18. August 2025

"Liebe ist etwas, an dem du arbeitest"

Interview geführt von

Ich hatte diese seltsame Idee, 70% des aufgezeichneten Gesprächs einfach über Bord zu werfen. Nicht wie sonst, wo ich das tun will, weil ich mich für einen peinlichen Jeck halte. Sondern weil dieser Teil meiner Unterhaltung mit Big Thief den schönsten Rat über Kunst enthält, den ich je bekommen habe.

Irgendwie sind wir im Laufe des Gesprächs nämlich sehr darin abgerutscht, über Intuition zu sprechen. Normalerweise gilt ja, dass man immer ein bisschen weniger von Artists erwarten sollte, mit denen man sich unterhält. Die wenigsten Leute sind live in Natura so schnell so klug, wie sie auf Platte wirken.

Nun ja: Stellt sich raus, Adrienne Lenker ist live so schnell und so klug. Bei allen drei Gesprächsteilnehmern war doch wirklich bewundernswert, wie ehrlich klug diese Antworten sind. Dementsprechend sagt mir meine Intuition heute, dass die beste Version dieses Interviews geradlinig auf dieses Thema zugeschnitten und recht kompakt ist. Wir steigen ab da ein, wo wir uns gerade ein bisschen über deutsches Flachland und amerikanische Berge im Vergleich zu Kreuzberg und Prenzlauer Berg unterhalten haben.

Habt ihr einen Lieblingsberg?

Adrienne: Das ist eine gute Frage.

Es ist auch okay, keinen Lieblingsberg zu haben.

Adrienne: Nein, ich habe einfach noch nicht genug darüber nachgedacht.

James: Es gab tatsächlich diesen einen Berg, an dem wir ein paar Sessions für "Dragon New Warm Mountain" aufgenommen haben. Der war tief in den Rocky Mountains. Und ich war zwar schon einmal vor den Rockys, halt da, wo die Leute auch sonst hinfahren. Aber das ist ja ein riesiges Gebiet, und wir sind wirklich drei Stunden durchs Gebirge gefahren, um in dieser 3.000 Höhenmeter-Stadt anzukommen, wo du wirklich mal gefühlt hattest, dass du jetzt wirklich in den Bergen bist.

Da wird man ja neidisch! Und spannend, dass das ist, wo ihr euer letztes Album gemacht habt. Heute sind wir ja hier, um über euer neues Album zu sprechen - und für den Anfang wollte ich ein paar Lyrics auf euch zurückwerfen. Ihr sagt nämlich erstens: "Let me be incomprehensible". Zweitens: "Words are tired and tense, words don't make sense". Drittens: "I'm happy with you, why do i have to explain myself". Da stellt sich mir die Frage: Seid ihr sicher, dass ihr überhaupt interviewt werden wollt?

Adrienne: (lacht) Ja, stimmt schon. Interviews sind schwierig. Was will man über Musik und diese Sachen reden? Am Ende sind Songs schon verdichtete Versionen einer Sache. Ist nicht die beste Erklärung einer Sache die Sache selbst? Das nächstbeste wäre dann der Song. Wenn man dann auch noch anfängt, über den Song zu reden, dann geht eigentlich alles den Bach runter.

Buck: Es ist schon machbar, über den Prozess zu reden, in dem die Songs werden, was sie am Ende geworden sind.

James: Aber es ist schon schwierig mit den Interviews. Aber ist nicht so vieles am Musikmachen grundsätzlich weird? Auch auf Tour zu gehen ist weird. Es ist weird, zwei Monate lang jeden Tag die Woche eine Show zu spielen. Das kann doch nicht natürlich sein. Es gibt einfach einen Haufen komischer Artefakte, wenn man in dieser Gesellschaft Musiker ist. Da gehört das mit den Interviews wohl auch dazu. Ich will ja auch, dass Leute mein Album hören.

Buck: Irgendwie ist es auch bittere Medizin. Man lernt ja auch viel über die Sache, die man macht, indem man darüber redet.

"Wir haben alle bedeutungsschwanger in die Ferne Ding gestarrt"

Das macht Sinn. Irgendwie schien es mir, als wäre ein großes Motiv am Album, weg vom Overthinking zu kommen. Als wolltet ihr euch das Intuitive zurückerobern. Macht das Sinn oder bin ich auf dem Holzweg?

James: Definitiv, ja. Unser kreativer Prozess lebt ja schon davon, sehr viel Intention in die Songs zu legen, nur um die dann loszulassen.

Buck: Das ist auch, wie der größte Teil der Instrumente auf dem Album zustande gekommen ist. Wir mussten im Vorfeld ziemlich viel planen und uns vorstellen, wer was in welchem Umfeld tun könnte. Das musste alles einmal abstrakt geplant werden.

Adrienne: Intuitives Planen.

James: Ja, genau! Es war so ein Ding von wegen, wir sagten ... "Double Infinity", und dann haben alle bedeutungsschwanger in die Ferne auf dieses Ding gestarrt, von dem wir so getan haben, als wären wir uns schon damit einig. Und weil du diesen imaginativen Sprung machst, bist du dir wirklich damit einig?

Adrienne: Theoretisch, in deinem Kopf, klappt das natürlich alles. Aber dann wirklich die Pläne und die Anrufe zu machen, dass alle vor Ort sind, die du brauchst, nur um dann gar nicht zu wissen, was eigentlich passieren wird. Das hat schon ein Risiko und alles. Aber das muss man mit Kunst wohl so machen.

Würdet ihr sagen, da ist eine Kunst oder ein Handwerk darin, seine Intuition zu beherrschen?

Adrienne: Definitiv! Vor allem darin, ihr zu folgen. Ich finde, Intuition ist an sich eine vollkommene Sache. Aber es gehört Übung dazu, der eigenen Intuition sinnvoll zu folgen.

Buck: Auch, dafür einstehen zu können. Einer anderen Person deine Intuition erklären zu können, da gehört einiges dazu.

Adrienne: Manchmal ist es auch schwer, die eigene Intuition einordnen zu können. Manchmal weiß man gar nicht, welcher Teil einer selbst gerade spricht. Manchmal spürt man eine Nachricht oder eine Idee anklopfen und man weiß nicht, ob das nicht doch vielleicht nur die Angst oder das Vermeiden einer anderen Sache sein könnte. Oder ist das die Anleitung, auf die ich warte? Es kann subtil und undurchsichtig sein. Aber je mehr du es übst, desto klarer verstehst du es.

James: Ein Teil dieser Übung ist es auch, direkt darauf einzugehen, statt es sofort kaputtzudenken. Wir haben in unserer Band definitiv diese Kultur von "ja, und" etabliert, das ist eigentlich ein komödiantisches Konzept, das sie im Impro-Theater unterrichten.

Wenn jemand in einem Impro-Comedy-Sketch eine Idee aufwirft, dann sollst du dazu nie 'nein' sagen. Wenn jemand zum Beispiel sagt: 'Komm, wir gehen in den Laden', dann verneinst du das erstmal nicht. Das nimmt der Szene nämlich die Energie. Du baust deine Idee lieber an. Du fragst: 'Und was finden wir im Laden?' - oder 'was machen wir nach dem Laden?'

'Genau! Und der Laden ist darüber hinaus eigentlich eine Kirche!'

James: Ja, genau. So versuchen wir das, weil das die Intuition aller Beteiligten ermutigt und bestärkt.

"Liebe ist etwas, das du kultivierst"

Ich bin ehrlicherweise ein bisschen skeptisch damit, dass Intuition so vollkommen ist. Ich habe Freunde - ich liebe sie, ich will sie nicht in die Pfanne hauen - aber, die haben dann Pläne geschmiedet, von wegen: Wir nehmen jetzt Drogen und sperren uns 24 Stunden in ein Zimmer ein. Was immer rauskommt, wird schon intuitives Genie sein. Aber manche dieser Ideen waren dann leider Gottes eher ... nicht so gut. Wie trennt man denn die guten und die schlechten Ideen auch mit so einer Methode?

James: Für uns ist es wichtig, durch Zyklen zu gehen. Erst Intuition, dann Reflektion und Editing. Aber uns ist es wichtig, dass diese beiden Phasen getrennt sind. Wenn du im intuitiven Teil des Prozesses bist, ist es nicht an der Zeit, zu kritisch zu denken. Du willst nicht analysieren oder feilen. Aber wenn es soweit ist, das das dran ist, sollte man nicht mehr so intuitiv arbeiten.

Adrienne: Aber außerdem: Wenn man einfach in ein Zimmer geht und sich zuknallt, um zu gucken, was für Ideen einem kommen, dann macht man einen ziemlichen Lärm. Wenn du in einem mentalen Space bist, in dem du wirklich nachdenkst, dann kann es dir passieren, dass du Intuition mit anderen Sachen verwechselst, genau, wie du Liebe mit anderen Sachen verwechseln kannst. Manche Leute denken ja, Liebe wäre dieses wallende, feurige, genussreiche Gefühl der Verbundenheit, das mit einem High kommen kann. Darüber sprechen wir in einem der Songs ja auch, über "poison and sugar". Weißt du? Trinken, rauchen, Zucker selbst. Süßigkeiten. All diese Sachen machen Spaß und sind aufregend. Aber manchmal fühlt man sich danach nur leerer, als man es davor war.

Und es hat in meinem Leben über all meine Beziehungen lange gedauert, um dieses Gefühl von richtiger Liebe unterscheiden zu können. Denn Liebe ist etwas, das du kultivierst. An dem du arbeitest. Das Geduld braucht und sich nicht immer per se gut anfühlt. Und vielleicht lässt diese Idee sich auch auf Intuition anwenden. Wenn man drüber nachdenkt: Es ist wirklich einfach, eine Projektion davon auf sich selbst zu überschreiben, die man dann für Intuition hält.

Aber ich persönlich denke, dass unsere Intuition weiser als wir selbst ist. Ich glaube, wenn du richtig gut darin wirst, auf deine eigene Intuition zu hören, werden schon nicht alle Ideen beschissen sein. Wenn du ständig nur beschissene Ideen hast, kommen sie vielleicht von woanders?

Aber sie kommunizieren ja trotzdem etwas, das quasi in deinem Dialog mit dir selbst steht.

Adrienne: Man darf ja auch nicht immer sofort verurteilen. Vielleicht wirkt manches erst wie eine schlechte Idee, aber vielleicht ist sie auch notwendig, um dich auf einen gewissen Pfad zu bringen.

Man muss also einmal durch.

James: Manchmal passiert das auch in der Musik! Ich habe das Gefühl, das passiert gerade jüngeren Musikern sehr oft. Die sind dann so fokussiert darauf, dass das, was sie machen, cool ist und awesome und rad. Dabei wäre die ehrliche Intuition von vielen Leuten, etwas eher Lahmes zu machen. Etwas Langweiligeres. Und ich sehe sie dann oft mit sich selbst kämpfen. 'Das kann ich jetzt nicht sagen, das ist doch viel zu simpel!'. Das sieht man auch oft. 'Das ist viel zu simpel'. Aber manchmal will man doch wirklich einfach nur 'ich liebe dich' sagen. Sag es, wenn es das ist, was du sagen willst. Und es ist nicht mal, dass Intuition zwangsweise zu besserer Kunst führt. Aber manchmal hängt man eben an einem corny Sound. Manchmal ist es einfach richtig so. Ich mag das! Ich weiß, dass ich es mag!

Adrienne: Im Inneren kämpft man ja auch immer ein bisschen gegen dieses Ego, das unbedingt wahrgenommen werden will. Das du über die Sachen, die du schaffst und ausdrückst, nur im Kontext dessen nachdenken willst, wie die Gesellschaft nachher darauf schauen wird. Dabei kämpfst du dann gegen dich an. Du hast große Pläne, du denkst, es wird supercool werden, was du machst.

Es wird superraw und wird den Urbegriff der Kunst erschüttern. Und du denkst, das alle sagen werden, dass es die krasseste Sache überhaupt ist! Aber: Vielleicht ist in dir auch eine Seite, die singen will - (singt) "and then I saw my grandma, she looked really pretty / I went into my house, I don't like the city". Und dann denkst du: Scheiße! Ich wollte doch diese superintensive Kunst-Sache machen. Und alles, was mir einfällt, sind sanfte, süße, kleine Sachen? Bestimmt sind die nicht mal originell!

Das gab es doch alles schon! Aber ich glaube, da ist eine wirkliche Kraft darin, sich selbst zu erlauben, wieder und wieder bei dir selbst zu sein. Auch, wenn sich die Sache corny oder platt anfühlt. Sonst wirst du nie sehen, in welcher Form das vielleicht die Sache sein könnte, die du eigentlich kreativ gebraucht hast.

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LAUT.DE-PORTRÄT Big Thief

Kann Songschreiben eine Form der Therapie sein? Adrianne Lenker, Sängerin und Gitarristin der Indie-Band, hätte auf jeden Fall eine Menge aufzuarbeiten.

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