laut.de-Kritik
Diebische Freude am schonungslos Offenbaren.
Review von Yannik GölzNeulich im Park mit dem einen smarten Kumpel, der öfter Mal ein Big Thief-Shirt anhat und sich auskennt.
Ich so: "Also: Adrianne Lenker".
"Hm?"
"Die ist schon ziemlich gut, oder?"
"Klare Sache" (er hat sich vor fünf Minuten eins von ihren Tourplakaten mit einem Buttermesser gestohlen und damit dann posiert wie ein Tindertyp mit einem Fisch, den er geangelt hat)
"Richtig gute Musik, definitiv".
"Jup."
Ich schlucke. "Irgendwie komm ich in dieses neue Album nicht rein."
"Wieso?"
"Mich lässt einfach nicht das Gefühl los, ich höre da einer sehr zarten Person mit Coffeshop-Open Mic zu, die mich mit erzdepressivem Oversharing kaputtschlägt?"
"Huh".
Und dann sagt er etwas relativ Kluges, das meine Perspektive auf dieses Album ziemlich verändert hat: "Aber es ist doch gar nicht traurig, oder? Ich finde es ziemlich lebensbejahend".
Tschuldigung, das hier so auszuwälzen, aber ich hatte definitiv so etwas wie einen Prozess mit "Bright Future". Vielleicht bin ich auch generell ungeeignet, über so feinsinnige Musik zu schreiben und bleibe weiter lieber ein Atze für die groben Sachen, aber seit diesem Gespräch habe ich viel über die Rolle von Intimität in Musik nachgedacht.
"Bright Future" ist ein Album so intim, dass es einen entweder komplett kaltlässt oder im tiefsten Inneren zerstört. Mein erster Impuls war es, diese Intimität mit Nostalgie aufzuladen, und diese Nostalgie dann als etwas Trauriges zu lesen. Und ich will auch nicht sagen, dass dieser Umgang komplett ungerechtfertigt wäre. Das Intro "Real House" erzählt kleine Ausschnitte aus Erinnerung zwischen Lenker und ihrer Mutter über federleicht-spukig-verregentagte Klavierakkorde, die im Tod des Hundes münden. Von Zimmer zu Zimmer zieht sie, am Ende drei Zehenspitzen vor dem Tearjerker zum Stehen kommend.
Ach, fuck it, wenn schon prätentiös, dann richtig: Über Räume zu sprechen mag ein Uni-Volk-Klischee sein, aber wenn sie schon so einen großen Deal daraus macht, auf diesem Song in ein echtes Haus zu ziehen, dass sie sagt: "We moved into a real house / A wild field behind it / I wanted to be an inventor / Collected scraps to make a portal / I wanted so much for magic to be real". Dann sprechen wir eben über Räume. Der Philosoph und berühmte Kaufhaus-Weihnachtsmann Gaston Bachelard sagte zwei Sachen, die hier gut passen: Einmal: "Mit Intensität wohnt nur, wer Kauern versteht" - und "das Haus beschützt die Träumerei".
Ich zitiere das, weil es den Grundmechanismus gut umreißt, den dieses Album ausspielt. Lenker koppelt Erinnerungen an diese Zimmer, an diese kleinen Schlupfwinkel, nicht nur auf "Real House", sondern auch auf "Free Treasure", wenn sie über Zuwendung und Ritual spricht, mit der ihr sie sich in eine Heimat eingewöhnt worden. Oder auf "Candleflame", wo sie eine Zukunft in einem verschachtelten Haus mit vielen schließbaren Türen imaginiert.
"Bright Future" ist ein Album darüber, Erinnerungen zu sortieren – und es behandelt diese Erinnerungen mit krämerischer Sorgfalt. Und wie es mit Erinnerungen eben so ist: Sie haben diese Eigenschaft, manchmal als eine sepiafilterfarbene Gaswolke aus ihren Schatullen zu entweichen und dabei eine Staubwolke Melancholie zurückzulassen. Heißt: Das Album hat seine tröpfelnde, fragile Sadness, eine Vergänglichkeit.
Aber hört man wirklich hin, dann merkt man, dass viel in den Erinnerungen wärmt. Lenker sucht nach Ideen, die eine Zukunft vorwärmen könnten, eine "Bright Future", wenn man so will. Erinnerung und Zukunftsvision sind artverwandt. Und dieses Sortieren, dieses Zulassen dessen, dass Erinnerung wärmen und existieren darf, dieses Abkehren von der Verdrängung, das macht ihre Musik wohl so lebensbejahend.
Das spiegelt sich schließlich auch in der Musik. Was ist jetzt, mit all dieser Intimität? Andy Cush arbeitet in der Pitchfork-Review großartig heraus, wie dieses Album die Geräusche von Tape-Recording und Band-Ambience für ein Gefühl von negativem Raum gibt. Weniger abstrakt gesagt: Das Album tut viel, um in seiner Handgemachtheit wie im Hier und Jetzt zu klingen. Um Bachelards Gedanken zurückzuholen, dass nur der intensiv wohnen kann, der gut kauert: Mir kommt es vor, als wäre das ein sehr schlupfwinkeliges Album. Ein Album, das gut Verstecken spielen kann, das ein Zimmer in jedem, letzten Winkel mit kindlicher Neugier erforscht - und sei es nur rein klanglich den Ort, an dem gerade Musik gespielt wird. Dieses Album offenbart schonungslos - und hat dabei noch diebische Freude.
Und da kam mein erster Coffeeshop-Impuls her. Es ist nicht ganz falsch, dass hier emotional brandheiß geoversharet wird. Aber das ist doch die Kunst, oder? Es hat einen Grund, dass Lenker und Big Thief, was Indie-igen Indie angeht, gerade der absolute Real Deal sind. Dazu kommt halt auch schlicht, dass sie eine unglaublich gute Songwriterin ist. "Bright Future" spitzt viele Aspekte ihres bisherigen Arbeiten zu und schert das Akut des Musikmachens in ein Zimmer um ein Mikrophon – und versetzt dieses Zimmer dann gleichmäßig wogend in Zukunft und Vergangenheit. Es ist bildstark, erkundend und bewegend, als wäre Lenker gleichzeitig Naivling und Veteran darin, von diesen Eindrücken zu berichten, die so pur wirken, als kämen sie einfach so aus ihr heraus. Selbst auf extrem virtuos geschrieben Songs wie "Evol" oder "Cell Phone Says": Ihr Handwerk ist so großartig, dass es bisweilen wirkt, als hätte sie gar keines.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Ist ernsthaft ganz okeh. Songwriting ist nicht das Beste, aber die Stimmung und die Attitüde sind ziemlich bezaubernd. Oversharing würde ich es auch nicht nennen, denn natürlich ist es kein echtes Sharing, sondern es sind grob auf Wahrheit bezogene Lügen, großzügig in Kunst und Phantasie verpackt.
es sind grob auf Wahrheit bezogene Lügen, großzügig in Kunst und Phantasie verpackt.
Schön gesagt!
Für mich bisher Album des Jahres
sehr schön. ♥
Hat was.
Finde sie mit Big Thief angenehmer. Hier ist mir der Gesang fast schon zu weit im Vordergrund. Trotzdem schön und liebenswert.
Wie zu erwarten war, ein super Album. Auch die Version von Big Thiefs "Vampire Empire" ist großartig. Aber sie heißt Adrianne. Nicht Adrienne.
Uff, natürlich!