laut.de-Kritik
So fühlt es sich an, wenn die Familie mal wieder zusammenkommt.
Review von Cathrin HauswaldLange nicht mehr zuhause gewesen? Eine Alternative wäre der Besuch eines Wir Sind Helden-Konzerts. Genau so fühlt es sich an, wenn die Familie mal wieder zusammen kommt. Dass an dem Familienfest mehrere tausend Menschen teilnehmen, tut dieser Atmosphäre keinen Abbruch.
Denn wenn Judith Holofernes und ihre drei Mannen die Bühne in Beschlag nehmen, lässt das ein Gefühl von vertrautem Heimspiel aufkommen. Das erinnert irgendwie an Apfel, Milch, Honig und Keksen auf dem Tisch. Wie zuhause eben. Wie bei Mutti. Aber völlig zu Recht -Fronterin Judith ist ja mittlerweile auch Mama.
"Es soll geschwitzt werden, das ist ein Rockkonzert," verkündet sie früh und macht selbst vor, wie das geht. Man sieht Frau Holofernes in bester Tanzmanier fröhlich über die Bühne kreiseln. Frage: Ist das Arbeit? Wenn das Konzert mit der "(Ode) An die Arbeit" beginnt, klingt das, als wolle sich Judith selbst motivieren, dass macht jetzt Spaß. Los, an die Arbeit!
Oder Motivation für die Zuschauer: An die Arbeit, da müssen wir alle unseren Teil leisten, los, los, an die Arbeit, wir "Müssen Nur Wollen"!
Dabei sieht die Show nicht im Geringsten nach Arbeit aus. Flankiert wird die Sängerin auf der Bühne von Gitarrist Jean-Michel Tourette, Bassist Mark Tavassol.
Schlagzeuger und Ehemann der Pola Roy befindet sich etwas rechts von dem beschaulichen Grüppchen. Zur Verstärkung ist diesmal die dreiköpfige Bläsercombo "Piloten" dabei. Die steuern etwas Big Band-Zauber bei. Ungewohnt, aber völlig in Ordnung. Spannender. Jazzige Musikfetzen, die in der Stuttgarter Liederhalle umherschwirren und Songs wie "Echolot", "Gekommen Um Zu Bleiben" oder "Endlich Grund Zur Panik" ein neues bluesigeres Kleidchen anziehen.
Ohnehin präsentieren sich die Helden abwechslungsreich: Für das Intro verirrt sich der elektronische Sound in den Hip Hop. "Ist das so?" wird mit einer Ladung Ska abgemischt. Die Vielfalt versuchen sie auch visuell aufrecht zu erhalten. Videoprojektionen flackern während des gesamten Konzerts im Hintergrund. Mal wird das berühmt berüchtigte eine Wort "O" projiziert, dann einfach viele Beine, durcheinander im Splitscreen.
Auch leuchtet mal ein 80er Jahre-Farbengewimmel im Background, dann Flughafenzoll-Bilder mit durchleuchteten Taschen. Dazu rotieren auf der Bühne Scheinwerfer, die dem Titel "Von Hier An Blind" eine völlig neue Bedeutung verleihen: Dem Besucher auf der Empore wird an die vier Mal pro Minute mit gleißend hellem Licht die Sehfähigkeit ausgeknipst. Beim Augen reiben bloß nicht vergessen, dass man einem Rockkonzert beiwohnt. Sich trotz lädierter Netzhaut auf die Musik zu konzentrieren, ist so aber im wahrsten Sinne des Wortes eine Glanzleistung.
Das Publikum zeigt sich an diesem Abend handzahm, macht jede Woge mit und betet seine Helden göttergleich an. Da bleiben die meisten Augen zwar trocken, aber kein Bein still. Zugegeben, es handelt sich um ein echtes Fanpublikum. Hier ist sicherlich niemand gelandet, der Wir Sind Helden nur ganz nett findet. Und die geben sich auch alle Mühe, die Menge zu unterhalten. Altbekannte Kracher wie "Guten Tag", "Aurelie" und "Nur Ein Wort" sind im Gepäck, ebenso die aktuellen Hits von "Soundso".
Zugaben gibts zum Schluss und weils so schön war natürlich auch noch. Mit "Denkmal" wird die Pflichtübung komplettiert und zur kuscheligen, auf Englisch gesungenen Kür übergeleitet. Die knirscht ziemlich auf Holofernes nicht anglistisch geübten Stimmbändern. Macht aber nix, immerhin hält die Schmusemucke warm, wenn man wieder in die kalte Nacht zurück geschickt wird. Oder mit den Worten der Hauptprotagonisten: "Lass Uns Verschwinden".