laut.de-Kritik
PJ Harvey-Splitter, die einem den Rachen aufreißen.
Review von Magnus HesseDiese neun Songs wollen erstmal verdaut werden: Mackenzie Scott alias Torres serviert uns mit ihrem zweiten Album ein bittersüßes Substrat, allerdings inklusive Splittern, die einem den Rachen aufreißen. Über Post-Grunge-Slacker-Gitarren erhebt die 24-Jährige mit eisernem Ernst ihre Stimme.
Nicht selten entsteigt diese mit der wuchtigen Urgewalt einer erzürnten Göttin, etwa in "Son You Are No Island", schaurig verzerrt und gebieterisch warnend. Darunter erstreckt sich ein bedrohlich-surrealer, irgendwie unberechenbarer Pop, der doch so unmissverständliche Motive hervorbringt wie die allseits als Vergleich angeführte PJ Harvey. Wen wundert es da, dass mit Robert Ellis und Ian Olliver auch zwei Gefolgsleute der Ikone auf "Sprinter" mitmischten?
Im tapferen "New Skin" führt Torres zum Ende eine Armee aus kampfbereiten E-Gitarren an und lässt ihre Stimmbänder entschieden erbeben. Dabei tastet sich die Nummer zunächst mit einer verträumten Figur vor, bevor Miss Mackenzie im Refrain ihre Faust ballt und den verschütteten Schmerz mit aller Inbrunst wieder an die Oberfläche trägt.
Selbst defensive, gebrechlichere Passagen wie in "Proper Polish Welcome" treiben vorwärts, stets hadernd, zeternd und aufwühlend. Sie lockt den Hörer in ihre verhangene Seelenwelt. Der Opener "Strange Hellos" gibt sich derweil entnervt von der Aufgesetztheit ihrer Umwelt und sendet Giftpfeile in Richtung einer Bekannten.
Schon bei diesem Alternative-Brett wird klar, dass es die junge Frau aus Nashville bitter ernst mit ihrer Musik meint - auch und vor allem als Leidenskatalysator. "Sprinter", der geradlinigste Track, braucht nur vier unspektakuläre Akkorde, um aus einer saloppen Strophe in Agonie zu kippen.
Meist arbeitet Torres kleine Klang-Accessoires, Filter und Hintergrund-Keys in in ihre Arrangements ein, die zwischen Dreampop und Shoegaze baumeln. Hier sticht das das Zutun von Portisheads Adrian Utley heraus, der im Hintergrund mitwerkelte und die Platte produzierte.
Das andächtige "Ferris Wheel" brennt so still und langsam runter wie eine Gedenkkerze. Den ultimativen Stillstand beherrscht sie ganz gut. Im maximal zurückgenommenen "Exchange" bekennt die nach ihrem verstorbenen Großvater benannte Sängerin mit brutaler Ehrlichkeit "I'm under water and I don't think you can pull me out of this". Die Worte können das Gewicht kaum tragen, das ihnen die Stille auferlegt, die nur von akustischen Gitarren-Einsprengseln entsteht. Und doch ist dieser Zweitling am Ende keine vertonte Nahtod-Erfahrung, die sich in Selbstmitleid ergießt.
Mit dem Rücken zur Wand überwindet Torres nicht nur ihre eigenen Hemmschwellen, sondern verlangt einem auch als Hörer einiges ab. Ihr Album ist eine verwegene Pop-Dystopie geworden, die meilenweit entfernt ist von weichlichem Warmduscher-Singer-Songwriter-Gewimmer.
2 Kommentare mit einer Antwort
Ein wunderschönes Album, wie auch schon der Vorgänger.
Nebenbei: Wenn jedesmal, wenn zu einer Künstlerin Assoziationen mit PJ Harvey, Björk oder Kate Bush aufgeworfen werden, 5€ für notleidende Künstler gespendet würden, käme ein ordentliches Sümmchen zusammen.
Cooles Album! Schon der Vorgänger hat mich aufmerksam werden lassen. Lustigerweise hab ich Videos vom Liveauftritt bei SXSW gesehen, die einfach nur gottenschlecht waren, aber die Alben sind Zucker.
Leider täuscht (zumindest mich) der erste Eindruck. Das Gegenteil eines Growers - kann die Platte mittlerweile nicht mehr hören.