laut.de-Kritik

Willkommen in der Bar, außer du bist dagegen.

Review von

Dass Roger Waters der ritterlichste Ritter auf dem weißesten Ross ist, dürfte jedem bekannt sein, der ihm länger als zwei Minuten in einem Interview zugehört hat. Wir, das dumme Fußvolk, das laut seiner Sichtweise einer "Gehirnwäsche" unterzogen wurde, tappen im Dunkeln – während er die Wahrheit kennt. Bei seinen Statements gibt sich Waters mit einer Radikalität, die jenen Regimen in nichts nachsteht, die er so leidenschaftlich anprangert. Seine Antwort auf jeden, der eine andere oder differenziertere Meinung hat als er? "Du musst mehr lesen".

Und seid gewarnt: Die "Introduction" ist nicht etwa eine musikalische Einführung, sondern eine Nachricht an uns, die wir einer Gehirnwäsche unterzogen wurden: "Wenn ihr zu den Leuten gehört, die sagen: 'Ich liebe Pink Floyd, aber ich kann Rogers Politik nicht ausstehen', solltet ihr euch vielleicht besser sofort an die Bar verpissen". Na gut, dann hören wir es eben heimlich über Spotify, wenn wir so unwillkommen sind. Alles besser als die Worte "Gehirnwäsche" und "Fake News" im selben Atemzug zu benutzen.

Dabei glaubt Roger Waters an viele Dinge: an Menschlichkeit, an Widerstand, an das Recht, sich über alles und jeden moralisch zu erheben. Und, nun ja, auch an sich selbst. Sehr sogar. Auf "This Is Not A Drill – Live From Prague" lässt sich der Pink Floyd-Mitgründer, Ego-Dirigent und Megaphon-Romantiker ein weiteres Mal auf großer Bühne beim Weltenretten zuhören – und siehe da: Es ist musikalisch verdammt gut geworden.

Dabei wurde der arme Roger quasi mundtot gemacht. "Ich stehe unter enormem Druck seitens der Veranstalter der Show, (...) die verständlicherweise (...) ständig versuchen, meinen Daumen immer fester auf den Pink Floyd-Knopf zu drücken", sagt er in einem Interview. Dabei ist das doch genau sein Ding, er sieht sich doch ohnehin als One-Man Pink Floyd. Aber nein, der Besitzanspruch ist nun einem höheren Zweck gewichen – dem höchsten aller: Uns zu belehren. "Ich versuche ständig, meinen Daumen vom Pink Floyd-Knopf wegzubewegen, hin zu: so empfinde ich für meine Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt, und wir müssen gemeinsam handeln, um unsere entsetzlichen Führer davon abzuhalten, die Welt zu zerstören". Warum dann die halbe Setlist aus Floyd-Songs besteht und Waters nicht einfach als Stand-Up-Comedian auf Tour geht? Ich weiß es doch auch nicht.

Trotzdem ist das hier natürlich keine normale Liveplatte. Schon der Titel klingt mehr nach Fliegeralarm als nach Nostalgietrip. Und wir alle wissen: Der Mann wäre lieber politischer Aktivist geworden als Rock-Ikone. Leider kam ihm "The Dark Side Of The Moon" dazwischen. Jetzt muss er auf der Bühne immer noch "Comfortably Numb" spielen, obwohl er lieber einen TED-Talk über westliche Außenpolitik halten würde. Man spürt förmlich, wie er sich innerlich entschuldigt, wenn wieder Gitarrenlinien aus dem Jahr 1979 erklingen – 'Entschuldigung, das mit dem Solo war von diesem lästigen Anhängsel Gilmour, ich wollt's nur gesagt haben'.

Vielleicht hat man deswegen "Comfortably Numb" auch gleich des vielleicht besten Gitarrensolos seiner Zeit beraubt. David Gilmours Solo wurde durch eine durchaus bewegende und emotionale Gesangseinlage einer Sängerin ersetzt – schön, aber einfach nicht dasselbe. Wenn schon Gitarre streichen, dann bitte nicht dieses Solo.

Doch dann kommen Momente, in denen man alles vergisst: Die Blu-Ray-Fassung zeigt "Wish You Were Here" als Hommage an Syd Barrett, durchzogen von eingeblendeten Zeilen – und Waters zeigt sich für einen Moment nahbar. "When you lose someone you love, it does serve to remind you: this is not a drill". Es ist einer der raren Augenblicke echter Demut.

Bei "Have A Cigar" glänzt Dave Kilminster an der Gitarre – ein Spiel, das der Originalaufnahme in nichts nachsteht. Wenn das live auch nur halb so gut klang, wie es hier dokumentiert ist: Respekt. Auch das Solowerk "Is This The Life We Really Want?" fügt sich nahtlos in den Floyd-Kosmos ein. Hier darf Waters dann auch endlich wieder das tun, was er am liebsten macht: die Welt verbessern. Zumindest lyrisch.

"Another Brick In The Wall Pt. 2 und 3" überraschen mit ordentlich Live-Energie, bei "The Powers That Be" und "The Bravery Of Being Out Of Range" glänzen vor allem die Background-Sängerinnen. Schon nach dem ersten Drittel des Albums merkt man: Es ist nicht Waters, der durch den Abend trägt – es ist die Band.

Zwischendrin gibt's dann auch, natürlich, Ansprachen. Plötzlich ist "The Bar" an der Reihe, ein Song, der über den Abend aufgeteilt wurde. Und plötzlich soll das ganze Stadion eine Bar sein – ein wunderbarer Ort, an dem man sich austauschen kann. Ob das dieselbe Bar ist, in die sich auch die Roger-Hater anfangs verpissen sollten?

Was folgt, sind perfekt arrangierte Versionen alter Klassiker und neuer Soloprojekte. Roger schafft es tatsächlich auch meistens, die Klappe zwischen den Songs zu halten. Bei "Shine On You Crazy Diamond" und "Money" glänzt dann auch das Saxophon so richtig.

Mit "Two Suns In The Sunset" ("The Final Cut") gibt's kurz vor Schluss nochmal einen schönen Klassiker – nur leider wird der Song überschattet von Rogers abschließendem Redebedarf. Antisemitismus-Vorwürfe, Aussagen zum Ukraine-Krieg, Verschwörungstheorien, blanker Narzissmus – all das wabert weiter im Hintergrund des Live-Konzerts. Waters liefert auf der Bühne keine direkten Skandale, dafür aber eine Art multimediale PowerPoint-Projektion: Statements in Laufschrift, Videos von Gewalt – und immer wieder: die Botschaft. Krieg ist schlecht. Kapitalismus auch. Danke, Roger. Ist notiert.

Dass "This Is Not A Drill" zur musikalischen Extraklasse gehört, wird nach dem Hören spätestens klar – nur leider bietet dieser Rahmen auch wenig Platz für Individualität. Ganze Videoshow, nahtlos übergehende Songs, jeder kennt seinen Platz und besetzt ihn auch genau so wie vorgesehen. Man fühlt sich ein bisschen abgefertigt – was natürlich gut, aber auch schade sein kann.

Und so bleibt "This Is Not A Drill – Live From Prague" das, was Roger Waters in Reinform ist: unbequem, ambitioniert, musikalisch brillant – und menschlich unfassbar anstrengend. Ein Livealbum zwischen Vision und Hybris. Und vielleicht, wer weiß – ein kleiner Schritt Richtung Weltfrieden. Zumindest in seinem Kopf.

Trackliste

CD1

  1. 1. Introduction
  2. 2. Comfortably Numb
  3. 3. The Happiest Days Of Our Lives
  4. 4. Another Brick In The Wall Part 2
  5. 5. Another Brick In The Wall Part 3
  6. 6. The Powers That Be
  7. 7. The Bravery Of Being Out Of Range
  8. 8. The Bar Part 1
  9. 9. Have A Cigar
  10. 10. Wish You Were Here
  11. 11. Shine On You Crazy Diamond
  12. 12. Sheep

CD2

  1. 1. In The Flesh
  2. 2. Run Like Hell
  3. 3. Déjà Vu
  4. 4. Is This The Life We Really Want?
  5. 5. Money
  6. 6. Us & Them
  7. 7. Any Colour You Like
  8. 8. Brain Damage
  9. 9. Eclipse
  10. 10. Two Suns In The Sunset
  11. 11. The Bar Part 2
  12. 12. Outside The Wall

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3 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 10 Stunden

    "Seine Antwort auf jeden, der eine andere oder differenziertere Meinung hat als er? "Du musst mehr lesen"."

    Ja, es ist aber auch schwierig hier den richtigen Ton zu treffen. Einerseits berechtigte Kritik üben, andererseits aber nicht über das Ziel hinaus zu schießen und sich an die Vorschriften zu halten. Ich denke, gerade die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, wie schwierig es ist, so einen Diskurs zu moderieren, um allen - Befürwortern sowie Bedenkenträgern in sämtlichen Abstufungen - gerecht zu werden. Aber klar, irgendwann nervt's halt, wenn ständig Kritik kommt.

  • Vor 7 Stunden

    Finde gut das er so viele Pink Floyd Songs spielt und nicht wie andere auf Krampf das Solo Zeugs durchdrückt.

  • Vor einer Stunde

    Lahme Scheibe, ich bin enttäuscht. Für mich ganz schwache Versionen von seinem vielleicht stärksten solo Song, bravery of bring out of range, verlängert noch um eine politisch fragwürdige Strophe, viel Selbstbeweihräucherung, langatmig in den politischen Botschaften die sich sehr gerne selbst reden hören wollen, als Dinge präzise auf den Punkt zu bringen. Ganz schlimm in den Zugaben. Das nimmt dir als Besucher des Konzerts wahrscheinlich jede Stimmung. Für mich alles ziemlich lahmarschig was irgendwie gezwungen ohne Gitarre, also echte Gitarre und Soli ala Gilmour auskommen will. Die letzte live war für mich bedeutend besser. Bedeutend besser. Comfortubly numb ohne solo.. Ok, wer glaubt ohne auskommen zu können....