laut.de-Biographie
Egotronic
Die Bandgeschichte von Egotronic-Boss Torsun Burkhardt beginnt recht früh. Im zarten Alter von dreizehn spielt er in seiner ersten Punkband noch klassischen Deutschpunk. Für eine Band aus der Kleinstadt Bensheim südlich von Frankfurt keine schlechte Stilrichtung. Bald entdeckt Torsun den Hardcore für sich und sattelt um. Ende der Achtziger bis Anfang der Neunziger Jahre spielt er in der Hardcoreband Face Reality. Parallel gründet er die Punkband Kalte Zeiten mit. Mit dieser Formation macht er erste Tour-Erfahrungen und nimmt erstmals etwas auf.
Nach einer Weile beschließt er den Alleingang, weil er mehr in Richtung Synthie-Sound gehen möchte. Mit Enter Hoerm, einem Freund aus einem Punk-Haus in Bensheim, gründet er Verstrahlte Sektorkids, die eine Mischung aus Punk und Neue Deutsche Welle spielen. Doch schon bald hat Torsun keinen Bock mehr auf die Band, da ihm ihre Dynamiken generell nicht so sehr liegen. Er gründet 1996 alleine König Ego, den ersten Output spielt der Autodidakt komplett selbst ein und tendiert damit in Richtung Pop, erst recht als zwei Techno-Musiker einsteigen. Allerdings zerschlägt sich das Projekt auch bald, der Name bleibt jedoch vorerst.
Vorbilder für Torsun sind in dieser Zeit die Platten "Neu!" und "70 Minuten Musik Ungeklärter Herkunft" von Andreas Dorau. Sie sind letztlich der Grund dafür, dass Torsun nur noch elektronische Musik machen möchte. Mit Hoerm und einem dritten Mitstreiter betreibt er König Ego weiter. Hoerm und Torsun ziehen jedoch bald darauf nach Kassel, so dass König Ego auch in dieser Besetzung nicht lange bestehen bleibt. Ende 2000 nennt er die Band in Egotronic um. Die Band mit dem C64-Sound ist geboren. "Zu Anfang war das fast ein Dogma, da habe ich fast ausschließlich C64-Sounds gemacht," erinnert sich Torsun.
Mit einem alten Atari, einem Akai-Sampler und einem C64 sampelt Torsun Spielesounds und bearbeitet sie mit einer C64-Sound-Software. Die Musik ist gewöhnungsbedürftig, und so will zuerst kein Mensch Egotronic buchen, erst ab Ende 2001 sieht man sie öfter auf Bühnen. Hoerm ist irgendwann wieder mehr dabei und wird so zum zweiten festen Mitglied. 2002 steuern sie einen Song für den Sampler "Geräusche Für Den Tag Danach" bei. Eigene Gehversuche mit einem Label scheitern recht schnell, weswegen Torsun sich in der Folge wieder voll auf Egotronic konzentriert. 2003 steigt der Songwriter dann auf PC um und mit der Zeit verändert sich der Klang von Egotronic. Eine Konstante der Band ist ihre politische Positionierung. Im Umfeld der antideutschen Fraktion innerhalb der Linken müssen Egotronic mitunter viel diskutieren, bei Konzerten kommt es hin und wieder zu Streitigkeiten mit dem Publikum. Musikalisch beteiligen sich die Tüftler 2003 und 2005 an weiteren Samplern, 2005 landet die Nummer "Luxus" schließlich beim Hamburger Label Audiolith, der Beginn einer langen Liebesbeziehung.
Im Herbst 2005 touren Egotronic erstmals in Russland, wo sie ganz ohne Album gefeiert werden wie Helden. "... Die Richtige Einstellung" wird in Hamburg im Studio von Plemo aufgenommen und erscheint als Mischung aus alten und neuen Songs im April 2006. Kurz zuvor macht Torsun mitten im WM-Fieber deutschlandweit Schlagzeilen mit einer eigenen Version des englischen Fußballlieds "Ten German Bombers". Im Sommer 2007 geht Torsun zurück ins Studio, um mit Johnny Weltraums Hilfe das zweite Album einzuspielen. "Lustprinzip" erscheint im Oktober und enthält elf Tracks, unter anderem den Publikumsliebling "Raven Gegen Deutschland". Auf die Unterstützung von Hoerm muss Torsun in Zukunft verzichten, der kümmert sich ab Mitte des Jahres wieder verstärkt um sein Studium. Eine gute Gelegenheit, den Liveauftritt neu zu konzipieren. Mit der neuen Platte heißt das Lineup kt&f am Rechner, Endi am Umhängekeyboard und Torsun am Mikro. Diese Formation feiert am 25. Oktober 2007 im Berliner Eel Pie Premiere.
Im Sommer 2008 geht für Torsun ein Jugendtraum in Erfüllung. Er singt zusammen mit Walter Schreifels, seinem Helden aus Gorilla Biscuits-Tagen, eine Nummer des selbstbetitelten Albums ein. Zwei Jahre später schieben Torsun und Co. "Ausflug Mit Freunden" nach. Das Cover-Artwork ziert ein Remake des Bildes, das bei der Geiselnahme in Gladbeck entstand, auf dem der Entführer Dieter Degowski der Geisel Silke Bischoff eine Pistole an die Kehle setzt. Schon ein Jahr später folgt dann "Macht Keinen Lärm", das das zehnjährige Bandjubiläum feiert.
2014 steht dann unter dem Motto "Die Natur Ist Dein Feind". Der Longplayer enthält mit "Die Band Der Vollidioten" einen Track, der sich mit den Südtirolern von Frei.Wild auseinandersetzt und deren Song "Das Land Der Vollidioten" ("Hart Am Wind") aufs Korn nimmt. Was folgt, ist abzusehen: Hirnlose Frei.Wild-Fans veranstalten in Sozialen Netzwerken einen Shitstorm sondergleichen, der Torsun und seine Kumpanen aber wenig beeindruckt. Das Wort lassen sie sich von aufge- und erregten Fanbubis sicher nicht verbieten. Das merkt man auch dem 2015er Werk "Egotronic – C'est Moi!" an, auf dem die Gruppe einmal mehr den braunen Dünnpfiff anprangert, der in immer mehr bundesdeutschen Oberstübchen fließt. Auch auf ihrem neunten Studioalbum "Ihr Seid Doch Auch Nicht Besser" wedeln Egotronic wieder heftig mit dem Mittelfinger, den sie vor allem dem rechten Rand der Gesellschaft ins Gesicht drücken. Mit der Zeile "Gute Demokraten feiern heutzutage auch mit Rechtsextremen" spielen sie auf die Geburtstagsparty des Journalisten Matthias Matussek an, an der auch ein vorbestraftes Mitglied der rechtsextremen Identitären Bewegung teilnahm.
Zum 20. Bandjubiläum legen die Ravepunks 2021 "Stresz" vor und laden zur Feier ihr Idol Andreas Dorau ein. Anschließend beschleicht Torsun das Gefühl, mit dem Projekt alles gesagt zu haben und so nimmt er 2023 mit den Stereotronics das Album "Songs To Discuss In Therapy" auf. Zuvor gibt er auf Social Media bekannt, dass er an unheilbarem Speiseröhrenkrebs erkrankt ist. Ein Grund mehr, sich weiterhin in Arbeit zu stürzen. Mit "Das Unbehagen in der Kultur - Ausgewählte Werke 2001-2021" kompiliert er Lieblingssongs und wichtige Momente im Schaffen seiner ehemaligen Band und kreiert so noch zu Lebzeiten sein musikalisches Lebenswerk.
Am 30. Dezember stirbt Torsun Burkhardt an den Folgen seiner Erkrankung. Der Sänger verabschiedet sich mit einem letzten Instagram-Post. "Das Bild hat sich Torsun für seine letzte Nachricht noch selbst ausgesucht und auch das 'Adieu!' stammt aus seiner Feder", erklärt seine Witwe Selina in ihrem Nachruf. Auch sein Label Audiolith schreibt einen langen, einfühlsamen Nachruf, in dem es u.a. heißt: "Seine ehrliche Warmherzigkeit, seine Zugewandtheit, seine sprudelnde Kreativität, sein unkorrumpierbarer Charakter, sein scharfer Verstand, seine Loyalität, seine ansteckende Lebensfreude, seine Lust am Disput und an der Diskussion und nicht zuletzt sein ausgesprochen guter Humor waren für uns die letzten 20 Jahre eine verlässliche Konstante in unserem Leben. Wir haben das immer für selbstverständlich genommen. Unser Freund Torsun war immer da. Leider ist das nicht selbstverständlich. Er ist nicht mehr da. Torsun ist gegangen, musste zu früh gehen. Wir sind ihm für immer dankbar."
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