laut.de-Kritik
Jetzt auch für Glatzenträger zugänglich.
Review von Emil DröllVor Kurzem veröffentlichte Hayley Williams 17 Songs auf ihrer Website, die mit einem Zugangscode gesichert waren, den nur erhielt, wer online eines ihrer Haarfärbemittel bestellte. Keine klassische Promo, kein Countdown, kein bunt blinkendes TikTok. Nur eine veraltete Y2K-Website, ein Passwort, und dahinter: 17 neue Songs. 17 Singles, um genau zu sein. Kein Album. Kein Konzept? Oder vielleicht 17 Konzepte auf einmal? Ob Gag oder ernst gemeinte Promo - egal, nun dürfen wir es alle hören. Auch ohne Code.
Spätestens seit ihrem Solodebüt "Petals For Armor" ist klar: Diese Frau hat nicht nur eine Stimme, sondern auch ein Gespür für die melancholischeren Winkel des Pop- und Alt-Rock-Spektrums.
Jetzt also 17 Singles. Alle an einem Tag veröffentlicht. Jede mit eigenem Cover: ein schwarz-weißes Portrait von Williams, darüber gelbe Kritzeleien wie von einem übermüdeten Kunststudenten – oder aus einem x-jährigen Tagebuch voller Selbstgespräche. Und genau so klingt es auch.
Den Anfang macht die inoffizielle Leadsingle "Mirtazapine", eine Liebeserklärung an ein Antidepressivum. Doch statt sich etwa in Selbstmitleid zu suhlen, stampft der Track im schweren Alt-Rock-Gewand los, mit einer Hook so scharfkantig wie catchy.
"Zissou" zieht den Stecker: ein ätherisch verträumter Indiepop-Moment, in dem Williams fast flüstert, als würde sie nicht mal sich selbst ganz trauen. "Whim" wühlt sich durch Americana-Wurzeln. "Ice In My OJ" zitiert in den Lyrics "Jumping Inside" von der CD-/Comicbuchreihe Mammoth City Messengers, wirkt dabei aber etwas unfertig – als hätte sie sich zwar selbst noch mal gecovert, aber dabei den Mut zur Radikalität verloren.
"Glum" ist dann wieder ganz bei sich – digital verfremdete Vocals über einem minimalistischen Beat. Man hört Hayley zu, wie sie über Einsamkeit sinniert, während der Song selbst klingt, als hätte man ihn in einem leer geräumten Raum mit Neonlicht aufgenommen. Nicht revolutionär, aber erstaunlich stimmungssicher.
Und dann ist da noch "Discovery Channel" – eine halbe Hommage an "The Bad Touch" von der Bloodhound Gang, halb Cover, halb Kommentar. Der Track funktioniert, weil Williams sich auch mal lässig gibt.
Was die 17 Tracks verbindet, ist ihre Zerstreuung. Sie sind kein Statement, sondern ein offenes Tagebuch mit zu vielen Einträgen auf einmal. Manche davon sind ungeschliffen, andere überraschend pointiert formuliert. Der Sound oszilliert zwischen Alt-Rock, Dream-Pop, Americana und experimentellem Indie – manchmal etwas zu beliebig, aber nie belanglos. Hayley Williams klingt auf diesen Singles verletzlich, wütend, müde, albern, zärtlich und ungeduldig – manchmal alles in einem Song.
3 Kommentare mit einer Antwort
"Jetzt auch für Glatzenträger zugänglich."
#JusticeForSchwingi
Fein, gestern durch Zufall gesehen, da war hier leider noch nix.
Werde die Tage mal reinhören in die 17 non-conceptional-Songs. Auf sie mit Gedröll!
"Hayley Williams klingt auf diesen Singles verletzlich, wütend, müde, albern, zärtlich und ungeduldig – manchmal alles in einem Song."
Naja, wenigstens endlich mal nicht explizit verträumt.