laut.de-Kritik
Ronan Harris mutiert zum waschechten Rock'n'Roller.
Review von Michael EdeleDas neue VNV Nation-Album "Judgement" steht an und Ronan Harris schreckt mal wieder nicht davor zurück, mit seinen Jungs auf Tour zu gehen, ehe die Scheibe überhaupt in die Regalen kommt. Vollkommen zu Recht, denn acht von zehn Hallen werden voraussichtlich ausverkauft sein, wie mir der kleine Ire vor dem Auftritt nicht ohne Stolz erzählte. Einmal mehr haben VNV Nation aber zwei amerikanische Vorbands im Programm, von denen Ronan sichtlich begeistert ist.
Das Publikum hat offensichtlich ebenfalls kaum Probleme, sich mit dem Duo Modulate anzufreunden, die mit tanzbarem EBM/Techno die ersten paar Minuten rumbringen. Musikalisch war das nicht unbedingt mein Baustelle, aber zumindest wurde es nicht langweilig. Vor allem nicht, wenn man den Dummer ein wenig genauer betrachtete. Der war genauso notwendig wie ein dritter Daumen und hatte auf den Sound so viel Einfluss wie die Schweizer Gebirgsjäger auf Ebbe und Flut. Schon blöd, wenn man auf seine E-Pads klöppelt, aber kein Ton rauskommt, der Beat aber andererseits läuft, während man noch dasteht und versucht cool auszusehen ...
Ob das bei den folgenden Imperative Reaction auch der Fall war, vermag man bei E-Drums ja nie zu beschwören. Jedenfalls hat der Kerl hinter den Drums auch exakt das gespielt, was vorne rauskam. Seine beiden Sidekicks (sollten das nicht eigentlich insgesamt vier sein?) sind deutlich unterhaltsamer als Modulate. Als alter Rock'n'Roller werde ich wohl nie verstehen, warum man auf Tour geht, wenn alles nur aus der Dose kommt, und noch nicht mal Gesang dabei ist.
Das sieht bei Imperative Reaction aber, wie gesagt, schon anders aus, denn die haben nicht nur einen etatmäßigen Sänger, sondern sogar hinter den Keys noch einen Zweiten. Musikalisch liegen sie irgendwo zwischen Zeromancer und Orgy und sorgen damit für ordentlich Stimmung im Publikum. Allerdings hatte ich den Eindruck, das beiden Sängern nach den ersten vier Songs ein wenig die Luft ausging. Ich mag mich aber auch getäuscht haben.
Aber eigentlich waren alle nur wegen VNV Nation nach Frankfurt gekommen, um die Batschkapp komplett zu füllen. Kaum gehen die Lichter aus und die Apple-Logos der Rechner strahlen rechts und links von Micks Drumset auf, geht die Batsche ab, wie man es eher bei einem Rock-Konzert erwartet. Ronan hat ja noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein alter Punkrock-Fan ist und vor allem die Energie dieser Musik mag und genau so stachelt er jetzt sein Publikum an.
Wie ein Flummi rennt er stets über die Bühne, aber es fehlte nicht mehr viel zu einem "Scream for me, Frankfurt!". Ein Entertainer par excellence war Ronan ebenfalls schon immer, aber jetzt scheint auch noch zum Rocker zu mutieren. Für mich war es jedenfalls das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie die komplette Batschkapp tanzt. Zwar blieben die Fans zu jeder Zeit friedlich, doch der Sänger ließ keine Möglichkeit aus, seine Zuschauer in den Auftritt mit einzubeziehen.
Selbst bei den neuen und somit den meisten bis dato unbekannten Songs gibt es kein Halten. Als Zwischenrufer hat man bei VNV Nation allerdings ganz schlechte Karten, denn Ronan hat eigentlich auf alles sofort eine Antwort parat. Als VNV Nation für die erste Zugabe auf die Bühne zurückkehren, ruft irgendeiner "Zickezacke" - ob als Songwunsch oder spontane Äußerung des Kleinhirns, bleibt wohl sein Geheimnis. Ronan meint dazu nur: "Nun, wie es der Zufall will, wird einer der Songs auf dem neuen Album tatsächlich "Zickezacke" heißen. Der Lippenstift, den sie tragen, Sir, ist übrigens echt wundervoll! Ich kann zwar von hier oben im Publikum überhaupt nichts sehen, aber das steht dir echt gut."