9. März 2007
"Wir fürchten uns, vernichtet zu werden"
Interview geführt von Alexander CordasEin Gespräch mit den Blackfield-Musikern Aviv Geffen und Steven Wilson über Politik, emotionale Musik, den Touralltag und seine Tücken sowie die geselllschaftliche Relevanz des iPods.Ungemütlich ist es an diesem Samstag Ende Februar. Regnerisch, windig, schlicht und ergreifend grau in grau. Das passt auch ganz gut zur Umgebung des Z7, das sich im Industriegebiet des Schweizer Dörfchens Pratteln in der Nachbarschaft von Ikea und Co. befindet. Dort treten am Abend Blackfield auf, die mit ihrem melancholischen Sound auch ganz gut in dieses Ambiente passen. Aviv Geffen, Steven Wilson und Co. werden später ein wunderbares Set auf die Bühne legen. laut.de packte die Gelegenheit beim Schopfe, der Israel/England-Connection mal ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Aviv, in Israel bist du ja eine große Nummer. Wie ist es dann, in Europa zu touren?
In Israel bin ich für die junge Generation so etwas wie ein Symbol. Hier in Europa sind die Zuschauerzahlen aber höher. Jetzt sind wir eine Woche unterwegs und spielen jeden Abend im Schnitt vor 800 bis 1.000 Leuten. Schau zum Beispiel auf unsere MySpace-Seite. Da haben sich Leute aus der ganzen Welt eingetragen. Das lässt sich doch alles sehr gut an.
War es eigentlich zum Zeitpunkt des Releases der ersten Scheibe geplant, ein weiteres Album zu machen?
Als Steven und ich uns zum ersten Mal getroffen haben, war das so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Er fand meine Songs toll, ich bewundere seine Producer-Fähigkeiten und er ist ein großer Gitarrist. Wir haben mit vier Songs angefangen, die auf einer EP landen sollten. Die Reaktionen auf die Tracks waren überwältigend. Deshalb wollten wir dann ein Album machen. Nach der 2004er Tour unterschrieben wir bei Warner einen Deal und bekamen einen Vorschuss, mit dem wir unsere zweite Platte finanzieren konnten. So hatten wir ein größeres Budget zur Verfügung, so dass wir unter anderem auch ein Orchester engagieren konnten etc., was man der CD auch anhört.
Blackfield-Songs sind ja eher simpel strukturiert und relativ kurz. Stevens Background ist da ein anderer. Er schreibt ja teilweise epische Tracks. War die Herangehensweise an die Songs von vorneherein so angelegt, dass ihr die Kompositionen so straight haben wolltet?
Ja, das war Stevens Herangehensweise an dieses Album, mit schönen Balladen. Er wollt es unbedingt so machen. Es gibt ganz hervorragende, progressive Rockmusik, versteh mich nicht falsch, aber es ist viel schwerer, einfach strukturierte, gute Songs zu schreiben. Das ist ja eher mein Ansatz und deshalb habe ich auch ungefähr 80% der Songs geschrieben.
Kannst du uns verraten, wo Steven seine Zeitmaschine versteckt hält? Wir haben uns gefragt, wo er all die Zeit hernimmt, um seine zahlreichen Projekte zu realisieren?
Wir beide sind sehr fleißig. Ich selbst bin mit meiner Solo-Karriere in Israel beschäftigt. In meiner Heimat habe ich ungefähr zwei Millionen Platten verkauft und habe viele Fans. Aber Steven und ich denken, dass Blackfield die Zukunft gehört. Wen wir zusammen schreiben, bekommen wir einen Song in 20 Minuten fertig. Bis jetzt gab es euphorische Reviews und ich kann dir garantieren, dass Steven und ich Blackfield sehr ernst nehmen. Das ist eine richtige Band und kein einmaliges Projekt.
Können wir also davon ausgehen, dass es weitere Platten geben wird?
Klar. Wir werden in den nächsten Monaten damit beginnen, neues Material für die dritte Scheibe zu schreiben.
Wird es eigentlich jemals einen fröhlichen Blackfield-Song zu hören geben?
(lacht)Nie im Leben! Auf keinen Fall! Das Ding dabei ist, Blackfield beschäftigt sich mit der Schwachheit und der Traurigkeit in der Welt: Steven und ich bewundern Bands wie Pink Floyd, die ebenfalls dieses Thema beschäftigt. Es gibt nicht so viele Bands, die Musik über die Kälte in der Welt machen; Radiohead vielleicht. Blackfield steht für Traurigkeit und Einsamkeit. Aus der persönlichen Perspektive, dafür, Gott zu kritisieren, oder wie es ist, ich selbst zu sein, eine romantische Person in einer kalten Welt.
Ich kenne die israelische Musikszene überhaupt nicht. Gibt es da Gemeinsamkeiten oder Unterscheide zu der in Europa?
Es gibt sehr gute Musik. Rock, Indierock, Progrock, Elektro oder Industrial. Aber ich bin der einzige, der ins Ausland gegangen ist und durch die Welt tourt. Ich bin aber auch der einzige, der aktivistisch tätig ist. Ich bin gegen die Besatzung und halte die besetzten Gebiete für Krebsgeschwür im Körper Israels, ich kritisiere meine Regierung. Es gibt keinen anderen Weg. Zum Beispiel ist es komplett idiotisch, überhaupt nicht mit Syrien zu reden. Wir müssen alles für den Frieden tun.
In Deutschland wäre es heikel, Israel offen für seine Politik zu kritisieren.
Ich weiß. Ich denke, dass wir aufgrund des Holocausts paranoid geworden sind. Wir fürchten uns davor, noch einmal vernichtet zu werden. Manchmal sind wir sehr hart, härter als wir eigentlich sein müssten, um unser Leben zu schützen. Zum Beispiel beim Militär, die Sache mit den besetzten Gebieten. Das ist alles so hässlich und entspringt dieser Paranoia. Die Juden haben sehr gelitten und trauen keinem mehr. Das ist das eine. Auf der anderen Seite müssen wir die Besatzungen stoppen, uns zurück ziehen und den Palästinensern ihr eigenes Land geben, auch Ostjerusalem.
Eine revolutionäre Idee ist ja die von Palästina und Israel auf einem Staatsgebiet.
Nein, zwei Staaten, so dass sie ihr Leben leben können, mit ihrer eigenen Wirtschaft usw. Das ist nicht der einfach Weg. Der einfache ist, in den Krieg zu ziehen, sich gegenseitig umzubringen und Blut zu vergießen. Das Leiden dauert jetzt schon so lange.
Auch auf dem neuen Album hast du mehr Songs geschrieben als Steven. Woher kommt das?
Wir haben uns zusammen gesetzt und gemerkt, dass meine Songs besser in den Kontext des Albums passen. Das Material befindet sich ungefähr in der Mitte dessen, was uns als Songwriter ausmacht. Es ist kein Prog-Rock und deshalb gibt es auch keine langen Soli. Auf der anderen Seite sind es auch nicht die Songs, die ich typischerweise schreibe, sondern eher klassische, cheesige Piano-Balladen. Die Arbeit mit Steven ergibt einfach eine perfekte Mischung. Journalisten haben gemeint, es klingt, als ob Gilmour seinen Waters gefunden hat.
Kennen gelernt habt ihr euch, nachdem du ihn nach Israel eingeladen hast?
Ja. Ich kannte seine Porcupine Tree-Sachen und fand, dass die Band in Israel spielen sollte. Daraufhin habe ich ihm gemailt und so spielten sie in meiner Heimat. Als wir uns getroffen haben, habe ich ihm ein paar meiner Songs zum Anhören gegeben und er fand sie gut. Ah, da ist Steven. Steve! Die haben hier noch ein paar Fragen an dich!
"Wir sind auf Angebote von Promotern angewiesen"
Hallo zusammen. Worum geht's?Über Gott, Weltpolitik und den tieferen Sinn des Lebens.
Ah, so so. Ihr sagt mir dann bescheid, worüber ihr mit mir reden wollt, oder? (lacht)
Ich habe Aviv gerade gefragt, ob er weiß, wo du deine Zeitmaschine versteckt hast, um all die Projekte zu realisieren, die du machst.
Ähm, ... ich habe momentan einfach kein Privatleben, um es mal so auszudrücken. Ich arbeite immer.
Schön für deine Fans.
Ja, aber nicht so gut für mich, aber so ist das eben, ich kann mich selbst nicht davon abhalten.
Du bist jetzt zum zweiten Mal mit Blackfield und insgesamt zum vierten Mal in der Schweiz. Die Zuschauerzahlen bei Porcupine Tree wurden immer größer. Denkst du, dass das mit Blackfield ebenfalls so gut funktioniert?
Ich hoffe doch, denn das letzte Mal, als wir mit Blackfield hier gespielt haben, waren ungefähr fünfzig Leute da. Ich hoffe, dass sich das ein Trend ist, zumindest war es bislang überall in Europa so. Die meisten Shows waren sogar ausverkauft. Hier sind wir ein wenig besorgt, weil es beim letzten Mal so schlecht lief. Aber wie du erwähnt hast, hat Porcupine Tree die Zuschauerzahlen bei jedem Mal verdoppelt. Ich hoffe sehr, dass sich das jetzt fortsetzt.
Da hilft dir die Porcupine Tree-Fangemeinde mit Mund zu Mund-Propaganda sicher.
Das schon, aber Blackfield macht sich langsam aber sicher einen eigenen Namen. Es gibt sicher einige, die Blackfield mögen aber keine Ahnung haben, was Porcupine Tree betrifft. Vor allem dort, wo wir schon mit dem ersten Album eine Hitsingle hatten wie Griechenland oder Polen.
Warum habt ihr eigentlich eure Tour so gelegt, dass ihr im Süden Deutschlands überhaupt nicht spielt?
Keine Ahnung. Ich persönlich hätte gerne dort gespielt. Mit PT sind wir eigentlich relativ oft in Stuttgart oder München. Ich denke aber, dass man das gerne missversteht, wenn eine Band auf Tour geht. Da wählt man nicht, wohin man gerne gehen möchte. Wir sind auf Angebote von Promotern oder Agenten und auf die Route angewiesen. Wenn ein Venue in einer Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in den Plan passt, geht das eben nicht. Wenn es dann hinhauen würde, ist man eventuell schon auf der anderen Seite Europas. Manchmal gibt es auch einfach kein gutes Angebot. Mit PT lief das so, dass sich das entwickelt hat. Mittlerweile können wir Touren wesentlich effektiver organisieren. In den Anfangstagen haben wir gespielt, wann und wo es nur ging.
Danke für diesen Einblick.
Hast du gedacht, Bands suchen sich aus, wo sie gerne spielen wollen? Ich wünschte, es wäre so einfach.
Stimmt es, dass ihr eine Blackfield-Show für eine DVD aufgenommen habt?
Ja, wir haben eine mitgeschnitten aber wir nehmen nächsten Monat noch eine in New York auf, denn mit der einen, die wir schon auf Band haben, waren wir nicht so zufrieden. Ja, es gibt Pläne für eine DVD. Ein weiterer Punkt auf meiner To Do-Liste.
Die letzten Porcupine Tree-Releases habt ihr ja auch im Surround-Sound veröffentlicht. Können wir mit etwas Ähnlichem auch bei Blackfield rechnen?
Würde ich gerne machen. Ich mag Surround Sound-Discs. Porcupine Tree eignet sich von der Detailfülle der Produktion und vom Sound her am besten für Surround Sound, die Tracks sind sehr lange und es passiert einiges. Perfekt also für 5.1. Blackfield ist da ein wenig einfacher und direkter strukturiert, würde sich aber trotzdem gut im Surround-Sound anhören. Ob du etwas in der Richtung erwarten kannst? Hm ... ich habe noch nicht darüber nachgedacht, aber das heißt nicht, dass da nicht auch etwa passieren könnte. Aber erwartet es nicht, seid überrascht, wenn es so weit ist.
Auf "Blackfield II" hat Aviv wieder die meisten Songs geschrieben. Habt ihr bei der Auswahl der Songs keine Probleme zu entscheiden, welche auf das Album kommen sollen?
Aviv ist da produktiver. Oder besser: Er ist produktiver, wenn es darum geht, Songs in diesem Stil zu schreiben. Im Gegensatz zu den langen, komplexeren Stücken, schreibe ich kurze, in sich geschlossene Lieder eher weniger. Das ist quasi die Ausnahme. Das ist eher das Ding von Aviv und das macht er sehr gut. Das Verhältnis ist auf der neuen Scheibe 7:3. Von Beginn an war der Ansatz bei Blackfield, Avivs Begabung für Melodien und das Songwriting mit meinem Sound und meiner Produktion zu verbinden. Für mich ist das die Magie, die von Anfang an zwischen uns bestand. Wir haben das jetzt einfach fortgeführt.
Wenn man "1.000 People" zum ersten Mal hört, denkt man eventuell, dass du nicht gerne auf der Bühne stehen würdest.
Das ist einer von Avivs Songs und mein Lieblingstrack der Scheibe. Für mich geht es darin um das Thema Einsamkeit. Er zielt darauf ab, dass Einsamkeit nichts damit zu tun hat, ohne Menschen zu sein, es ist eher ein Seelenzustand. Wenn du dazu neigst, eine einsame Person zu sein - was wir beide sind - ist es egal, wie viel Liebe dir entgegengebracht wird, vor wievielen Leuten du spielst und wie viele Menschen deinen Namen schreien.
Du kannst dich in diesen Momenten trotzdem einsam und vom Rest der Welt entfremdet fühlen. Das wollte Aviv ausdrücken und er hat das sehr gut gemacht, wie ich finde. Du kommst von der Bühne und fühlst dich wie ein Nichts. Umgeben von Leuten, die dich lieben und dir erzählen, wie wunderbar sie dich finden und du fühlst dich trotzdem einfach nur scheiße. Einsamkeit hat nichts mit der Realität zu tun, es ist ein Geisteszustand.
In unserem letzten Interview hast du erwähnt, dass Sachen nicht gerne erklären möchtest, um einen Freiraum für Interpretationen zu lassen. Wie ist es dann, über die Bedeutung eines Songs zu philosophieren?
Das ist aus zwei Gründen schwierig. Erstens ist sich die Person, die den Text schreibt, manchmal gar nicht über tiefere Bedeutungen im Klaren. Das ist mir über die Jahre oft passiert, wenn ich einen Song oder Lyrics geschrieben habe. Dann kommt es vor, dass jemand eine Interpretation parat hat, die ich nie vorausgeahnt habe, die aber einen perfekten Sinn ergeben. Dann erst bemerke ich, dass ich zu der Zeit, als ich das schrieb, in der Tat so ähnlich empfunden habe, obwohl ich mir darüber gar nicht bewusst war. Und zweitens - das habe ich dir wahrscheinlich beim letzten Mal erzählt - die Erklärung, die eindeutige Definition dessen, was die Texte für den Songwriter zu diesem bestimmten Zeitpunkt bedeuteten, beraubt den Hörer der Möglichkeit, sie für sich zu interpretieren.
Deshalb glaube ich immer noch, dass genau aus diesem Grund Musik die größte Kunstform ist, denn sie verlangt dem Hörer genauso etwas ab wie von Demjenigen, der sie geschaffen hat. Das kann man zum Beispiel von Filmen nicht sagen, denn alles ist erklärend dargestellt. Man kann das auch von Büchern nicht behaupten, alles ist deutlich buchstabiert und erklärt. Aber für Musik gilt, dass sie Interpretationen und Input vom Hörer erfordert. Sich dann hin zu setzen und zu sagen "ich habe dies und jenes so und so gemeint", ist ein wenig beschämend, denn damit raubt man dem Hörer die Beziehung zu demjenigen, der die Musik erschaffen hat. Das ist der Grund, weshalb ich darüber nicht so gerne rede. Wie ich gesagt habe, bin ich mir manchmal selbst nicht so sicher, worüber ich da gerade getextet habe.
Willst du meine Interpretation von "1.000 People" hören?
Klar.
Als ich den Text gelesen habe, kam es mir so vor, als ob die beschriebene Person wunderschöne Momente erlebt, aber nicht fähig ist, diese auch zu hundert Prozent zu genießen, da hinter jeder Ecke irgend ein Unglück lauern könnte.
Hmm ... ok. Wie ein Pessimist oder eine fatalistische Person? Ja, stimmt, lass ich so stehen, ist ebenso gültig.
"Ich hasse die Jukebox-Mentalität der iPods"
Musikhörer laden sich ja immer mehr Musik aus dem Netz runter und besitzen Festplatten voll mit Bits und Bytes anstatt CDs oder LPs. Da geht die Tendenz ja in Richtung songorientiertem Hören.Well, ich habe eine persönliche Sicht, aber auch eine von dem Standpunkt aus, dass ich Menschen erreichen und die Musik vermarkten möchte. Persönlich hasse ich es. Ich besitze keinen iPod. Ich hasse diese ganze Jukebox-Mentalität der iPods. Man lädt sich ein paar Songs herunter, aber das zugehörige Album bleibt außen vor. Ich hasse es! Aus Marketing-Sicht war das Internet bei all meinen Projekten hingegen essentiell wichtig. Insbesondere bei Blackfield und Porcupine Tree. Für Porcupine Tree hat es lange überhaupt keine Aufmerksamkeit von medialer Seite gegeben.
Die meisten Leute sind über das Internet und Filesharing-Plattformen auf die Band aufmerksam geworden und sind dann in die Läden gegangen, um die Alben zu kaufen. Am Ende kommt es darauf an, dass du mit deiner Musik so viele Menschen wie möglich erreichst und sie mit deiner Musik berührst. Du kannst es mögen oder nicht, der Geist ist bereits aus der Flasche. Das ist eben die Art und Weise, wie die Mehrheit Musik in Zukunft konsumieren will. Ich hoffe aber, dass es immer eine starke Minderheit - zu der ich mich selbst zähle - geben wird, die etwas Greifbares in den Händen halten möchte. Ich selbst habe keinerlei Bedürfnis, mir jemals einen iPod zuzulegen. Manchmal denke ich, ich stehe damit alleine da.
Es gibt aber auch eine gegenläufige Tendenz, dass in Blogs oder ähnlichen Seiten auf Künstler und deren Musik aufmerksam gemacht wird, die zwar Tracks veröffentlichen, aber dennoch die Musiker unterstützen.
Wenn es das Internet nicht gäbe, würde Porcupine Tree sicher nicht mehr existieren. Denn jahrelang hat keiner über uns berichtet oder unsere Musik gespielt. Da hat die Mund zu Mund Propaganda geholfen, zu überleben. Es wäre deshalb kindisch, zu behaupten, ich würde das Internet hassen, denn ohne es würde ich wohl nicht hier sitzen. Auf der anderen Seite mag ich nicht, was das Internet aus der Musik gemacht hat, wenn man den ästhetischen Punkt betrachtet. MP3s klingen furchtbar, aber gerade heute wächst eine Generation junger Menschen auf, die denkt, das Musik genau so klingen müsste. Schrecklich! Dei Kids wachsen heute auf und verstehen das Konzept gar nicht, wie ein Album entsteht, den kreativen Fluss und die musikalische Reise durch 40, 50 oder 60 Minuten. Nach dem Motto "ich lad mir den Song runter, den ich neulich im Radio gehört oder von dem ich das Video gesehen habe. Das finde ich sehr traurig.
Gut, ich finde viele Dinge traurig, aber das ganz besonders. Das neue Porcupine Tree-Album dreht sich ja gerade um dieses Thema. "Fear Of A Blank Planet" stellt ja die Frage, ob wir eine Generation aufziehen, die innerlich total leer ist. Eine Generation, die mit Mobiltelefonen, iPods, Playstation, Internt, Reality TV, Big Brother, Anerican Idol und dem ganzen Scheißdreck aufwächst. Was für eine Art Mensch zieht man da groß? Aber gleichzeitig weiß ich, dass meine Eltern wahrscheinlich das gleiche über meine Generation dachte. Vielleicht dachten sie, dass das Fernsehen unsere Gemüter verdirbt. Das ist natürlich auch Teil des Älterwerdens, missbilligend auf die nächste Generation herab zu schauen.
Als wir das letzte mal gesprochen haben, hast du die Fanreaktionen erwähnt, als ihr bei Warner unterschrieben habt. Jetzt seid ihr in Europa bei Roadrunner untergekommen. Rate mal, was eure Fans gesagt haben.
Ja, die dachten alle, wir mutieren zu einer Heavy Metal-Band. Ich weiß, ich weiß. Das Ding ist ja, dass Fans sich immer beschweren, egal, was man tut. Es ist wohl Teil des Fanseins, sich zu beschweren, dass die Band nicht das macht, was du gerne hättest. Ich beachte das einfach nicht mehr sonderlich. Das absurde an der Geschichte ist ja folgendes: Als wir bei den Labels Warner und bei Roadrunner unterschrieben haben, waren die jeweiligen Alben schon lange geschrieben. Wir machten den Deal im Oktober mit Roadrunner, das Album schrieben wir aber bereits im Januar. Da hieß es dann "oh mein Gott, sie sind jetzt bei Roadrunner und machen ein Heavy Metal-Album!". Nein! Das war schon lange fertig. Das ist einfach albern.
Stell dir mal vor, was passiert, wenn sich der Release verschieben würde.
Das wird nicht passieren. Das wird nicht passieren. Nein ehrlich, das passiert nicht. Oder glaubst du, dass das geschieht? Nein, das passiert nicht.
Keine Ahnung, ich steck nicht drin.
Nein, das passiert nicht. Wir haben ja die Tour schon gebucht, es darf nicht passieren. Wir fangen am 18. April in London an und spielen dann weiter und im Sommer auf einigen Festivals.
Ihr werdet ja immer größere Probleme beim Zusammenstellen der Setliste bekommen, zumal die neuen Songs ja auch wieder sehr lang geraten sind.
Wir haben noch nicht diskutiert, was wir spielen wollen. Wir werden das komplette neue Album spielen und dann müssen wir aus unserem mittlerweile ansehnlichen Backkatalog eine weitere Stunde füllen. Wieder ein Ding mehr, über das man sich beschweren kann: "Sie haben meinen Lieblingssong nicht gespielt!" Aber du hast recht, es wird schwerer und schwerer. Je mehr Alben man hat, desto weniger kannst du aus diesen auswählen. Außer du spielst verrückt lange Shows. Rush zum Beispiel drei Stunden, nur um so viel wie möglich aus ihrem Back-Katalog spielen zu können und selbst da kratzen sie nur an der Oberfläche.
Du erwähnst Rush, wie war eigentlich die Arbeit mit Alex Lifeson?
Fantastisch. Liebenswerter, großartiger Kerl. Ein wunderbarer Musiker. Das war eine Ehre für mich, ich bin ja mit Rush aufgewachsen.
Welches ist dein Lieblingsalbum von Rush?
"Moving Pictures" oder "Farewll To Kings" oder "Permanent Waves" oder eine der anderen. (lacht) Nein, "Moving Pictures".
Ich kam zum ersten mal mit der "A Show Of Hands" mit ihnen in Berührung und mag die Synthesizer-Ära.
Ist nachvollziehbar. Sie haben ja bislang auch noch nie ein schlechtes Album gemacht. Ich bin da aber eher der 77er bis Anfang Achtziger-Typ. Damals habe ich sie für mich entdeckt.
Das hört man der neuen Scheibe auch an.
Ja klar, sicher.
Gibt es eigentlich einen Künstler, mit dem du unbedingt mal zusammen arbeiten würdest?
Nicht unbedingt so, dass ich mir das verzweifelt wünschen würde, aber es gibt einige, bei denen ich gespannt wäre, was bei einer Kollabo heraus käme. Meshuggah zum Beispiel, Trent Reznor ...
Andere alte Helden?
Ich habe ja mit Robert Fripp und Alex gearbeitet. Gut, die sind nicht so alt, aber du weißt, was ich damit meine. Das Problem mit den alten Helden, wie du sie bezeichnest ist, dass die meisten von ihnen das beste schon vor langer Zeit gemacht haben. Als ich in den Achtzigern aufgewachsen bin und mir 70er-Sachen angehört habe, liebte ich Sachen wie Tangerine Dream und so Zeugs aber die haben seit über 20 Jahren nichts lohnenswertes mehr rausgebracht und ich glaube nicht, dass sie nochmals etwas in der Richtung hinbekommen.
Wenn ich eine Maschine hätte und in der Zeit zurück reisen könnte, dann gerne, aber nicht in der Gegenwart. Da gäbe es einige: Can und die ganzen deutschen Bands. Aber in ihrer Glanzzeit. Klaus Schulz, Faust, Neu, Amon Düül II, die ganzen Progressive-Bands der frühen Siebziger, Jimi Hendrix - wer würde das nicht gerne wollen. Mit einer Zeitmaschine wäre es sehr einfach, ohne wird das ein wenig schwieriger.
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