16. November 2010

"Adel muss jetzt sein Hip-Hop-Album machen"

Interview geführt von

Annette Humpe wird 60! Fast unmerklich hat sich die extrem wandelbare Musikerin zur Meryl Streep der deutschen Popmusik entwickelt.Von Ideals Blauen Augen über DaDaDa bis hin zu Codo und Ich+Ich düste die umtriebige Blondine rastlos durch drei Jahrzehnte voller Erfolge. Ein guter Grund, mit ihr noch mal die bisherige Karriere zu durchstreifen.

Moin Annette, ich gratuliere dir jetzt mal ganz bewusst noch nicht zum unmittelbar bevor stehenden Geburtstag. Das würde dir nur Unglück bringen.

Annette Humpe: Nee, lass mal. Ich habe ja auch noch nicht Geburtstag. Unglück will ich auch nicht so gern haben.

30 Jahre Humpe – Von Neonbabies bis Ich+Ich – welches deiner zahllosen Projekte ist denn im Nachhinein das für dich persönlich künstlerisch am meisten befriedigende?

Das kann ich dir so spontan gar nicht sagen. Ich gehe ja jedes Projekt mit all meiner Liebe und Kraft an. Ich bringe alles ein, was ich zur Verfügung habe. Deshalb kann ich gar kein Bestimmtes hervorheben und sagen: Das war jetzt das Klügste und Beste. Da täte ich den anderen gemachten Sachen Unrecht. Natürlich bleibt so etwas wie Ideal damals immer etwas ganz Besonderes. Und das erste Album ist schon immer etwas ganz, ganz Besonderes im Leben. Das ist ja klar.

Wo du Ideal gerade ansprichst. Es wäre heutzutage doch unvorstellbar, dass Postpunk/Wave Minimalisten mit eher kühlem Klangbild den Opener für Bombastrocker wie Barclay James Harvest geben.

Die brauchten damals 1980 eben eine Vorband, und wir waren in Berlin schon ein wenig angesagt. Deshalb haben wir diese Chance bekommen. Und das Konzert von BJH ging erst um neun Uhr los. Wir hatten Soundcheck und dann haben uns die Leute von der Tagesschau dabei aufgenommen. Das war aber vor allem deshalb eine Meldung, weil sich hinter der Mauer ganz viele Jugendliche aus dem Osten versammelt hatten. Die wollten eben auch das Barclay-Konzert hören. Da standen also hinter der Mauer genau so viele Leute wie vor der Mauer. Und man sah uns, wie wir gerade "Ich steh' Auf Berlin" gespielt haben. Quasi ein Doppelkonzert. Ich hatte echt Gänsehaut.

Damals hat doch auch Klaus Schulze maßgeblich zum Erscheinen eurer Debüt-LP beigetragen.

(Annette geht energisch dazwischen) Ja, aber wichtig ist dabei: Der hat uns nur gesignt. Er hat nicht produziert. Wir haben uns selbst produziert. Er hat uns einfach die Cance gegeben, in seinem Studio das Album aufzunehmen.

Gibt es heutzutage noch Kontakt? Ist man befreundet?

Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.

Verstehe.

Ja!

Und wenn du heute im gereiften Alter auf die Neonbabies/Ideal-Zeit zurückblickst, was denkt denn die Frau von heute über das kompromisslose Mädchen von damals in künstlerischer Hinsicht?

Es sind doch Anteile von dem Mädchen - und auch von dem kleinen Mädchen als ich acht Jahre alt war – noch immer in mir lebendig. Ich bin immer noch verspielt. Und egal ob die 8-, 16- oder 20-Jährige. Sie sind alle noch ein Teil von mir. Es freut mich heute, dass ich das damals machen dürfte und konnte. Ich weiß, wie ich mich da gefühlt habe. Das ist mir alles nicht fremd geworden. Trotzdem wäre es doch auch seltsam, wenn ich jetzt immer noch mit ner Mütze auf der Bühne stünde und "Blaue Augen" singen würde. Oder wenn ich heute so heftig punkig rumschreien würde. Ich würde doch nicht freiwillig immer das gleiche machen. Deshalb habe ich doch immer wieder etwas anderes und unterschiedliches gemacht.

Als Produzentin hast du großartige deutsche Künstler unterstützt. Auf der einen Seite natürlich Rio Reiser. Ich ganz persönlich liebe liebe jedoch vor allem das Album, das du mit und für Heiner Pudelko gemacht hast.

Ja, den habe ich auch wirklich sehr geliebt. Der fehlt mir auch. Rio und Heiner vermisse ich sehr. Das waren richtig enge Freunde.

Auch die 80er Sachen mit deiner Schwester Inga, ganz besonders das "Swimming With Sharks"-Album war ja große international produzierte Klasse. Nun sitzt sie in der 2Raumwohnung und du machst Ich + Ich. Keine Chance für gemeinsame Humpe Sisters Sachen?

Das weiß ich nicht. Das lasse ich auf mich zukommen. Natürlich bist du da ja nicht der einzige, der uns beide danach fragt. Aber ich kann jetzt weder sagen: Nee, auf keinen Fall! Aber ich kann auch nicht sagen: Das wird nächstes Jahr passieren. Ich weiß es wirklich selbst nicht. Mal gucken.

Stört es dich denn gar nicht, dass gerade solch zeitlose Lieder wie "Careless Love" doch ein wenig in Vergessenheit geraten sind und dich viele nur über die Ich+Ich-Hits wahrnehmen?

Na gut. Aber so ist das ja nun mal. Ich kann es doch nicht mehr ändern. Ich sehe das eher gelassen. Ich kann mich doch nun wirklich nicht beklagen. Genug Feedback habe ich in meinem Leben doch bekommen. Deshalb bin ich mit allem im Großen und Ganzen einverstanden, wie es gelaufen ist.

Du hast dich doch in der Humpe & Humpe-Phase von George Glück managen lassen.

Genau, das war in der Zeit.

Der Glück war ja auch mit Rio Reiser befreundet. Heute sitzt er als Juror bei X-Factor. Wie kritisch siehst du denn die deutsche Casting-Landschaft?

Also, ich möchte da wirklich nicht in der Jury sitzen. Ich möchte damit eigentlich nichts zu tun haben. Diese Casting-Landschaft ist natürlich in erster Linie für Künstler, die ne schöne Stimme haben, aber selbst kein Repertoire schreiben. Die haben dadurch vielleicht eine Chance, zu zeigen, wie gut sie singen können. Im Gegensatz dazu haben die Künstler, mit denen ich gearbeitet habe, immer noch in erster Linie auch selber schreiben wollen und hatten auch etwas mitzuteilen. Das war ihnen wichtiger als dieses pure Popstardasein. Ich habe manchmal das Gefühl, es geht in diesen Shows mehr um diesen Glamour und Lifestyle. Das bunte Leben und nicht so sehr der Drang, etwas auszudrücken und eine Haltung einzunehmen. Letzteres interessiert mich viel mehr. Und ich möchte eben nur mit Künstlern arbeiten, die auch eine eigene Haltung haben.

Solche Künstler, wie du sie dir wünschst, werden von Formaten wie Popstars/DSDS doch ersichtlich im Vorhinein aussortiert.

Die Künstler, mit denen ich arbeite und die ich liebe, hätten da nie eine Chance. Die würden niemals in die Endrunde kommen.

Du hast auch den Superhit "Codo" geschrieben und warst die weibliche Backgroundstimme von Trios "DaDaDa".

Bei "Codo" habe ich die Strophe – Hässlich, ich bin der Hass – geschrieben. Der Refrain – Ich düse im Sauseschritt – ist von Tauchen/Prokopetz. Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Wir haben bewusst diese Gegensätze genommen. Ich den männlichen Part, die beiden den weiblichen.

Waren die beiden DÖF-Leute denn wirklich so herrlich verrückte Typen, wie es den Eindruck macht?

Oh ja, die waren völlig drüber und gaga. Das hat mir total gefallen nach dieser Ernsthaftigkeit bei Ideal. Die waren zwei vollkommen Verrückte. Und zu Trio: Stefan (Remmler) und ich waren befreundet. Ich mochte den Produzenten Klaus Voormann auch gerne. Da war es dann irgendwie nahe liegend, dass ich das mache.

Und was kommt als nächstes?

Ganz ehrlich: Jetzt mache ich erstmal ne kleine Pause und dann gucke ich mal, was so auf mich zukommt.

"Ein junger Mann singt Texte von einer erwachsenen Frau"

Dann lass uns doch noch einmal auf Ich + Ich zu sprechen kommen. Dein alter Bekannter Conny Plank hat seine Produzententätigkeit einmal folgendermaßen beurteilt: Wenn ich etwas mache, geht es mir nicht um den zu erwartenden kommerziellen Erfolg.

Ja, das sehe ich ganz genau so. Ich habe auch von Conny Plank sehr viel gelernt. Vieles, auf das ich Wert lege, wenn ich produziere. Was du zitierst, ist ein ganz wichtiger Punkt. Es geht in der Produktion nur um das Gefühl. Der Song muss die Instrumente bekommen, die ihn am deutlichsten machen und nach vorne bringen. Man muss die Stärken eines Sängers herauskristallisieren. Ich verschwende im Studio keinen einzigen Gedanken daran, ob das in die Charts geht. Wenn ich denke, da muss ne Zither drauf, dann kommt ne Zither drauf! Ganz egal, ob das Instrument gerade hip ist oder nicht.

Nun, Ich+Ich sind ja einerseits auch höchst erfolgreich. Andererseits könnte man aber auch sagen, dass euer Duo im Gegensatz zu früheren angesprochenen Projekten musikalisch jegliche Ecken und Kanten vollkommen verloren hat. Man kann das auch ohne weiteres in führenden Supermarktketten als Berieselung hören.

Ja gut, aber bitte versteh: Die Ecken und Kanten sind z.B. unser Altersunterschied. Ein junger Mann singt Texte von einer erwachsenen Frau. Es hat doch schon einen großen Spannungsbogen durch den Altersunterschied.

Das ist aber nur eckig und kantig in eurem Innenverhältnis zueinander. Da hat doch der Hörer nichts mit zu tun.

Aber ich muss ja auch nicht alles gleich schrill und herbe machen. Dennoch gibt es da auch Texte, die erstmal nicht kommerziell klingen. Ich war im Konzert. Und wenn dann ganz viele Leute singen: Auch du wirst irgendwann jemandem dienen. Wenn man diesen Satz mal so ganz alleine hört, kann man doch echt nicht sagen, dass der jetzt kommerziell, geschweige denn Erfolg versprechend ist. Außerdem hat der Adel eine wirklich ausdruckstarke schöne Stimme. Und ich wollte einfach nicht daher gehen und die ganz eckig und edgy arrangieren. Warum sollte ich das denn auch tun? Es geht doch ums Gefühl. Es geht doch darum, dass die Geschichten, die wir gemeinsam erzählen wollen, eine musikalische Form finden. Und die war nun mal so.

Wird es da nach der Pause denn eine Fortsetzung geben?

Der Adel muss doch jetzt erst mal, finde ich und findet er selber auch, ein Soloalbum machen. Da kann er dann doch auch mal ein bisschen hiphoppiger sein und ein paar andere Themen aufgreifen, als die, die ich anbiete. Und dann sehen wir einfach mal weiter. Ich plane ja jetzt nicht so bis ins Nirvana.

"Das Tribute-Album darf ich erst an meinem Geburtstag hören"

Das Tribute-Album mit den Humpe-Hommagen hast du noch nicht gehört?

Nee, ich bekomme das erst an meinem Geburtstag zu hören. Hast du es denn schon gehört?

Ich habe zumindest Auszüge erhalten. Es ist sehr interessant und ...

(Unterbricht) Och, komm. Interessant ist doch jetzt echt mal so ein Wort. Ich weiß auch nicht. Interessant heißt doch: So richtig gut finde ich es nicht.

Da sind schon Sachen drauf, die ich sehr interessant im Sinne von aussagekräftig finde.

(Neugierig) Und welche Interpretation hat dir am besten gefallen?

Genau jene, von denen ich im Vorfeld gar nicht erwartet habe, dass sie mir am besten gefallen würden. Du hast ja in unserem Gespräch schon mitbekommen, dass ich mehr auf die schrägen bzw. die 80er Sachen von dir stehe.

(Lauernd) Jaaa ... und?

Was der gute Adel da mit "Feuerzeug/Eiszeit" gemacht hat, finde ich richtig gut. Ehrlich gesagt zehmal besser als alles, was ich von ihm durch Ich + Ich kenne. Auch Casper macht das ganz hervorragend. Da wirst du sicherlich erstaunt sein.

Das ist ja toll. Da freue ich mich. Und wie klingt das? Hat er das so hiphoppig gemacht? Oder wie?

Da sage ich nichts zu. Ich töte doch jetzt nicht die Geburtstagsüberraschung. Hier geht es nur um Spannungsaufbau, nicht um –abbau.

Na gut. Alles klar. Dann freue ich mich und danke dir für das schöne Gespräch, Ulf.

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