8. März 2021
"Familie ist der Fels in der Brandung"
Interview geführt von Jan HassenpflugDrei Jahre mussten sich Fans gedulden: Im März 2021 melden sich A Day To Remember mit "Your're Welcome" zurück. Wir haben mit Frontmann Jeremy McKinnon über den Titel, den Wechsel zum großen Label und die Kunst gesprochen, zeitlose Songs zu schreiben.
Mit "Bad Vibrations" orientierten sich A Day To Remember zuletzt zurück zu ihren Wurzeln, mit Garagen-Band-Sound, gereizter Stimmung und mehr Härte. "You're Welcome" richtet den Blick nun wieder nach vorne, versprüht mehr Pop-Punk und sommerliche Leichtigkeit – eine willkommene Mischung in Pandemie-Zeiten.
Am 5. März kommt nach drei Jahren eine neue Platte. Wie sehen die letzten Vorbereitungen aus?
Gerade sind wir viel mit Interviews und Promo beschäftigt, ein paar letzte organisatorische Dinge, aber eigentlich steht soweit alles. Wir sind startklar!
Für alle Künstler ist die Produktion gerade eine echte Herausforderung: Wie haben die Lockdown-Gegebenheiten den Aufnahme-Prozess beeinflusst?
Ja, das ist so eine Sache. Es hat sich schon insofern verändert, dass wir uns nicht treffen konnten und wie gewohnt in einem Raum sitzen, um Einzelheiten zu bequatschen. Alles lief via E-Mail. Das heißt, ich sitze hier auf der Couch, und irgendwer mischt meine Songs, baut Effekte ein oder nimmt etwas raus. Vieles ist der Kreativität im Studio überlassen. Du kannst dir vorstellen, dass dabei häufig etwas rauskommt, das mir so gar nicht gefällt. Wie erklärst du das via E-Mail ohne verletzend zu werden? Auch das ist gar nicht so leicht. Wären wir gemeinsam in einem Raum, gäbe es einen Dialog. Der Austausch wäre viel flüssiger. Sowas wie Intuition kommt unter den aktuellen Bedingungen erst gar nicht zu Stande. Kleine Änderungen nehmen so eine halbe Ewigkeit in Anspruch.
Kannst du einen Einblick geben, wie viel länger es dauert im Vergleich zu Alben, bei denen es 'normal' lief?
Ich würde sagen, jede Platte hat ihre Herausforderungen und wir sind absolut nicht dafür bekannt, pünktlich fertig zu sein (lacht). Für uns dauert es immer rund drei Jahre, ein komplettes Album fertigzustellen. Du kannst auch alle paar Monate einen Song raushauen, ohne das große Ganze im Blick zu haben. Auch das ist möglich. Aber wenn ich etwas Zusammenhängendes erschaffen will, brauche ich drei Lebensjahre, um Songs anzusammeln. "Common Courtesy" einzuspielen, hat uns beinahe acht Monate gekostet und das jeden Tag mit der gesamten Band im Studio. "You're Welcome" war am Ende dennoch die zeitintensivste Geschichte. Das hätte ich niemals gedacht, denn die Songs waren so schnell fertig wie bei keinem anderen Album. Mixing und Mastering haben definitiv am meisten Zeit geraubt. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis wir mit dem Artwork zufrieden waren. Auch weil ich so perfektionistisch bin. Denn dieses Album steht am Ende für das, was ich die letzten drei Jahre erlebt habe. Und dazu muss es auch zu 100 % passen. Jeder Song ist ein kleiner Auszug aus meinem Leben.
Gibt es so etwas wie ein Leitmotiv, das über allem schwebt?
Ja, die Familie. Denn sie ist sowas wie der Fels in der Brandung. Egal, was in deinem Leben gerade los ist. Das ist die Konstante, die dich jeden Morgen motiviert, aufzustehen.
Wenn es diese Zeit braucht, damit es wirklich ein persönliches Album wird, spiegelt sich das meistens auch in der Qualität wider. War das euer Antrieb?
Wir haben damals "Common Courtsey" 50 Menschen vorgespielt. Die eine Hälfte fand es großartig, die andere Hälfte war eher unentschlossen, was sie davon halten sollte. Als wir begannen, mit den Songs zu touren, entwickelten sich einige schnell zu echten Dauerbrennern auf unserer Setlist. Andere brauchten einfach etwas mehr Zeit, um zu wachsen. Heute sehen wir online in Fan-Foren oder auf Social Media, dass ganz viele Menschen "Common Courtesy" als ihr liebstes A Day To Remember-Album feiern. Einfach, weil es ein Album ist, zu dem sie immer wieder zurückgehen können – auch mit fortgeschrittenem Alter. Damals zu Jugendzeiten war es vielleicht ein Breakdown, der ihre Wut besonders angesprochen hat. Jetzt, mit ein bisschen mehr Lebenserfahrung, hat ein ruhiger Song wie "I Surrender" plötzlich eine viel stärkere Wirkung. Vielleicht können sie es auch auf dem Familien-Geburtstag abspielen, ohne dass Oma sagt "mach diesen Mist aus!" (lacht).
Es geht euch also darum, etwas Zeitloses zu erschaffen?
Ich denke A Day To Remember schreiben Songs für Menschen an unterschiedlichen Punkten ihres Lebens. Genau das haben wir hier wieder getan. Deshalb sind wir auch so vielseitig. Wir haben die harten Songs, wir haben Pop Punk-Songs irgendwo und wir haben ruhigere Balladen, die zum Beispiel den Tod eines geliebten Menschen behandeln. Es sind so viele Facetten, die wir abdecken. Ich könnte niemals von unseren Hörern erwarten, dass sie direkt alles verstehen oder mögen. Die Perspektive auf einen Song braucht Raum und Zeit, um zu wachsen.
Da schwingt auch schon das Thema 'falsche Erwartungen' mit, denen man sich als Künstler immer wieder stellen muss.
Genau. Menschen gehen an ein Album mit einem Wunsch, wie es sein soll und einer Vermutung, wie es sein wird. Wenn sie es zum ersten Mal hören, sind sie dann häufig enttäuscht. Es ist ein Problem, zu voreingenommen an etwas ranzugehen. So fällt es schwer, den wahren Wert zu erkennen. Das kommt dann manchmal erst Jahre später. Genau das ist mit "Common Courtsey" passiert. Menschen haben es sich nach Jahren noch einmal angehört und fanden es plötzlich viel besser als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Genau das ist es, was wir erschaffen wollen. Genau das ist es auch, was ich dem Management und dem Label gesagt habe. Wir wollen zeitlos sein, nicht pünktlich (lacht).
"Wir sind die erste Band, die einen Breakdown bei diesem Label unterbringt"
Ihr seid zu Fueled by Ramen gewechselt und habt euch damit ein richtig großes Label von Warner Music ins Boot geholt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Wir haben schon immer mit einigen Leuten von Fueled by Ramen gearbeitet. Sie waren immer mal Teil unseres Managements. John Janick ist der Chef von Fueled by Ramen und war von "Homesick" an immer wieder Teil unseres Managements. Er hat uns bei unserer Singleauswahl und allen möglichen Entscheidungen begleitet. Es gab also schon eine Verbindung. Außerdem war es für mich unglaublich reizvoll, als erste härtere Band bei diesem Label unter Vertrag zu sein. Jeder verurteilt das Label, weil es ein Pop-Label sei. Ist es nicht cool, dass wir die erste Band sind, die mit "Resentment" einen Breakdown bei diesem Label unterbringt? Sie haben einige der größten Bands auf diesem Planeten unter Vertrag mit Twenty One Pilots oder Panic! At The Disco. Und sie haben Platz für uns, trotz Breakdown. Das verdient auch Wertschätzung (lacht). Nein, im Ernst. Ich finde es cool, dass sie einer Band wie uns dabei helfen, weiter zu wachsen.
Und das ohne euch eine Veränderung aufzuzwingen?
Genau. Es ist immer eine der leichtesten Ausreden zu sagen: 'oh nein, geh nicht zu diesem Label. Sie wollen euch nur verändern.' Schau, "Resentment" hat einen der härtesten Breakdowns, die wir jemals rausgebracht haben. Unsere Fans waren sich einig: Der ist böse (lacht).
Eine kleine Anekdote: Ich habe bei "Last chance to dance" die Vocals mit Will Putney eingesungen und ich konnte nicht aufhören zu lachen. Er fragte mich: "Was ist so witzig?" Und ich sagte "Das hier kommt raus auf Fueled by Ramen". Es hat mir so viel Spaß gemacht, mit Erwartungen zu spielen und etwas zu erschaffen, das so gar nicht zu diesem Label passt.
Ihr habt euer Album "You're Welcome" getauft. Kaum ein Ausspruch wird wahrscheinlich weltweit so häufig verwendet. Manchmal wirkt es dadurch fast abgedroschen. Was ist eure Verbindung dazu?
Dazu gibt es eine kleine Geschichte: Wir haben in Mexiko gespielt. Es war eine der ersten und einzigen Shows 2020. Und ich habe einen weißen Hoody auf der Bühne getragen. Und darauf stand ganz unscheinbar klein geschrieben "You're Welcome". Im Nachgang zur Show kommentiert ein Fan auf Twitter: "Das neue Album sollte 'You're Welcome' heißen." Ich habe es versucht, aus Fansicht zu lesen, dann hat es Klick gemacht: 'Ja, genau so soll es sein', dachte ich mir. Ich fand den Gedanken einfach witzig, dass ich es mit meinem Hoody schon vorweggenommen habe. Am Ende sieht es sogar so aus, als wäre das alles geplant gewesen (lacht). Ich mag vor allem daran, dass es nicht zu ernst ist. Und das ist es, was A Day To Remember immer ausgemacht hat. Klar kann es etwas abgedroschen rüberkommen, aber wir sind einfach stolz auf das Album und fanden es witzig.
Fand der Rest die Idee genauso gut?
Ich hab's ihnen vorgeschlagen und sie haben es geliebt. Zugegeben: Einer fand es idiotisch (lacht). Aber ich konnte ihn überzeugen, dass es cool ist in der Art, wie wir es meinen.
"So kommt dieser wilde Mix an Einflüssen zu Stande."
Was ich bisher gehört habe, unterscheidet sich deutlich von "Bad Vibrations". Den Songs wohnt, gerade jetzt in dieser tristen Zeit, eine gewisse Leichtigkeit inne.
Absolut. "Bad Vibrations" hat sehr davon gelebt, dass wir uns in einem Raum eingeschlossen haben und wieder wie eine Garagen-Band klingen wollten. Es hatte diese Lagerkoller-Atmosphäre gepaart mit einem sehr organischen Sound. Das hatten wir seit "For Those Who Have Heart" nicht mehr getan. Die neue Platte ist geboren aus freier Inspiration. Es ging darum, sich einfach treiben zu lassen ohne Zwang, einer Erwartung entsprechen zu müssen. So kommt dieser wilde Mix an Einflüssen auch zustande. Es gibt Songs, die könnten mit ihrem 80er-Vibe als Soundtrack für "Stranger Things" dienen oder ein MGMT-Song sein. Dann gibt es Tracks, die von Jeff Buckley inspiriert sind. Es gibt Surf-Punk-Songs. Die Palette an Einflüssen ist endlos.
Dieses Repertoire an Einflüssen macht euch ja schon immer aus. Würdest du sagen, dass es mit fortschreitendem Alter, mehr Verantwortung für Familie usw. schwieriger wird dabei diesen ursprünglichen Pop Punk-Spirit aufrecht zu erhalten?
Für uns ist es wirklich die Herausforderung, dieses ursprüngliche Gefühl in eine erwachsenere Version zu überführen. Das haben wir zum Beispiel mit "Mindreader" getan. Dabei geht es viel um eine Liebesbeziehung, die sich irgendwann den kleinen Alltäglichkeiten stellen muss. Irgendwann geht es doch immer darum, die Bedürfnisse des Partners zu erkennen, die Gedanken zu lesen. Das klappt in den seltensten Fällen (lacht). Daran merkt man, wie wir uns einem solchen Thema inzwischen reifer nähern als noch vor zehn Jahren. "Permanent" hat zum Beispiel mehr dunkle Punk-Vibes. Wir versuchen immer wieder etwas zu machen, das wir bisher noch nicht getan haben. Alleine das zu reflektieren, macht auch den Übergang zum Älterwerden aus.
Du hast in einem anderen Interview gesagt "You're Welcome" ist ein Hybrid aus dem, was ihr wart, was ihr seid und was ihr werden wollt. Kannst du diese drei Stadien nochmal kurz auf den Punkt bringen?
All das ist da. Egal, ob du als Fan reinhörst, der uns vom ersten Tag an verfolgt, oder ob du ganz offen und unvoreingenommen neu einsteigst, wird es mit Sicherheit ein, zwei Songs auf der Platte geben, die dich ansprechen. Es gibt Altbewährtes, es gibt Erwartbares und dann etwas, das vielleicht darüber hinausgeht und auch ein gewisses Unbehagen auslöst. Wenn wir es schaffen, dass Menschen das Album nach vielen Jahren wieder hören und etwas Neues entdecken, haben wir alles richtig gemacht.
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