laut.de-Kritik

Über die Akzeptanz mit dem Vergehen der Zeit.

Review von

"Double Infinity" ist ein ungewöhnliches Album für eine Band, die an der Spitze der Welt ist. An der Spitze der Indie-Welt, aber immerhin. So sehr die Gruppe um Adrianne Lenker auch der Welt enrückt scheint, möchte man sich doch fragen, ob da nicht ein gewisser Druck, sich selbst zu überbieten, auf Big Thief lasten könnte, das nach dem Verlust eines Mitglieds und ein paar Lenker-Solonummern zumindest ein bisschen in der Pflicht steht, sich selbst neu zu erfinden.

Stellt sich raus: Gar nichts müssen sie. Das hier wiederholt nicht den Geniestreich-Content-Dump ihres Lagerfeuerlieder-Epos "Dragon New Warm Mountain I Believe In You", es wiederholt auch nicht die Verlorenheit und Intensität von den jüngeren Lenker-Soloalben. Im Gegenteil: "Double Infinity" ist ein Album, das sich dem Konzept von Intensität bewusst zu widersetzen scheint.

Vom Intro "Incomprehensible" bekommen wir wieder und wieder Songs übers Trielen. Der erste Frame des Films läuft mit der Idee, dass die Erzählerin und ihr Lover ihren Flug verpassen und deswegen eine sehr lange Zeit durch die kanadische Provinz an einem großen See entlangfahren müssen, über dem die Regenwolken wie Zuckerwatte aussehen, Lupinen den Wegesrand säumen, das Radio keine Sender, sondern nur noch Störgeräusche produziert und Raben und Krähen über den Abendhimmel ziehen. Die Erzählerin spricht von einer Großmutter, die später noch einmal auftauchen wird, aber zunächst scheint es wirklich ausschließlich darum zu gehen, im Abschweifen und im Verlorengehen ein paar wunderschöne Momente gefunden zu haben.

"Let me be incomprehensible", tagträumt Lenker im Refrain vor sich hin, ein Gedanke, den sie auf dem Folgetrack "Words" noch einmal erweitert: "Words are tired and tense / Words don't make sense / Words are feathered and light / Words won't make it right". Die Idee, dass man weder alles in Worte fassen kann und schon gar nicht alles zerreden sollte, taucht immer wieder auf. Ebenfalls die Angst vor dem Altern, die uns vielleicht mehr beigebracht wurde, als dass sie uns inhärent wäre.

Und dabei klammert sich weder der Text noch die Musik an irgendeinen Pathos. Es ist ein "Pantha Rei" von einem Album. Es findet Geruhsamkeit bis zur Indifferenz, tagträumt sich bis ins Psychedelische und döst ein und aus den halligen Country-Gitarren. In der zweiten Hälfte verdichtet sich das Gefühl auf mehreren Nummern, die man mit Hand und Fuß in Psychedelic oder gar den Kraut Rock sortieren könnte. Sieben Minuten riffen in "No Fear" fuzzy Gitarren, während Lenker die gleichen, mantra-haften Lines wiederholt. "There is no fear, mind so clear, mind so free / There is no time, round like a lime, destiny".

Die absolute Kernthese des Albums scheint sich auf dem Titeltrack zu finden. Auch hier wieder: Wir bekommen ein Bild, die Erzählerin in den Armen eines geliebten Menschen, die Regenwolken dürfen vorbeiziehen. All die Fomo, all die Hemmungen, all die Angst, Dinge falsch oder richtig gemacht zu haben. "The butterflies on the summer breeze / The wildflowers sway with ease / At the bridge of two infinities / What's been lost and what lies waiting". Ganz grob vereinfacht scheint diese Line an einer Erzählerin zu reißen, die ihr ganzes Leben obsessiv in Vergangenheit oder Zukunft lebt. Das Album hält dagegen, dass die Zeit sowieso vergehen wird.

"Grandmother, sleep tight, sleep loose / It's alright, everything that happened, happened / So what's the use of holding? / It's unfolding, we're all insane / We are made of love / We are also made of pain", schließt der Track "Grandmother" relativ gegen Ende die Klammer, die der Intro aufgetan hat. Der Brian Eno-Kollaborateur Laraaji singt anderweltliche Vocal-Melodien im Hintergrund. Es ist kein Tearjerker, es ist kein euphorisches Lied. Dieses Lied wie auch das ganze Album suchen eine wohlwollende Akzeptanz mit dem Vergehen der Zeit an sich.

Da ist ein positiver Nihilismus in diesem Album, eine Stille und eine Abgeklärtheit, die in sich ruht. Vielleicht macht das "Double Infinity" zu einem weniger aufregenden oder beeindruckenden Album als es vielleicht mancher Vorgänger war. Es verzichtet bewusst darauf, sich zu sehr zu komprimieren. Wiederholung und Umweg scheinen die Methode der Wahl zu sein.Hinzu kommt ein sehr eigenes Gefühl von Tempo. Es gibt darauf viel zu entdecken.

Trackliste

  1. 1. Incomprehensible
  2. 2. Words
  3. 3. Los Angeles
  4. 4. All Night All Day
  5. 5. Double Infinity
  6. 6. No Fear
  7. 7. Grandmother
  8. 8. Happy With You
  9. 9. How Could I Have Known

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Big Thief – Double Infinity €14,29 €3,00 €17,29
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Big Thief – Big Thief, Neues Album 2025, Double Infinity, Vinyl, LP €48,90 Frei €51,90

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Big Thief

Kann Songschreiben eine Form der Therapie sein? Adrianne Lenker, Sängerin und Gitarristin der Indie-Band, hätte auf jeden Fall eine Menge aufzuarbeiten.

Noch keine Kommentare