11. April 2014

"Spermafleck klingt einfach schön"

Interview geführt von

Logistikprobleme, kritische Platten-Besprechungen, böse Briefe, Interview-Absagen: In den vergangenen sieben Jahren glich die "Beziehung" zwischen den Ärzten und laut.de einer wilden Achterbahnfahrt. Umso überraschter waren wir, als kurz nach der Veröffentlichung des neuen Soloalbums von Bela B. ein Interviewangebot bei uns reinflatterte.

Es weht ein kühler April-Wind durch die Berliner Straßen, als wir das Treppenhaus eines gutbürgerlichen Mietshauses betreten, in dem sich das Büro der für Bela B. zuständigen Promo-Agentur befindet. Ein laues Frühlings-Lüftchen und strahlender Sonnenschein hätten auch nicht so richtig zum Anlass gepasst. Zwischen Vorfreude und Anspannung hin und her pendelnd betreten wir das Office. Alle sind lieb und freundlich. Die Ruhe vor dem Sturm?

Bela komme gleich, sagt man uns, während wir in einen großen Nebenraum geführt werden, der genug Platz für einen "Schlagabtausch" jeglicher Art bietet. Doch das Zittern hält sich in Grenzen, schließlich haben wir mit der wenige Tage zuvor veröffentlichten 3/5-Rezension des neuen Albums von Bela eine mehr als ansehnliche imaginäre Friedenspfeife im Gepäck. Nach knapp zehn Minuten geht die Tür auf und ein lächelnder Bela B. betritt den Raum. Stilecht in Tarantino-meets-John-Wayne-Garderobe eingehüllt, reicht er uns die Hand und begutachtet erst einmal die einsam auf dem Tisch stehende Weinflasche.

Bela: Hi, hast du die mitgebracht?

Nein, Gott bewahre. Wenn ich was zu trinken mitgebracht hätte, dann stünde jetzt hier entweder ein Cola-Orange-Mix oder eine Kanne mit Kakao.

Verstehe. Ich bin der Bela…

Ach?

Naja, ich find's immer unhöflich, wenn man sich nicht mit Namen vorstellt, auch wenn die Information vielleicht nicht zwingend nötig ist.

Find ich gut. Ich bin der Kai von laut.de.

Hm.

Ich dachte mir schon, dass du jetzt keinen Luftsprung machst.

Ach echt? Warum?

Naja, laut.de und die Ärzte…

Achso. Ja, ich erinnere mich. Wir hatten da in der Vergangenheit so einige Grabenkämpfe am laufen. Ich weiß, ehrlich gesagt, gar nicht mehr so richtig, wie und wann das alles angefangen hat. Ist aber auch egal. Für mich ist das Schnee von gestern.

Sehr souverän. Hut ab.

Naja, warum soll ich mich jetzt aufregen? Es wird immer Leute geben, die irgendwas nicht mögen. Damals kamen halt noch Missverständnisse und Kommunikationsprobleme hinzu, soweit ich mich erinnern kann. Aber wie gesagt: Schwamm drüber. Alles cool.

"Einmal Spermafleck ist okay"

Hast du denn die "Bye"-Rezension von uns schon gelesen?

Ich habe nur einen Link mit einem Verweis erhalten. Mir fehlt da momentan einfach auch die Zeit für.

Bis auf den Spermafleck-Text von "Sentimental" hatte unser Rezensent kaum was zu beanstanden.

Für mich ist das ein schönes Liebeslied, mit einem Text, der einfach passt. Eigentlich hatte ich den Song - wie einige andere auf dem Album übrigens auch - für die Ärzte geschrieben. Da kam dann das Wort Spermafleck bestimmt sieben- oder achtmal vor. Jetzt habe ich den Begriff nur noch einmal drin, weil es sonst einfach nicht mehr so richtig gepasst hätte. Wer mich kennt, der weiß ja, dass es mir Spaß macht, auch mal ein etwas untypisches Wort mit in einen Text einfließen zu lassen. Und einmal Spermafleck kann man schon sagen, finde ich.

Klar. Warum nicht?

Ich finde den Klang auch schön. Das hat ja nichts mit diesem stumpfen Fäkal-Gebrauch zu tun, mit dem sich viele Hip Hopper brüsten. Da fehlt mir ganz oft die Originalität. Ich glaube, der letzte, den ich mir anhören konnte, ohne gleich eine Krise zu bekommen, war Kollegah. Aber egal, ich schweife ab (lacht). Du hast übrigens ein schönes Aufnahmegerät.

Ach, das ist nur so ein kleines Taschengerät.

Aber es funktioniert.

Es blinkt. Das ist immer ein gutes Zeichen. Dir geht's jetzt um die Einzähler auf deinem Album?

Ja, genau.

Ich las von einem etwas peinlichen Missgeschick.

Von einem? Da ging leider so einiges schief. Ich wollte halt unbedingt jeden Song mit einem Einzähler einer anderen Person beginnen. Das hat auch die ersten Male mit meinem Handy ganz gut geklappt. Irgendwann kam ich mir aber albern dabei vor. Also bin ich los und habe mir ein superschickes Zoom-Aufnahmegerät besorgt, das 400 Euro gekostet hat. Als wir dann Backstage bei Emmylou Harris waren, bin ich mit dem Ding in der Hand ganz stolz hin und her gelaufen. Sie hat’s dann wirklich auch gemacht, sogar zweimal, weil ich mir nicht sicher war, ob beim ersten Einzähler alles geklappt hat. Eine Stunde später wollte ich dann mal reinhören, und was war? Nix. Da war nichts drauf. Kein Ton. Ich hab wohl irgendwie auf den falschen Knopf gedrückt.

Ui.

Du sagst es. Das war echt peinlich. Dann stand ich aber auch noch vor Patti Smith, hab mich aber nicht getraut, sie anzuquatschen. Und Joan Jett hat sich auch nicht gemeldet.

Dafür hast du aber Wanda Jackson drauf.

Yes! Definitiv ein Album-Highlight.

Weitere Highlights?

Ich liebe das komplette Album. Es ist mein homogenstes Werk bisher.

"Ein neuer Grabenkampf?"

Für mich klingt es fast wie ein musikalischer Befreiungsschlag.

Alles was anders und neu ist, hat etwas Befreiendes an sich. Ich fand meine anderen Soloalben aber auch schon explizit.

Ich finde allerdings, dass du diesmal noch einen Schritt weiter gegangen bist. Diese ganzen Tarantino- und Country-Vibes hast du ja immer schon mal angerissen. Aber so auf Albumlänge?

Ich find's lustig, dass so viele immer von Tarantino-Vibes sprechen. Der ist ja kein Musiker und soweit ich informiert bin, auch total unmusikalisch. Er hat halt nur eine unglaubliche Plattensammlung daheim, weil er total gerne Musik hört. Aber selber macht er keine.

Mir ging es auch weniger um den Klang eines bestimmten Instruments oder einer besonderen Akkord-Abfolge, sondern eher um die Gesamtstimmung auf dem Album.

Schon klar. Ja, da ist natürlich was dran. Wobei die Stimmung auf dem Album in erster Linie das Ergebnis dessen ist, was die Jungs von Smokestack Lightnin' beigetragen haben. Ich wollte einfach eine Band buchen, die ihren eigenen Groove mitbringt. Die Jungs spielen ja auch schon eine Weile zusammen. Das hat halt super gepasst. Ich habe zuhause alles zusammengesucht, was ich an Songs und Ideen hatte und hab die Band dann machen lassen. Das Ergebnis ist der Hammer, wie ich finde.

Ab Anfang Mai geht's mit der Platte auf Tour. Statt Waldbühne grüßt dann der Heimathafen. Was überwiegt? Vorfreude? Oder Muffensausen?

Das ist natürlich eine ganz andere Baustelle und mit einer Ärzte-Tour überhaupt nicht zu vergleichen. Ich freue mich aber total drauf. Ich steh ja total auf solche Kontrastprogramme. Ich kann mich noch erinnern, wie wir im vergangenen September mit den Ärzten vor 30.000 Leuten in Bremen gespielt haben. Drei Wochen später stand ich dann in derselben Stadt in einem Lagerhaus vor 500 Leuten. Das war aber großartig. Ich hab auch im selben Zeitraum vor 80 Leuten auf einem Konzertschiff gespielt. Das war in Hamburg, glaube ich. Das hab ich auch total genossen. Man ist natürlich nervöser, ganz klar. Ich meine, die Menschen stehen irgendwie nur zwei Meter vor einem. Das ist schon was anderes, als wenn man auf einer 60-Meter-Bühne steht. Da muss man erstmal eine halbe Minute marschieren, ehe man die ersten Leute im Publikum erkennt. Auch geil, aber anders.

Wie ist das eigentlich so für euch auf der Bühne? Ihr habt ja auch immer eine fette Licht- und Effekt-Show am Start. Auf der Bühne kriegt man davon aber doch kaum was mit, oder?

Das ist lustig, dass du das ansprichst. Ich musste gestern erst wieder daran denken, als ich Fotos von der Waldbühne signiert habe. Da dachte ich mir dann auch: Wow, da haben wir echt abgeliefert. Nur leider habe ich davon auf der Bühne nichts mitbekommen. Wir stehen da, gucken nach vorne und spielen, als würden wir in einem kleinen Club gastieren. Dieses ganze Brimborium um uns herum geht völlig an uns vorbei. Das ist zwar einerseits sehr schade, wenn ich mir danach dann Videos oder Bild anschaue, aber auf der anderen Seite auch gut, weil wir uns so natürlich voll und ganz auf die Musik konzentrieren können. Bei den Ärzten läuft ja ein riesengroßer Motor im Hintergrund. Da sind dann manchmal bis zu 70 Leute involviert, damit alles reibungslos funktioniert. Bei einer kleinen Club-Tour ist das ganz anders. Da passieren auch ganz andere Sachen.

Zum Beispiel?

Ich hab beispielsweise letztes Jahr in Dresden gespielt. Da hatten die eine Bühne, die war vielleicht zwanzig Zentimeter hoch. Ich konnte praktisch jedem Zuschauer in der ersten Reihe ohne Probleme die Hände schütteln. Da standen dann auch zwei Mädels, die das ganze Konzert über ununterbrochen miteinander gequatscht haben. So etwas kriegst du in der Waldbühne natürlich gar nicht mit. In so einem kleinen Rahmen aber schon. Ich meine, hätte ich die Ohren etwas mehr gespitzt, dann könnte ich dir jetzt erzählen, über was sich die beiden unterhalten haben. Man kriegt einfach alles mit. Das kann – wie in diesem Fall – manchmal auch ein bisschen nervig sein.

Hast du den beiden Frauen zwischendurch nicht mal einen Wink gegeben?

Nein, so bin ich nicht. Da muss ich dann durch (lacht). Im Übrigen werden wir ja zweimal in Berlin im Heimathafen spielen. Der erste Tag ist schon ausverkauft und für den zweiten gibt es nur noch Restkarten. Daher haben wir uns ein kleines Spezial-Programm für den Nachmittag überlegt. Wir werden da ein kleines Zusatzkonzert spielen, um auch Familien und Kindern die Möglichkeit zu geben, uns zu sehen. Das wird bestimmt lustig.

Ein netter Zug. Apropos Familie: Du bist ja mittlerweile selbst Vater…

(unterbricht mich)

Oh, ich rede nicht gerne über meine Familie.

Also ich könnte den ganzen Tag nichts anderes machen, als von meinem Sohn zu erzählen.

(lacht) Das glaube ich dir. Deine Geschichten lesen aber hinterher auch nicht tausende wildfremde Menschen. Ich rede auch gerne über meinen Sohn, keine Frage. Aber halt nicht in der Öffentlichkeit. Ein neuer Grabenkampf? (grinst)

Nein, ganz und gar nicht. Völlig ok.

Sehr schön.

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