laut.de-Kritik

Der Mann wurde gecancelt, aber ...

Review von

Samra wurde gecancelt, ging aber siegreich daraus hervor. Das ist die Geschichte, die sein neues Album "Kareem" mit Pauken und Fanfaren erzählt: In fast eineinhalb Stunden und epochalen 27 Tracks rollt er die Geschichte seiner Tiefpunkte, seiner überwundenen Drogensucht, eines Suizidversuchs und der Geburt seines Sohnes als epische Heldenreise aus. Die Vergewaltigungsvorwürfe, die 2021 seine gesamte Karriere aus den Angeln gehoben haben, endeten vor Gericht mit einem Freispruch. Trotzdem fühlt sich dieses bittere und monotone Album nicht wie die Redemption an, die er sich wohl erhofft hat.

Das Ding ist: Deutschrap hat das Interesse an seinem Fall verloren. Nachdem er für die Causa #deutschrapmetoo erst als das Paradebeispiel schlechthin durchs Dorf getrieben wurde, verlor sehr viel Rapjournallie in dem Moment die Geduld, als der Fall ein bisschen komplizierter zu werden drohte. Außerdem hallt natürlich auch trotz des Freispruches die Vorsicht nach, dass bekanntermaßen viele Vergewaltigungsopfer vor Gericht absolut schlechte Karten gegen reiche Angeklagte haben. Es steht also viel Uneindeutigkeit im Raum, die Informationslage ist dünn, es wirkt eher, als würden die Leute am liebsten die Finger von diesem heiklen Thema lassen.

Was natürlich im Interesse von Wahrheit und Gerechtigkeit das Worst Case-Szenario ist. Wer auch immer von den Beteiligten schlussendlich im Recht ist, beide sitzen auf einem Scherbenhaufen. Sollte Samra tatsächlich zu Unrecht beschuldigt worden sein, dann musste er seine Karriere für Nichts auf Eis legen und jahrelang psychischen Terror durchmachen. Die Härte von einem Internet-Mob, die unter dem albernen Wort 'Cancelling' irgendwie verloren geht, sollte man nicht unterschätzen - die Chancen stehen gut, dass Samra, der Labeldeal, Connections und Freunde verloren hat, für diese Sache durch die Hölle gegangen sein könnte - nur, um immer noch als Schmuddelkind dazustehen. Denkbar ist aber auch, dass seine Anklägerin recht hat - und hier gerade ein Mann seines Siegesrunde feiert, nachdem er sich ungerechtfertigt aus den Fängen der Legalität gewieselt hat.

Endgültige Klarheit und Gerechtigkeit wird es nicht mehr geben - und auch Samra scheint klug genug, die Vorwürfe nicht wirklich beim Namen zu nennen. Denn obwohl das Cancelling immer wieder evoziert und angerufen wird, wird nie konkret benannt, was denn nun genau vorgefallen ist. Es ist eher ein Schleier oder ein Phantom, das immer wieder zwischen den Zeilen hervorlugt. Entweder, er spricht es selbst alle paar Tracks in einem Halbsatz an (z.B. "Keiner wurde so gecancelt wie ich" auf "Weg Nach Oben") - oder es bildet die Basis für die absolut paranoide, bissige und bittere Grundstimmung, durch die Samra sich im Laufe dieses Behemoths von einem Album manövriert.

Als Schlüsselstellen fungieren dabei im Grunde drei Tracks: Auf "Alles Schon Geschrieben" wiegt sich ein paranoider Samra in der Sicherheit, die ganze Welt habe sich gegen ihn verschworen. "Geständnis" liefert die Kernthese des Albums in vier Zeilen: "Ich hab gekämpft mit mir selbst, hab gekämpft mit Entzug / Aber das war dieser Welt nicht genug / Und so führte euer Movement und ein lächerlicher Cancel-Betrug / Zu meinem Selbstmordversuch"). Es dreht die ganze Geschichte zu einer klassischen Erzählung von einer neidischen, gunstlosen und rassistischen Gesellschaft, gegen die er sich schlussendlich resilient zeigt. "Testament" salbt sich als Schlusstrack zuletzt siegreich, inklusive großem Pömp, der auch vor einem Kinderchor nicht zurückschreckt.

Zwischendrin bekommen wir einzelne Tracks, in denen Samra die eigene Güte klarmacht. Frauen wolle er nur beschützen, für seinen Sohn wolle er nur das Beste - und generell sei er ja eh der stabilste Typ. Da wundert man sich, was die ganze Welt denn gegen ihn haben konnte, die sich anscheinend so vehement gegen ihn verschworen hat, dass neben diesen Kerntracks noch zwanzig handelsübliche Samra-Tracks stehen. Es ist ein ulkiges Paradox auf "Kareem": Gleichzeitig will Samra am liebsten gar nicht anerkennen und zurückholen, um was es ging - aber er will doch gleichzeitig subtil das Bild reparieren, das die Leute von ihm haben könnten. Wirklich konkret wird er trotzdem nicht, denn: Am Ende des Tages bleibt Samra ein sehr limitierter Writer.

Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum dieses Album als Semi-Konzeptalbum schlussendlich so überhaupt nicht aufgeht. Man muss überhaupt keine Position zum Gerichtsfall und seinem Cancelling haben. "Kareem" krankt genau so sehr wie "Jibrail & Iblis" und "Rohdiamant" daran, dass Samra einfach im Medium Album überhaupt nicht funktioniert.

Der Mann ist halt ein One-Verse-Wonder, der die Tatsache, dass er immer nur einen guten Verse hatte, damit kaschiert, dass er den selben guten Verse auf tausend Tracks verteilt hat. Dafür, dass er mit einer der besten Stimmen im Game gesegnet ist, wurde er mit dem beschissensten Producer aller Zeiten verflucht: Lukas Piano tut mehr, um dieses Album zum Scheitern zu bringen als jegliche Intention oder jeglicher Inhalt. Der Mann hat es einfach nicht drauf. Es gibt Amateur-Internet-Pornos mit subtilerer Klangatmosphäre und Ballerman-Mix-CDs mit nuancierteren musikalischen Einflüssen. Und wenn jeder Song schon so vehement gleich klingt, dann machen wir bitte eine absolute Armee davon, wenn sonst schon alles egal ist.

Ich würde mich ehrlich dafür interessieren, ob Samra mir in fünf Jahren aus dem Stand "Herz Aus Granit", "Nasser Asphalt" oder "Rosen Durch Beton" auseinanderhalten könnte. Ist es bei seinen Liveshows schon vorgekommen, dass er spontan gerade nicht zuordnen konnte, zu welchem emotional-verzweifelten Straßentrack gerade das melancholische Klavier gehört? Wenn er den Text von "Blockjunge" über das Instrumental von "Straßenunikat" rappen würde, würde das auch nur einer Menschenseele in der Crowd auffallen? Ich wage es sehr zu bezweifeln.

"Kareem" hat mit der Hymne an sein Kind und dem immerhin inhaltlich etwas handfesteren "Geständnis"-Track immerhin Highlights, die den Vorgängern in der Form abgehen. Dafür macht die immense Länge das Ding nur noch unhörbarer. Zwar hätte ich gern gemutmaßt, dass mit dem Storytelling-Konzept und dem größeren Kontext eigentlich ein im Kern interessanteres Samra-Album in diesem Moloch verschüttet sein sollte, aber je mehr man die Tracks hört, desto weniger kann man auch daran glauben.

Abseits des einen Moments auf "Geständnis" scheint Samra einfach nicht in der Lage, aus dem Cancelling-Szenario wirklich interessante Kunst zu machen. Ich will ja gar nicht so optimistisch sein und so etwas wie Selbstreflektion erwarten, warum man in so einer Lage gelandet sein könnte. Natürlich müssen wir damit rechnen, dass sowieso aus Prinzip alle anderen schuld sind, die aus blindem Neid gegen ihn konspirieren. Aber selbst in diesem Framework bekommt Samra nichts als Allgemeinplätze und Plattitüden zusammen. Und da er auch auf seiner bisherigen Musik das Melodrama immer auf elf von zehn gedreht hatte, klingt auch dieses Album einfach nur ... wie ein Samra-Album.

Ich kann mir vorstellen, dass Leute, für die dieser Sound das Allergrößte auf der Welt ist, immer noch Freude daran haben werden. Aber auch "Kareem" ist nur ein weiteres Manifest eines eigentlich talentierten Rappers, der ums Verrecken nicht in der Lage scheint, auch nur einen Millimeter von seiner Formel abzuweichen - und das dann aber in Quantität zu ersticken sucht. Man sollte meinen, er würde sich beim hören der Tupac-Alben, die er so oft ins Feld führt, manchmal fragen, warum bei dem nicht jeder Song genau gleich klingt. Aber vielleicht wäre das schon zu viel erwartet.

Trackliste

  1. 1. Straßenunikat
  2. 2. Bei Nacht
  3. 3. Weg Nach Oben
  4. 4. Alles Schon Geschrieben
  5. 5. Roll Durch Berlin (feat. Kolja Goldstein)
  6. 6. Psychopath
  7. 7. Harz Aus Granit
  8. 8. Ya Habibi
  9. 9. Nasser Asphalt
  10. 10. Lauf
  11. 11. Irgendwann
  12. 12. Bruder (feat. Kool Savas)
  13. 13. Der Letzte Auf Dem Feld
  14. 14. Asozialer Araber
  15. 15. Dünnes Eis
  16. 16. Kareem
  17. 17. Rosen Durch Beton
  18. 18. Stell Dir Vor (feat. Vito)
  19. 19. Geständnis
  20. 20. Wenn Du Mich Siehst
  21. 21. Ungebrochen
  22. 22. Feuer Über Deutschland
  23. 23. Blockjunge
  24. 24. Allein
  25. 25. Wen Vermiss Ich?
  26. 26. Tauben Durch Berlin
  27. 27. Testament

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3 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 4 Stunden

    Musik für Daniel und Mehmet die alle Frauen für lügende Bitches halten. Außer Mama natürlich.

  • Vor 4 Stunden

    "Außerdem hallt natürlich auch trotz des Freispruches die Vorsicht nach, dass bekanntermaßen viele Vergewaltigungsopfer vor Gericht absolut schlechte Karten gegen reiche Angeklagte haben. Es steht also viel Uneindeutigkeit im Raum, die Informationslage ist dünn, es wirkt eher, als würden die Leute am liebsten die Finger von diesem heiklen Thema lassen. Was natürlich im Interesse von Wahrheit und Gerechtigkeit das Worst Case-Szenario ist."
    Wenn ich das dem lieben Internet richtig entnommen habe, dann gab es nie einen "Freispruch", weil es gar keine strafrechtliche Gerichtsverhandlung gab. Zu finden ist ein Beschluss des Landgerichts Köln (Aktenzeichen 28 O 252/21) im einstweiligen Verfügungsverfahren, also im Zivilrecht (Samra gegen Influencerin; im Strafrecht wäre es Staat gegen Samra). Und im Zivilrecht ist es so, ich selbst bin da kein Experte, aber so ist es dem Beschluss zu entnehmen, dass derjenige, der etwas Ehrenrühriges öffentlich behauptet, die Beweislast dafür trägt bzw. die Richtigkeit der Behauptung glaubhaft machen muss. Wäre ja auch noch schöner, wenn jeder irgendwas öffentlich behaupten dürfte, z.B. "verhuscht und YNK haben mich gemeinsam im letzten Jahr vergewaltigt", und wir beide müssten beweisen, dass das nicht stimmt. Das könnten wir vermutlich nur dann beweisen, wenn zumindest einer von uns eine im letzten Jahr 24/7 laufende Bodycam hätten, zumindest ein Leben quasi nahtlos aufgezeichnet wäre. Zurück zu Samra: Da die Dame Ihre Behauptungen zivilrechtlich nicht beweisen/glaubhaft machen konnte, hat sie das einstweilige Verfügungsverfahren verloren. Und bevor der Aufschrei kommt: vielleicht wäre es einfach schlauer gewesen, dass Ganze nicht öffentlich zu behaupten, sondern einfach zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Dann hätte es auch kein einstweiliges Verfügungsverfahren gegeben, in dem der Dame dann verboten wurde, dies und das zu behaupten. (Vermutlich ist ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren schlicht eingestellt worden, weil es keinen hinreichenden Tatverdacht gab. Das einstweilige Verfügungsverfahren mag insoweit auf das Strafverfahren faktisch ausgestrahlt haben. Nix Genaues weiß man nicht.)

    • Vor 4 Stunden

      Das Problem daran ist aber, dass die Polizei eben nicht dafür bekannt ist, adäquat mit Anschuldigungen sexueller Gewalt umzugehen. Viele Vergewaltigungsopfer empfinden eine gewisse Scham, während sie gleichzeitig auch nicht der breiten Öffentlichkeit als Opfer bekannt sein wollen. Wenn die Polizei ihren Job machen würde, müssten sich nicht so viele Frauen an die Öffentlichkeit begeben. Ein Harvey Weinstein hatte eine gewisse Macht, ebenso ein Samra, wenn nicht vielleicht in dem Umfang.

      Es gibt genügend punktuelle Momente in dem Fall, um gegenüber Nika ein wenig skeptisch zu sein, aber "einfach mal zur Polizei gehen und nicht ein Fass aufmachen" hat leider laut Berichten vieler anderer Opfer auch nicht wirklich funktioniert.

    • Vor 3 Stunden

      Ich war nicht dabei, deswegen weiß ich nicht, ob die Dame da "ein Fass aufgemacht hat". Dass sich ein anderer juristisch gegen öffentliche, karriereschädigende Behauptungen (seien sie richtig oder falsch) wehrt, erscheint mir naheliegend. Deswegen wäre es wahrscheinlich rein strategisch schlauer gewesen, sich vorher juristisch beraten zu lassen. Aber vielleicht hat sie das auch gemacht, dann war der Rat, ruhig an die Öffentlichkeit zu gehen, juristisch nicht gut. Ist aber auch nicht weiter von Belang, ich habe einfach nichts zu einem "Freispruch" gefunden, so etwas scheint es mir nicht gegeben zu haben. (Das meine ich alles unabhängig davon, was wirklich passiert ist. Denn dazu kann ich nichts sagen.)
      Zur Polizei: es gibt oft auf Seiten der Ermittlungsbehörden wenig zu ermitteln, weil wenig ermittelt werden kann. Eine häufige Fallgestaltung ist die, dass zwei Personen ohne Zeugen an einem Ort sind, die eine Person sagt nach einigem zeitlichen Abstand, es sei zu sexuellen Handlungen gegen ihren Willen gekommen, die andere sagt entweder, es sei gar nicht zu sexuellen Handlungen gekommen, oder, dass das Ganze einvernehmlich gewesen sei. Wenn die Anzeige nicht unmittelbar nach der Tat erfolgt, kann die Polizei regelmäßig nichts ermitteln, weil es keine Zeugen oder sonstige Beweismittel gibt. Das ist einfach eine schwierige Situation, in der "die Wahrheit" kaum festzustellen ist.

    • Vor 2 Stunden

      ...finde auch diese Anspruchshaltung bedenklich, die subtil immer mitschwingt, dass bspw. diejenigen, die dann wirklich mal unschuldig sind, die Falschbeschuldigung auszuhalten haben, als Kollateralschaden quasi oder zumindest den Zweifel ertragen müssen, obwohl sie unschuldig sind. Das führt paradoxerweise dann immer mehr dazu, dass auch Opfern weniger geglaubt wird bzw. der Zweifel überhaupt in solchen Angelegenheiten steigt und die Leute irgendwann nur noch abwinken "nicht schon wieder so ein Käse, hatten wir doch schon, wie jüngst bei Luke M.". Erstaunlich finde ich allerdings, dass wir im "Akademikerzeitalter" scheinbar immer mehr Menschen erleben, die den Rechtsstaat und dessen Implikationen für das Individuum intellektuell nicht erfassen können und sich dann irgendwann wundern, wenn diesem nachgetrauert werden muss.

    • Vor einer Stunde

      Ich habe den Eindruck, für viele bedeutet Rechtsstaat, dass der Staat ihnen recht gibt; tut er das nicht, beginnt der Abgesang auf Selbigen bzw. handelt es sich um einen Unrechtsstaat. Das ist ein wenig wie bei der Meinungsfreiheit, in Bezug auf die bekanntlich viele der Meinung sind, diese Freiheit bedeute, dass ihrer Meinung zugestimmt werden müsse.
      Bei Sexualdelikten ist das Schlimmste für die Opfer natürlich der Umstand, dass zu ihrem Nachteil eine solche begangen wurde. Das Zweitschlimmste ist, dass es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Falschbeschuldigungen gibt, weswegen die Hürden für eine Anklageerhebung (und Verurteilung) - wie ich meine vollkommen zu recht - in der Praxis durchaus hoch sind.

    • Vor einer Stunde

      ...das wird so oder so äußerst spannend die nächsten 20 Jahre. Ich überlege bereits, ganz tief in den Wald zu ziehen in irgendeine schwer zu vermietende Blockhütte o.ä.

  • Vor einer Sekunde

    der dude hatte genau 1 uniquen selling point und das war sein völlig und totales glorifizieren des kettenrauchens