10. August 2012

"Unsere Ohren weisen uns den Weg"

Interview geführt von

Walk The Moon sind auf der Höhe der Zeit. Zu ihrem Konzert im Münchner Club 59:1 Anfang Juli erscheinen über 200 Gäste – obwohl ihr Albumdebüt erst einen Monat später ansteht. Das Internet macht's möglich. Die Twens aus Cincinnati haben sich nach dem frühen Police-Klassiker "Walking On The Moon" benannt.Weitere Gemeinsamkeiten ergeben sich eher mit den Beatles. Vor dem Konzert hievt Sänger und Keyboarder Nicholas Petricca, fleißig wie ein Bienchen, beim Umbau Kabel und Instrumente auf die Bühne. Mit seiner Nickelbrille und den unbearbeiteten Haaren sieht er aus wie John Lennon, der sein "Working Class Hero" anstimmen will.

Derweil bemalt Bassist Kevin Ray euphorische Fans im Gesicht mit Jahrmarktschminke – man denkt unweigerlich den Lennon weiter zu dessen Zirkusklamauk "Being For The Benefit Of Mr. Kite!" aus dem Summer Of Love. Gitarrist Eli Maiman freut sich neben dem Auftritt unbändig auf den nächsten Tourstopp Amsterdam. Und Sean Waugaman ist ganz Schlagzeuger: Besonnen und selbstkritisch im Gespräch.

Wisst ihr, was ihr mit Sting neben dem Namen Walking On The Moon hier und heute noch gemeinsam habt? Sting schrieb den Police-Song "Walking On The Moon" in München. Nach einer durchzechten Nacht fiel er ins Bett, als ihm dieses Riff durch den Kopf schoss. Er schreckte hoch und ging im Zimmer umher und säuselte mantraartig "Walking round the room, walking round the room." Weil ihm dieser Titel zu einfältig erschien, modelte er ihn zu "Walking On The Moon" um. Kann euch so etwas morgen auch passieren, verkatert mit einem Gassenhauer aufzuwachen?

Nicholas: Wir verfolgen die Philosophie, dass ein Song überall entstehen kann. Oft ertappen wir uns beim Soundcheck oder unterwegs dabei, wenn jemand eine Melodie summt oder einen neuen Klang austüftelt. Auf diese Weise haben wir schon Hunderte von Liedideen aufgenommen und ausgearbeitet. Vielleicht auch morgen.

Eli: Aber morgen wachen wir in Amsterdam auf. Wenn wir erst einmal dort sind: Wer weiß, was da passieren wird?

Euer erster kleiner Hit, "Anna Sun", ist nicht bloß ein Name-Dropping, mit dem Nicholas eine ehemalige Lehrerin besingt. Es ist der Blick in den Rückspiegel, in eure Vergangenheit. Der Sound selbst ist auf der Höhe der Zeit und hip. Wie viel Vergangenheit sollte heute noch in der Popmusik stecken?

Nicholas: Aus dem Erlebten schöpfe ich außerordentlich viel Kraft, Emotion und Kreativität für unsere Musik. Gerade, wenn wir Lieder schreiben oder proben, fällt oft einem von uns auf: "Hört ihr nicht den Beatles-Teil heraus?"

Kevin: Bevor man Musiker wird, sollte man so viel Repertoire wie möglich aufsaugen. Wir alle erhielten von Kindesbeinen an Plattenempfehlungen von Eltern und Freunden. Man muss schließlich wissen, woher die moderne Musik stammt, wenn man versuchen will, sie zu verstehen.

"Die meisten Bands sind doch eher No-Hit Wonders als One-Hit Wonders."

In einem Video-Interview wurdet ihr einmal gefragt, was euer Liebling unter all den One-Hit Wonders sei. Eli antwortete darauf im Spaß: "Walk The Moon". Was wäre, wenn euer größter Song zu eurem größten Albtraum würde?

Eli: Ich denke, wir tun gut daran, uns ständig vor Augen zu führen, was wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben. Alles begann in den Bars von Cincinnati, wo wir wirklich dankbar dafür waren, wenn im Publikum 50 Leute standen. Heute spielen wir im 59:1 in München, unzählige Meilen von daheim entfernt und haben im Vorverkauf bereits 180 Karten abgesetzt.

Ohne eine Album-Veröffentlichung hierzulande vorweisen zu können.

Eli: Genauso ist es. Das erreicht und viele hervorragende Festivals und Gigs mit unzähligen, fantastischen Bands gespielt zu haben, ist wie ein wahr gewordener Traum. Manchmal wünsche ich mir, es ginge so weiter und wir brächten nach einiger Zeit eine CD heraus, auf der alle unsere Nummer 1-Erfolge der vergangenen zehn Jahre versammelt sind. Aber wenn das nicht auf diese Weise klappen sollte, so hoffe ich, dass wir wenigstens von unseren Reingewinnen leben können. Denn wir sind in allem anderen schlecht, da verringern sich die Überlebenschancen.

Kevin: Immer wieder sieht man Künstler, die von sich selbst angewidert sind, wenn sie ihren größten Evergreen aufführen. Aber ich denke, man sollte sich vergegenwärtigen, dass viele im Publikum diesen oder jenen bestimmten Song eben im Konzert noch nicht gehört haben. Sie haben lange Zeit darauf gewartet und entdecken ihn just in diesem Moment neu. Als Band absorbiert man diese Energie, die von den Zuschauern rückgekoppelt wird. Das spüren wir vor allem bei "Anna Sun".

Sean: Ein One-Hit Wonder bringt nicht unbedingt nur Schlechtes mit sich. Die Menschheit wird sich womöglich auf ewig deiner erinnern. Damit hast du dir ein Denkmal gesetzt. Vielleicht sehen wir es doch einmal umgekehrt: Vielen gelingt es nie, die Speerspitze der Charts zu sein. Und die meisten Musikgruppen sind doch eher No-Hit Wonders als One-Hit Wonders.

Das, was ihr spielt, ist sehr gefällig und sehr schmissig. Ihr selbst habt das "Indie-Fiesta-Pop" genannt. Wie viel Platz bleibt neben dem Tanzen, den Gruppengesängen und dem Synchronklatschen für das Denken über eure Musik, vor allem im Konzert?

Sean: Ich denke, die Musik, der Sound steht über allem. Er ist heilig. Wir bauschen unsere Shows auch nicht mit unnötigen Bühnenrequisiten auf. Eines unserer ersten Crew-Mitglieder war der Mischer. Wir lenken unser Augenmerk darauf, den Sound der Platte live ebenbürtig abrufen zu können.

Eli: Und wir erzeugen die Fiesta nicht abseits von der Musik. Sie steckt mitten in ihr. Wenn Sean auf seine 'Fat Beats' verzichten würde, dann käme es zum Dominoeffekt: Niemand tanzt und genießt die Zeit mit uns. Die Party kommt also direkt aus Seans rechtem Fuß.

Ein Titel vom neuen Album ist die kummervolle Ballade "Iscariot". Wer ist dieser Verräter Judas Iscariot in eurem Fall? Bezieht ihr euch hierbei auf ein Vorkommnis?

Nicholas: Wenn ich Texte schreibe, nehme ich Bezug auf Autobiographisches oder das Weltgeschehen. Doch genauso spornen mich Songwriter wie Billy Joel, Paul McCartney oder John Lennon an, die viel Storytelling in ihren Texten vorweisen können. Sobald mein Stift das Schreibpapier berührt und auch wenn das Thema tatsächlich der Wirklichkeit entsprang, entstehen bei diesem Vorgang neue Charaktere und neue Wirklichkeiten. "Iscariot" handelt von einem Denunzianten, von jemandem, der mich stark verletzt hat. Der Ausgangspunkt war demnach real, aber der Songtext als Endprodukt trug seine eigene Geschichte in sich.

"Selbst wenn dieses Album floppt, können wir uns noch vor unserem Publikum blicken lassen."

Ist das Face-Painting, das ihr mit den Fans seit einiger Zeit praktiziert, mittlerweile zu einem Marketing-Tool geworden? Man weiß: Flippig und bunt - Walk The Moon müssen in der Stadt sein.

Nicholas: Das Schminken in schrillen Farben wurde auf unbeabsichtigte Weise zu unserer Visitenkarte. Schon vor unserem Label-Deal war dies unser Erkennungs- und Identifikationsmerkmal, das wir mit den Fans teilten. Weil wir sie bis heute vor den Konzerten bemalen, ist das für sie eine gute Gelegenheit, uns mit Fragen zu begegnen und über Walk The Moon zu sprechen. Hinzu kommt, dass sie die Schminke abwaschen müssen sich noch einmal aktiv mit dem Geschehenen auseinandersetzen. Ob unmittelbar nach dem Konzert oder am Morgen danach. Insgesamt hat sich das Face-Painting als facettenreicher Bonus herausgestellt.

Kommen wir zum Album. Ihr seid elf Monate damit schwanger gegangen, bis es zumindest in den USA erschienen ist. In Deutschland steht eine Veröffentlichung Anfang August an. Wie war bislang der Verkaufsverlauf?

Kevin: Wir sind uns nur rudimentär darüber bewusst, allerdings haben wir in da keine Erwartungshaltung. Nach der Veröffentlichung fiel erst einmal sämtliche Last von unseren Schultern. Wenn unsere Verkaufszahlen schlecht sind, können wir ohnehin nicht viel dagegen tun. Aber sie sind es nicht. Im Gegenteil, sie sind sogar gut.

Eli: Wir können uns über eine loyale Fanbase gar nicht genug glücklich schätzen. Und selbst, wenn dieses Album floppt, können wir uns noch vor unserem Publikum blicken lassen. Es wird da sein.

Um noch einmal zum Anfang zurückzukehren: In seiner Autobiographie erwähnt Sting, dass der Police-Song "Walking On The Moon" teilweise von seiner damaligen Beziehung zu einer gewissen Deborah Anderson beeinflusst war. Von welcher Muse wurdet ihr denn geküsst?

Nicholas: Zu einem guten Musiker gehört, dass er auch ein ausgezeichneter Musikhörer ist. Damit meine ich, sich selbst herauszufordern und und nach dem Warum und den Abläufen dahinter zu fragen, wie z.B.: Was hat für mich ausgerechnet dieser Moment in diesem Song, den ich so liebe, für einen Mehrwert? Um die vorherige Frage nach den Lyrics noch einmal einzubeziehen: Die Geschichten der von mir genannten Songwriter haben außergewöhnliche Figurenzeichnungen. Und manchmal verlieben wir uns beispielsweise in einen Drum Fill eines Phil Collins Songs. Dann stellt sich die Frage: Wie können wir dieses Gefühl, das Collins hineingab, replizieren, ohne die Idee tumb zu stehlen? Ein weiterer Faktor ist die Persönlichkeit. David Bowie und David Byrne haben jeweils ein unglaublich knalliges und identifikationsstiftendes Naturell. Das ist natürlich etwas, was wir unseren Liedern und Performances einflößen.

Eli: Ein ehemaliger Musiklehrer sagte einmal zu mir: Lerne so viel du kannst mit höchstem Eifer, vergiss es danach und spiele einfach nur deine Musik. Ich denke, hierzu gibt es eine Parallele zum Songwriting. Wir haben uns inständig mit etlichen Komponisten und Textdichtern auseinandergesetzt. Und nun verhalten wir uns sehr instinktiv und folgen unseren Ohren. Denn sie sagen uns, was zu tun ist.

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