laut.de-Kritik
Am Gipfel droht immer der Abgrund.
Review von Emil DröllEs ist Anfang 1975. Pink Floyd stehen nicht am Abgrund, aber an einem Punkt, an dem selbst der Gipfel beängstigend wirkt: "The Dark Side Of The Moon" hat sie nicht nur an die Spitze gespült, sondern dort festbetoniert. Ein Nachfolger kann nun eigentlich nur scheitern: entweder an den eigenen Ansprüchen oder an der Erwartungshaltung der Welt. Der tiefe Sturz oder der Schritt in den Kanon der Unsterblichen, viel Spielraum dazwischen bleibt nicht.
Fünfzig Jahre später ist die Entscheidung längst gefallen. "Wish You Were Here" steht heute gleichberechtigt neben "The Dark Side Of The Moon" und "The Wall" als einer der ganz großen Fixpunkte der Pop- und Rockgeschichte. Richard Wright hielt es rückblickend sogar für das beste Album seiner Band. "Wish You Were Here (50th Anniversary)" ließe sich also als späte Verneigung vor dem 2008 verstorbenen Keyboarder lesen. Man kann es aber ebenso nüchtern betrachten als das, was solche Editionen immer auch sind: kuratierte Erinnerungspflege und kommerzielle Ausschlachtung eines Klassikers.
Herzstück von "Wish You Were Here (50th Anniversary)" ist zunächst das Originalalbum selbst – erstmals in einem Dolby-Atmos-Mix, angefertigt von Langzeit-Wegbegleiter James Guthrie. Ausgangspunkt der Platte waren 1974/75 drei lange Stücke: "Shine On You Crazy Diamond", "Raving And Drooling" und "You've Got To Be Crazy". Roger Waters setzte sich mit seiner Vision durch – zum Glück. "Shine On You Crazy Diamond" wurde zum Rahmen des Albums, die beiden anderen Songs landeten später, neu arrangiert, auf "Animals".
Im Atmos-Sound wirkt "Shine On" nun offener, atmender, ohne seinen melancholischen Kern zu verlieren. Der eigentliche Gewinner des neuen Mixes ist jedoch "Welcome To The Machine". Die kalte Mechanik dieses Stücks umschließt einen förmlich, Zahnräder greifen ineinander, Synthesizer und Effekte scheinen sich im Raum zu bewegen. Man versteht hier noch einmal neu, warum dieses Album Legendenstatus genießt. Dass ausgerechnet eine Jubiläumsausgabe mit audiophilem Luxus jene Musikindustrie feiert, die in "Welcome To The Machine" und "Have A Cigar" so bitter attackiert wird, ist eine Ironie, die eigentlich der Peinlichkeit weichen will.
Das eigentliche Kaufargument für die Box sind allerdings die sechs bislang unveröffentlichten Studioaufnahmen. Zuvor gibt es allerdings Material, das bereits aus dem "Immersion" Box Set von 2011 bekannt ist. "Wine Glasses" dokumentiert Gilmours frühe Klangsuche mit auf Weingläsern gespielten Tönen – ein embryonales "Shine On".
Die alternative Version von "Have A Cigar" verzichtet auf Roy Harpers Gastgesang, hier übernimmt Waters selbst den Part des zynischen Plattenbosses. Und "Wish You Were Here" mit Jazzgeiger Stéphane Grappelli bleibt auch 2025 das Glanzstück dieser älteren Boni: Während die Violine im Original nur schemenhaft im Outro auftaucht, prägt sie hier weite Teile der zweiten Songhälfte und verleiht der Syd Barrett-Hommage einen fast kammermusikalischen Ton.
Spannender sind die nun erstmals veröffentlichten Aufnahmen. "Shine On You Crazy Diamond (Early Instrumental Version, Rough Mix)" überrascht mit kantigerer, teils funkig wirkender Rhythmik. Weniger Hochglanz, mehr Proberaum. Die Synthesizerflächen treten zurück, dafür rücken Wrights Keyboards stärker ins Zentrum. Es ist kein alternatives Meisterwerk, aber ein faszinierender Blick auf ein Stück in seiner Entstehung.
"The Machine Song (Roger's Demo)" und "The Machine Song (Demo #2, Revisited)" entlarven "Welcome To The Machine" als das, was es ist: ein Studio-Monument. Die frühen Demos sind kürzer, skizzenhafter, interessante Skizzen – und gleichzeitig der Beweis, wie sehr der finale Song erst durch minutiöse Studioarbeit und Sounddesign zu seiner beklemmenden Größe fand.
Deutlich stärker wirkt "Wish You Were Here (Take 1)". Unvollkommen, improvisierter, ohne das ikonische Radio-Intro. Waters singt brüchiger, beinahe nihilistisch, selbst im Refrain liegt Bitterkeit statt Trost. Hier klingt der Song weniger wie ein Welthit und mehr wie ein offenes Geständnis. Ein Highlight dieser Edition.
Die Pedal Steel-Version des Songs kommt ohne Gesang aus und schwankt zwischen transzendentaler Weite und staubigem Country-Gefühl. Kein essenzieller Fund, aber auch kein überflüssiger. Interessanter ist der abschließende Experimentierwille: "Shine On You Crazy Diamond (Pts. 1-9, New Stereo Mix)" erstmals als durchgehende Sequenz. Historisch so nie geplant, musikalisch dennoch reizvoll: ein gedankliches 'Was wäre wenn', das erstaunlich gut funktioniert.
Was dann auf CD 3 wartet, ist fast schon ungeheuerlich – und zugleich typisch Pink Floyd-Fanbase: 16 Live-Aufnahmen, mitgeschnitten von Mike Millard beim Konzert am 26. April 1975 in der Los Angeles Sports Arena. Jahrzehntelang kursierte dieses Material als Bootleg, nun erscheint es erstmals offiziell, restauriert und remastered von Steven Wilson.
Und ja: Auch Wilson kann kein Stroh zu Gold spinnen. Die Aufnahme bleibt ein Dokument ihrer Zeit – roh, stellenweise dumpf, hörbar nicht professionell aufgezeichnet. Die Setlist beginnt mit den beiden Frühversionen von "Raving And Drooling" und "You've Got To Be Crazy", die später auf "Animals" verewigt wurden. Direkt im Anschluss entfaltet sich "Shine On You Crazy Diamond", unterbrochen von einem deutlich härteren, aggressiveren "Have A Cigar", in dem David Gilmour das Gitarrensolo weit improvisierender anlegt, bevor es nahtlos in die zweite Hälfte von "Shine On" zurückgleitet.
Danach folgt das komplette "The Dark Side Of The Moon". Reduziert, kantig, beinahe entzaubert – und vor allem: klanglich klar unterlegen gegenüber anderen Live-Dokumenten. Für eine restaurierte Bootleg-Aufnahme ist das Ergebnis respektabel. Aber wer "Dark Side" live erleben will, greift weiterhin besser zur Wembley-Aufnahme von 1974. Diese Los Angeles-Show ist weniger audiophiles Erlebnis als historisches Zeitfenster: eine Band zwischen zwei Epochen, zwischen musikalischem Großentwurf und zunehmender innerer Verhärtung.
Am Ende bleibt ein gemischtes, aber insgesamt positives Fazit. Das Dolby-Atmos-Upgrade ist mehr als ein Gimmick und wertet das Album hörbar auf. Die neuen Demos und Alternativversionen sind für Fans ein lohnender Blick hinter die Kulissen, für alle anderen ein weiterer Beweis, dass selbst große Kunst dem Verwertungszyklus nicht entkommt. Das Live-Material ist kein Ersatz für eine ausgewachsene Live-Platte, aber ein faszinierendes Dokument eines Übergangsmoments. Vieles ist Mitgift und nicht zwingender Kaufgrund. Doch dort, wo "Wish You Were Here (50 Anniversary)" wirklich glänzt, erinnert es daran, warum dieses Album auch fünf Jahrzehnte später noch schmerzt, tröstet – und bleibt.


1 Kommentar mit einer Antwort
Wenn Roger Waters nicht so ein elendiger Hundesohn wäre...
dachte ich mir auch gerade