26. Oktober 2010
"Es ist ziemlich gut, eine Schwuchtel zu sein"
Interview geführt von Hannes WesselkämperZum Zeitpunkt des Interviews ist Adam Green natürlich nicht da, wo er sein sollte. Laut Tourmanager Simon dreht der Herr gerade einen Film im Hinterhof des Stuttgarter Theaterhauses. Dort steht er dann mit seiner Band und Macauley Culkin (!) in Kostümen des Theaterfundus' und trägt eine Topfpalme in der Hand.Erst eineinhalb Stunden später geben die Herren ihre Kostüme wieder ab. Backstage-Bier und Schnittchen vertreiben uns die Zeit und ölen die Zunge zum Interview. Ausgesprochen aufmerksam und freundlich erscheint Green dann zu unserem Termin. Kaum Genuschel, wenig ausweichende Antworten: Es scheint, als wäre Adam Green heute mit Offenheit gesegnet. Sogar über seine erst kürzlich überstandene Lebenskrise spricht der Sänger ohne Umschweife.
Willst du uns etwas über deinen Film erzählen?
Adam Green: Ähm ja, es ist ein Film, den ich mit meinem iPhone drehe. Ich habe am Anfang dieser Tour damit angefangen, vor etwa drei Monaten. Es ist also einerseits ein Tour-Film, aber eben auch - also, es ist keine Dokumentation. Es ist mehr ... (überlegt) etwas Fiktives.
Also ein semi-fiktionales ...
Nein, nicht einmal das. Es ist komplett fiktional.
Aha. Ist das ein Projekt für dich oder wird es veröffentlicht?
Ich will den Film Anfang 2011 rausbringen.
Macauley Culkin spielt ja scheinbar auch mit.
Ja, wir sind Freunde. Wir leben beide in New York, von daher ... (erwartungsvolles Schweigen)
... hast du ihn einfach gefragt, ob er nicht mit auf Tour kommen möchte?
Genau, er hat gerade Urlaub, weshalb ich ihn eingeladen habe. Es macht viel Spaß mit ihm auf Tour.
Ich habe gelesen, dass Julian Casablancas jetzt Musik für die New York Jets machen möchte.
Inwiefern?
Ich glaube einfach zu Werbezwecken.
Das ist cool.
Könntest du dir auch vorstellen so etwas zu machen? Also außerhalb der Musikindustrie für jemanden Musik zu schreiben?
Ja, ich habe einen Soundtrack für ein deutsches Theaterstück geschrieben.
Das war in Tübingen, oder?
Genau. Das war instrumental und völlig anders. Ich werde wahrscheinlich nicht mehr so viel Instrumentalzeug schreiben, wenn es keinen Grund dazu gibt. Wenn man instrumentale Musik schreibt, ist es schwer herauszufinden, was man damit anfangen soll. Leute kommen bestimmt nicht zu meinen Konzerten, um diesen Sound zu hören. Aber ich versuche, ein paar von den Sachen heute zu spielen, vielleicht auch nur Teile davon.
Wie kommst du denn gerade auf Tübingen, eine doch eher beschauliche Stadt?
Die haben sich einfach bei meinem Management gemeldet und gefragt. Ich war außerdem gerade nicht an irgendwelche Projekte gebunden. Also dachte ich: "Hey, ich schreibe einfach Musik für dieses Theaterstück." Zuerst fand ich es sehr schwer, aber jetzt kann ich sagen, dass es eine tolle Erfahrung war. Ich habe die Musik sogar auf Vinyl veröffentlicht.
Ging es darum, etwas Neues auszuprobieren?
Naja, es war eben auch ein bezahlter Job. Ich hätte es bestimmt nicht umsonst gemacht, es war eben ein Job.
Könntest du dir vorstellen, Musik für größere Filme zu schreiben? Schließlich ist "Anyone Else But You" nach "Juno" ja eingeschlagen wie eine Bombe.
(hastig) Wir haben es aber nicht dafür geschrieben! Ich meine, ich habe kein Problem damit oder so. Ich mag es, wenn Leute meine Musik für Filme oder so etwas verwenden. (überlegt) Die haben sogar eine Art Parodie auf "Anyone Else But You" gemacht. Sie haben den Text umgeschrieben und es auf ein Hotelresort auf den Bahamas umgeschrieben. (lacht)
Also, das war okay für mich. Die haben es sogar deutlich verbessert. All das Geld, das ich verdiene, geht sofort wieder in meine Kunst zurück. Also wünsche ich mir natürlich, dass Leute meine Lieder für alles Mögliche verwenden. Dann kann ich nämlich machen, was ich möchte.
Wenn du einen Soundtrack für einen Film eines bestimmten Regisseurs machen müsstest, wen würdest du aussuchen?
(überlegt) Ähm, weiß nicht. Wes Anderson. Er ist einfach ein Meister in seiner eigenen Ästhetik. Er kann diese großartigen Dinge erfinden. Ich stehe total auf all seine Filme.
"Meinen Mittelalter-Roman lehnte Suhrkamp ab"
Würdest du dich als einen speziellen New Yorker Musiker bezeichnen?Hm, schwer zu sagen. Ich bin dort aufgewachsen, weshalb meine Arbeit natürlich zu einem gewissen Grad damit zusammenhängt. Ich muss nicht in New York wohnen, um kreativ zu sein. Ich lebe einfach dort. Ich glaube, New York hat nicht so ein nationalistisches Konzept. Es ist den Leuten nicht wichtig, dass sie irgendwo herkommen. New York ist einfach ein Ort, an dem sich viele Menschen treffen, um dort abzuhängen. Das hat nichts mit Stolz zu tun.
Inwiefern beeinflusst dich die Stadt in deiner Arbeit?
Zum Beispiel leben meine Eltern im 19. Stock eines Hochhauses. Nicht jeder lebt so. Ich weiß auch nicht.
Aha. Gibt es denn so etwas wie eine Musikszene, die dich beeinflusst oder der du dich zugehörig fühlst?
Weißt du, ich bin jetzt in einer neuen Bewegung, die sich "Faggot-Folk" nennt, "Schwuchtel-Folk".
Haha, was genau bedeutet das?
Das kommt einfach darauf an, an welchem Punkt ich bin. Es basiert auf dem, was ich gerade tue. Ich habe nie irgendwo reingepasst, weshalb ich irgendwann dachte: "Das muss es sein." Wir sind eine Subkultur, die sich Schwuchtel nennt. (überlegt) Ich denke, es ist ziemlich gut, eine Schwuchtel zu sein.
Ist MySpace das neue East-Village?
(zustimmendes Nicken) Ja, absolut.
All diese Musiker prostituieren sich auf MySpace. Du hast eine ganz andere Entwicklung vollzogen.
Leute machen doch einfach nur Musik, damit andere Leute diese hören können. Sie wollen ihre Sachen anderen Menschen zeigen und das Internet ist ein Weg dies zu tun. Das ist gut.
Ist das nicht auch dein Ansatz gewesen?
Ich habe damals viel in Folk-Clubs gespielt, lange bevor das Internet eine Rolle gespielt hat. Aber auch in der U-Bahn, in den Wagen der Linie N. Es war eine tolle Zeit, aber sowas macht man heute nicht mehr. Sogar zu dieser Zeit war es untypisch, seine eigenen Sachen in der U-Bahn zu spielen. Manchmal haben meine Texte ganz schön für Empörung gesorgt (grinst). Ich erinnere mich an einen alten Mann, der mir vorgeworfen hat, ich sei sehr unhöflich.
Ich bin kürzlich auf einen sehr verrückten Foto-Blog von dir gestoßen.
Ah, du meinst den Lake-Room?! Ja, das ist ein sehr spezieller Blog für mich. Ich wollte einfach nur einen haben. Ich war bei Cory Kennedy, einer sehr aktiven Bloggerin, und sie brachte mich zum Bloggen.
Glaubst du, dass dich die Leute besser verstehen können durch diese teilweise sehr persönlichen Fotos?
Ich weiß gar nicht, was die Leute über die Fotos denken. Meiner Erfahrung nach ist vieles, von dem Menschen denken es sei eine Lüge, eigentlich die Wahrheit. Und auch andersherum: Dinge, die andere für die Wahrheit halten, habe ich eigentlich erfunden. Man kann schon sagen, dass es so etwas wie ein Tagebuch der letzten Jahre ist. Mir bedeutet es jedoch mehr, da ich es entwickelt habe. Ich sah es immer als eine Art Film, weshalb es witzig ist, dass ich jetzt den Lake-Room-Film mache.
Der Film wird also ein sehr persönliches Projekt?
Es ist sehr Adam-mäßiger Film, der Adam-mäßigste von allen Filmen! (lacht)
Steht denn überhaupt ein irgendwie geartetes Konzept dahinter?
Ja, ich habe total viele Ideen - die Entwicklung dauert schon eine Weile. Zunächst gab es dieses Buch, was ich für den Suhrkamp Verlag schreiben wollte, die bereits einen Gedichtband von mir herausgebracht haben. Also habe ich angefangen, einen mittelalterlichen Roman zu schreiben, der letztendlich absolut keinen Sinn gemacht hat, weshalb sie ihn auch abgelehnt haben. Der Lake-Room-Film basiert jetzt zu Teilen auf diesem Text.
Ein Mittlelalter-Film?
Naja, der Film findet in einer Art Drogenland statt.
Meinst du, dass der Suhrkamp Verlag dein Werk verschmäht hat, weil der Hype um deine Person vorbei ist?
Nein, es lag einfach nur daran, dass das Buch zu schlecht war. Sie hatten auch Recht, da das Ding noch nicht zu Ende gedacht war. Wenn ich weiter daran gearbeitet hätte, hätten sie es vielleicht veröffentlicht. Das hat nichts mit einer Publicity-Hype-Kampagne zu tun, die hinter meiner Person stünde. Was sie von mir veröffentlichen, steht in einer langen Geschichte von Dingen, die sie auf den Markt bringen. Die haben ja auch Bücher wie „Finnegans Wake“ [von James Joye, Anm. d. Red.], was ein sehr abstraktes Buch ist.
"Ich betete Elliott Smith an!"
Nach "Gemstones" wurde es ja doch etwas ruhiger um dich. Jetzt klingt dein neuestes Werk "Minor Love" sehr anders als die Vorgängeralben. Was ist nach "Sixes & Sevens" passiert, dass sich dein Sound derart geändert hat?Es ist so viel passiert. Ich habe eine lange Tour gemacht, die in einer Art Isolation endete. Ich hatte keinen festen Ort mehr, an dem ich mich heimisch gefühlt hätte, also bin ich für eine Weile nach Los Angeles gegangen. Ich traf mich mit vielen Menschen, schrieb Songs und schließlich nahm ich dort auch das Album auf. Lustigerweise brachte meine Zeit dort den New-York-Aspekt meiner Musik stärker hervor.
Ich musste wieder an die ersten Velvet Underground-Platten denken, die mich zur Musik gebracht hatten. Dieses frühe Zeug hat mich dann auch wieder sehr inspiriert.
Ja, ich finde auch, dass es sich sehr nach Lou Reed anhört.
(murmelt) Ja, denn schließlich ist Lou Reed ja der Velvet Underground ... (unverständliches Gemurmel)
Klar, das steht außer Frage. Hast du dich auch an deine frühen Sachen erinnert?
(energisch) Ich weiß nicht, was mich genau steuert in meiner Musik. Meistens fange ich einfach an zu singen, ich bin da nicht so streng zu mir. Natürlich kotze ich es nicht aus und das ist es dann. Das war jetzt einfach ein Album, ich glaube nicht, dass ich noch einmal so ein Album wie "Minor Love" machen werde.
Ich habe gehört, dass du das Album teilweise in der Wüste aufgenommen hast?
Naja, ich habe einige Sachen in der Wüste geschrieben. Eine war eine Art verrücktes Golf Resort. Ich bin mit ein paar Freunden losgezogen, um zu schreiben. Da haben wir diesen Ort in Arizona gefunden und schrieben in einem Golf Hotel unsere Sachen. Wir spielen kein Golf, weshalb es also nichts anderes zu tun gab, als Songs zu schreiben und uns nachts in Tucson in Stripbars zu streiten.
Beim Hören von "Minor Love" kam mir der Gedanke, ob du wohl ein New-York-Konzeptalbum aufnehmen würdest.
Oh nein, da bin ich nicht so passioniert. Ich mag es nicht, wenn Leute einem unter die Nase binden woher sie kommen. Ich komme überall rum und überall gibt es tolle Städte und tolle Musik. Ich wünschte, die Menschen würden sich von solchen Ideen distanzieren. Es gibt nichts langweiligeres als jemand, der sich über sein Land auslässt.
Dann hältst du wohl eher weniger von Sufjan Stevens' Themenalben über Michigan und Illinois?
Sind die nicht eher pseudo-erzieherisch gemeint? Das ist doch mehr so eine Art Reisetagebuch. Nein, ich finde das schon cool. Im Grunde schreibt er doch Songs, weil er Songs schreiben will, was für mich der einzigste Grund sein sollte, Musik zu machen. Es wäre doch scheiße, wenn Leute Songs schreiben, um damit Geld zu verdienen. Klar, das passiert dauernd da draußen, aber ich will so etwas nicht machen.
Wo wir gerade von anderen Musikern reden. 2003 fing deine Solokarriere an und zur selben Zeit ist Elliott Smith gestorben. Hattest du Kontakt zu ihm in diesem großen New-York-Klüngel, schließlich war er ja ab 1997 in New York beheimatet?
Ich war ein riesiger Fan von ihn. Ich ging zu einigen seiner ersten Konzerte und betete ihn an. Da er in New York wohnte, habe ich ihn einmal getroffen, was für mich sehr aufregend war. Und ich fand es super, wie viel Respekt ihm entgegengebracht wurde.
Hat er dich auch musikalisch beeinflusst?
Ich weiß nicht, ich schreibe ja nicht genau solche Musik. Klar, als ich das erste mal seine Musik gehört habe, dachte ich bei mir: "Mann, solche Musik würde ich auch gerne schreiben können." Das war allerdings mit 12 oder 13.
Wer auf deine Website geht, sieht einen tollen 8-Bit-Videospiel-Look. Bist du ein Vintage-Videospiel-Nerd?
Naja, nicht mehr. Ich habe sehr viele Videospiele gespielt, aber letztendlich habe ich die mit Musik ersetzt. Mein Videospiel-Wissen endet also an dem Zeitpunkt, an dem ich eine Gitarre bekommen habe. Aber ich liebe diese alten Spiele, bei denen man eintippt, was der Charakter machen soll. Leisure Suit Larry, Monkey Island, King's Quest. Ich fand diese Spiele so cool und habe mich wirklich darin verloren. Mein Lieblingsspiel aller Zeiten ist Space Quest 4. Wenn man in diesem Einkaufszentrum herumläuft und dann in einem Burgerladen arbeiten muss; das war echt der Hammer. Wer sich das ausgedacht hat, ist ein Genie!
Also hast du dir persönlich das Design ausgedacht oder war es eher das Management?
Die Website? Ja, ich habe jemanden engagiert, der das macht. (zögert) Ich mag diese Droge Ketamin sehr gern. Es lässt einen so zweidimensional erscheinen, weshalb es mich immer an diese Videospiele erinnert. Das ist ein Pferdeberuhigungsmittel oder so. Ich habe mich dann aber speziell in diesem Jahr zu sehr daran gewöhnt.
Im Video zu "Buddy Bradley" sahst du jedenfalls sehr glücklich aus.
Es war auch sehr lustig. Ich habe mit einem Typen namens Dima Dubson zusammengearbeitet. Er wollte mir nicht verraten, was wir überhaupt machen werden. Also hat er mich eines morgens viel zu früh geweckt. Ich war mies gelaunt und wollte nur noch schlafen. Er sagte mir, ich solle in den Park gehen und vor diesen Menschen tanzen, die in einer Schlange auf ihren Burger warten. Er sagte: "Ich will, dass du vor der Shick-Shack-Burger-Schlange tanzt."
Das war wirklich das letzte, was ich an dem Tag tun wollte. Er hat mich trotzdem aus dem Bett gehievt und letztendlich wurde es dieses sehr lustige Projekt. Witzigerweise war mein Finger auch noch entzündet und auf seine doppelte Größe angeschwollen. Das ist in Brasilien passiert, keine Ahnung. Das Tanzen tat also sehr weh und alles war total verrückt.
War es also nicht der neue Lebensabschnitt, den das Video irgendwie feiert?
Naja, irgendwie schon. Es war einfach ein verrückter Teil meines Lebens. Ich habe wirklich einen Hang zum Manisch-Depressiven. Ich kann eine Woche total glücklich sein und dann wieder fast zusammenbrechen, da werde ich dann sehr düster. Bei mir gibt es nur hohe Höhen und tiefe Tiefen.
Das war also ein Hoch?
Ja, ich denke schon. Ich versuchte damals, es mit Drogen und solchen Sachen künstlich in die Länge zu ziehen, aber das hat nicht so ganz geklappt. Ich glaube, ich sollte mich einfach runterschrauben, vielleicht nur noch Bier und Whiskey trinken.
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