laut.de-Kritik
Wenn du nicht reinpasst, sieh' zu, dass du herausragst.
Review von Dani FrommStudioalbum Nummer siebzehn: Über Tech N9nes Produktivität muss man angesichts der schieren Zahl vermutlich so wenig weitere Worte verlieren wie über seine technischen Fähigkeiten. Wer Ende 2016 noch nicht mitbekommen hat, dass der Mann a) bienchenfleißig und b) "really king of the choppers" ist, kann vermutlich auch noch immer keinen ordentlichen Caribou Lou zusammenpantschen.
So es solche von Mr. Aaron Yates' Schaffen bisher gänzlich unbeleckte Gemüter überhaupt noch gibt, man sollte ihren "The Storm" nur zusammen mit einem Warnhinweis zukommen lassen. "Obacht! Die Skills dieses Mannes können Kiefergelenken ernsthafte Schäden zufügen." Tech N9ne rappt mit tödlicher Präzision, vorwärts wie rückwärts, und das, sofern notwendig, in Geschwindigkeitsregionen, von deren Existenz andere noch nicht einmal Zeitrafferträume haben. Wissen wir.
Wir wissen, dass Tech N9ne in Kansas City zu Hause ist, wo er sich aus eigener Kraft zum "no. 1 independent rapper in the world" hochgearbeitet und aus dem Nichts ein Imperium erschaffen hat, komplett in Eigeninitiative. Dort, bei Strange Music, fanden, wir wissen das, zahlreiche gleich (oder zumindest vergleichbar seltsam) gelagerte Kollegen ein Obdach, die meisten davon schon dem Bat-and-Snake-Logo schon sehr lange treu ergeben. Ausnahmen wie Kutt Calhoun bestätigen diese Regel.
Tech N9ne, könnte man auch längst wissen, hat trotz seiner unbestrittenen Erfolge, trotz Kollaborationen mit den Big Playern im Hip Hop, trotz ausgedehnter, ausverkaufter Tourneen, trotz des Vermögens, das er mittlerweile allein mit Strange Music-Merchandiseartikeln eingefahren haben muss, schwer zu knabbern. Dass ihn Plattenindustrie und Mainstream dennoch ignorieren, dieser Stachel sitzt tief in einer schwärenden Wunde. Soweit bekannt, daran hat sich offenbar auch nichts geändert.
Was wissen wir noch? Na, dass sich Tech N9ne für Gottes und des Teufels Gemeinschaftsgeschenk an die Damenwelt hält. Hat er, Klappern gehört zum Handwerk, schon x Mal ausgebreitet. Kann er, so lange er das tut, wie er es eben tut, gerne noch weitere x Mal machen, wenn es nach mir geht. So lange größenwahnsinnige Oden ans eigene Gemächt so gut unterhalten wie "The Thing", so lange Tracks wie "Mind Kcuf" zwar so tun, als gehe es um eine dreckige Schlafzimmernummer, unter ihrer Oberfläche aber lauert etwas Verstörendes, weil noch um Welten Fieseres, so lange soll mir all das wunderbar Recht sein.
Das Hauptproblem an "The Storm": Wir wissen all das schon, und wir wissen es schon lange. Überraschungsmomente bleiben äußerst dünn gesät. Wenn es aber einen gibt, dann knallt er richtig. Etwa wenn der zweite Featuregast in "Sriracha" nicht nur mithält, sondern den Windschatten seiner beiden Vorredner nutzt, um Tech N9ne und Logic im aufgewirbelten Staub zurückzulassen. Was, bitte, war das denn? Wer war das - und warum hab' ich von diesem Joyner Lucas noch nie gehört?!
Nächster Name, gleiche Frage: Darrein Safron? Der, lerne ich, sollte zu "Get Off Me" ursprünglich die R'n'B-infizierte Hook beisteuern, was er auch tat. Er schickte aber wohl auch gleich den Beweis mit, dass er nicht nur singen, sondern auch spitten kann, wie er über dem creepy hallenden Beat, wie der Großteil auf "The Storm" von Produzent Seven ausgebrütet, fulminant demonstriert. Problem, hier ebenfalls an Bord, macht, wenn auch etwas weniger überraschend, eine kaum weniger gute Figur.
Dicker Punkt für Tech N9ne: Er versucht nirgends, das gleißende Licht seiner Gäste unter dem Scheffel zu halten. Dass das der eigenen Corona abträglich wäre, glauben ohnehin nur die ganz kleinen Geister. Trotzdem: Der Aufmarsch des, zumindest gefühlt, kompletten Strange Music-Künstler-Portfolios auf der Bonus-CD hätte nicht unbedingt sein müssen.
Da folgt auf die cool krude Mischung aus Rap und Neo-R'n'B in "Ignorance" Mackenzie Nicoles träges "Deleted", wiederum gefolgt vom gespenstisch-finsteren "Gridlock" der Ces Cru. Hernach feiert ¡Mayday!s Wreckonize seinen "Last Day Alive" zu einer wüsten, orientalisch gefärbten Melodie. Zwischendurch huldigt Tech N9ne (wieder einmal) erst "Kansas City", dann, in wie angesoffen schlingernden "Wet", diversen Flüssigkeiten, ehe Murs den für ihn eigentlich untypisch materialistischen "Colossus" markiert.
Weder Interpreten noch Ästhetik der Tracks passen richtig zusammen und lassen die Deluxe-Edition wie einen beliebig compilierten Label-Sampler wirken. Das eigentliche "The Storm" erscheint dagegen weit durchdachter strukturiert. Tech N9ne unterteilt sein Album in drei Sektionen, in denen jeweils eine andere Facette seiner Künstlerperson dominiert. In "Kingdom" regiert zunächst einmal der großspurige, narzisstische Poser.
Das Dark Carnival-Gefühl, das Singsang und Bläser in "Get It Off" wecken, leitet über nach "Clown Town", wo Sängerin Kate Rose genau so ein schräges Plätzchen findet wie Korns Jonathan Davis in der Rapmetalcrossoverorgie "Starting To Turn" oder die bluesige Country-Atmosphäre von "Poisening The Well". Komisch, hier fühlen sich solche Unvereinbarkeiten plötzlich gar nicht zusammengewürfelt an.
Für die Gangster gibts zuletzt noch einen Abstecher nach "G. Town", dessen erste Regel lautet: "No Runnin' To Ya Mama". Die zweite: Sogar Boyz II Men dürfen auf diesen Straßen singen. Alter, was man nicht alles in einen Topf werfen kann! Boygroup-Schmalz und garstige Attitüde, Rap, Screw und Klingeling - und am Ende erhält man einen Kiffertrack? Sachen gibts.
Mit "No Gun Control" tuten Tech N9ne, Big Scoop und Krizz Kaliko noch ein bisschen ins Horn der NRA: Für schärfere Waffengesetze scheint hier niemand etwas übrig zu haben. Wenn auch sonst nicht viel, so kann ich doch zumindest Big Scoops Standpunkt "I'm tired of being controlled" unterschreiben. Die US-amerikanische Denke, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten, will mir dennoch nicht in die Birne, auch nicht, wenn ich die mit einer tonnenschweren Atmosphäre wie von ollen, psychedelischen Rock-Platten um die Ohren gehauen bekomme und Gary Clark Jr. dazu die Gitarre gniedelt. Perspektivwechsel und Gedankenspielereien in "What If It Was Me": dann wieder deutlich leichter nachzuvollziehen.
Gar keine Verständnisschwierigkeiten habe ich bei diesem Credo: "So what I've come to realize is I will never fit in / So it's my duty to make sure that I stand the fuck out." Wenn du nirgends reinpasst, stell' sicher, dass du herausragst. Diese Anforderung an sich selbst hat Tech N9ne schon längst erfüllt. Siebzehn Mal und öfter.
4 Kommentare
Technisch krass, keine Frage, auf Dauer aber einfach nur anstrengend. Wenn mir in einer Minute 438.916 Silben um die Ohren fliegen, schaltet mein Gehirn aus Selbstschutz auf Durchzug und der Rest vom Lied geht vollkommen an mir vorbei. Für mich eher einer der weniger interessanten Strange-Music-Acts - Krizz Kaliko oder ¡Mayday! gehen tausendmal besser ins Ohr. Nach einem Hördurchgang gehen 3/5 für das Album aber gerade noch so klar, ich tendiere schon fast zu 2/5.
Rezi geht auf jeden Fall klar, dem Album fehlt ein roter Faden, wirkt zusammengewürfelt und ist auf Dauer definitiv anstrengend. Im Einzelnen überzeugen einige Tracks aber auf jeden Fall (Need Jesus, Hold on me, Siracha. Logics Part auf Letzterem ist echt krass. Kommt von dem eigentlich bald mal neuer Output? Under Pressure fand ich durchgehend naise.
Bin bei Tech N9ne ausgestiegen..zuviel output./ gebt auch Prozak von Strange Music !
Anspieltipp: Joyner lucas - "im sorry". Für mich der stärkste track in ganz 2016. Er hat heuer bei Atlantic records unterschrieben, da wird nächstes Jahr sicherlich was kommen.
Für tech auf Albumlänge gilt das hier bereits Gesagte - dope aber auf Dauer zu anstrengend