmt.

Klugscheißer, spielt ihr auch auf einem?

Klar werden wir spielen, ist aber noch nicht ganz raus, wo und wann. Wir haben insgesamt mal drei ins Auge gefasst. Wir wollen die nicht überfüttern. Manche Bands treten echt überall auf und dann kann das schon beinahe auf den Sack gehen. "Was The Cure schon wieder, ach du liebe Scheiße!"

OK, dann die letzte Frage, die vor allem für meine Freundin wichtig ist ...

Ob ich sie heiraten werde, nö, tut mir leid Eddy. Da spiel ich nicht mit. Ihr Deutschen seid ja schon ganz schön strange.

Aber ihr Briten habt keinen an der Waffel, oder? Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du dich nach dem Konzert in Mainz auch mal vor der Bühne blicken lässt um Autogramme zu geben?

Auf jeden Fall, wie gesagt, der Kontakt zu den Leuten ist mir sehr wichtig. Ich denke da lässt sich auf jeden Fall was machen. Bis dahin.

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