18. Juni 2014
"Ich bin kein Fabelwesen!"
Interview geführt von Andrea TopinkaEin Song auf dem 2008er Debüt "Too Much" trägt den Titel "3 Minutes In The Brain Of Bonaparte". Was sich da so abspielt, davon konnte ich mir eine halbe Stunde lang einen Eindruck machen. Fest steht: Bandkopf Tobias Jundt erzählt weit weniger Abgedrehtes, als es der Ruf, der ihm vorauseilt, vermuten lässt. Davon aber dann um so mehr, wenn er erst einmal Fahrt aufgenommen hat.
Tatsächlich gleicht das Telefonat, das wir zwischen München und Berlin führen, eher der Wiedergabe seines Bewusstseinstroms als einem Gespräch, wenn er von einem Thema nahtlos zum anderen überspringt, unabhängig davon, welche Frage er beantwortet. Wenn Tobias Jundt einmal angefangen hat auf seine schnelle, leicht verdrehte Weise zu sprechen, lässt er sich auch nicht mehr stoppen.
Zum Zeitpunkt der Interviews steht die Veröffentlichung von Bonapartes viertem Studioalbum "Bonaparte" bevor. Anders als bei den Vorgängern fanden die Aufnahmen nicht in Berlin statt, sondern in New York City. Warum eigentlich New York? Bevor er dazu abdriftet, welche Instrumente für die Aufnahmen genutzt wurden - ein Moog von Radio Shack und "eine Studentengitarre, die von Gibson gebaut wurde, aber nicht so heißt" - und welchen Platz Bonaparte in der Musikwelt einnimmt – "Wir sind nicht wirklich Untergrund, aber auch nicht Mainstream, wir sind irgendwo dazwischen", gibt er erstmal eine klassisch fantasievolle Antwort über ihr fiktives Reiseschiff:
"Wir haben unser Boot in Portugal ins Wasser gesetzt und gewartet. Wir dachten es wird uns unten durchtreiben, Kap der Guten Hoffnung und dann rüber nach Indien. Ich hätte total Bock gehabt auf ein Bollywood-mäßiges Album. Wir sind aber die ganze Zeit nach Westen getrieben und sind an der Ostküste Amerikas gestrandet. Deswegen musste ich da ein Album machen. Wir haben sehr bald gemerkt, dass die Gegensätze, die dieses Land in sich birgt, mir als Songwriter und beobachtender Mensch sehr viel Futter geben und ich mich da relativ wohl fühle, weil die haben ja mehr oder weniger große Teile der populären Musik erfunden, also kann es da gar nicht so uninspirierend sein."
Ein paar Details über seinen Aufenthalt in den USA lässt er im Laufe des Gesprächs aber doch noch durchscheinen, etwa seine Begeisterung darüber "neu anfangen" zu können: "Ich habe [in New York] zweimal die Woche in einer Bar gespielt. Die Gage war dann ein warmes Bier, für kaltes Bier musste man schon bezahlen. Dann habe ich mich hochgespielt, was total Spaß gemacht hat und habe gemerkt, dass es die gleiche Bar war, in der sich auch Lady Gaga hochgespielt hat. Die ganzen Wege noch mal gehen, obwohl man gar nicht muss. Das finde ich toll. An einen neuen Ort gehen und ganz neu anfangen, weil ganz ehrlich: Wenn man noch mal bei null anfängt, das ist wie der erste Kuss. Da gibt es immer schöne Songs und spannende Platten. Der Mensch ist nah an sich dran. Wenns dann flutscht und groß läuft, ist es total schwierig nah an sich dran zu sein, weil alle irgendwas von einem erwarten. Alle bringen dir Schokolade, aber so bin ich gar nicht mehr. Ich trinke jetzt was anderes."
Seit dem 2012er Album "Sorry, We're Open" hat sich einiges bei Bonaparte verändert. Die Arbeiten des Kollektivs waren bis dato eng mit dem Standort Berlin verknüpft und quasi Synonym für eine trashige Mischung aus Punk und Elektro. Genau diese Erwartungshaltung an das Projekt bewegte Jundt dazu, in New York erste Schritte in eine andere Richtung zu machen:
"Ich finde, es ["Bonaparte"] hat sich von ein paar Zwängen befreit, die sich da aufgestaut haben von außen, also, dass man denkt, Bonaparte muss so und so sein. Wir haben dieses Energiekonzept irgendwie schon auf die Spitze getrieben und dann haben uns andere Bands abgelöst. Für mich ist diese Platte ein Zu-sich-finden und eine Befreiung und ein Aufstoßen neuer Türen. Ich finde, nach der Platte kann ich wieder so viele neue Dinge tun. Das Gefühl hatte ich bei der letzten nicht. Ich dachte: OK, noch mehr Songs ohne Melodie, noch mehr Songs, die einfach irgendwie Energie kreieren müssen, weil man jetzt ne Energieshow fährt."
"Ich muss nicht so tun, als wäre ich ein Fabelwesen."
Mit Andy Baldwin und dem Drummer Chris Powell nahm er also im Big Apple alle Songs außer "Me So Selfie" und "Into The Wild" auf. Als der Schweizer berichtet, während der Aufnahmen nicht viel nachgedacht, sondern sehr intuitiv gearbeitet zu haben, frage ich nach: Im Vergleich zu den Vorgänger, die er, wie er einmal sagte, "auf das Band gekotzt" hat, scheint mir "Bonaparte" doch ein eher stimmiges, gut durchdachtes Album zu sein. Seine Antwort: "Songwriting, ja. Aufnehmen, nein. Natürlich sitze ich beim Geschichten sammeln und Songs schreiben immer wieder über meinem Büchlein und schreibe irgendwelche Texte oder probiere ein Riff. Aber der Moment, die Platte aufzunehmen, das war schon ein Wurf. Klar, habe ich das alles gesammelt und natürlich haben wir intensiv dran gearbeitet. Also ich hab Andy Baldwin kennengelernt, ein super Engineer, ein Australier, alte Schule. Und wir haben sehr viele Nächte neben dem Verzehr sehr scharfer Nahrung intensiv an dem Sound gearbeitet, aber nicht wirklich lange Zeit. Es war eher ein tiefes Eintauchen, aber es war kein ewiges daran Rumfrickeln. Es war eher ein Gesamtsound oder eine Gesamtstimmung, die wir da gebaut haben und ich glaube, deshalb passt es eigentlich auch sehr gut zusammen."
Doch nicht nur der Sound insgesamt wirkt etwas gesetzter, bei Konzerten schaltet er ebenfalls einige Gänge zurück: "Ich muss nicht so tun, als wäre ich ein Fabelwesen. Ich finde das an der Platte schön, dass ich mich im Moment sehr wohl fühle, einfach ein Mann im T-Shirt mit ner Gitarre zu sein. Das finde ich, wenn ich mir gerade Popmusik ankucke, befreiend. Nicht, dass ich jetzt wie Bruce Springsteen im Holzfällerhemd bin." Live-Mitschnitte vom Schweizer m4music-Festival zeigen Jundt dann auch leger gekleidet mit Gitarre und ohne viel Tamtam auf der Bühne spielen. Ist es also endgültig vorbei mit der Zirkusshow? Ganz soweit will er (momentan) noch nicht gehen:
"Das weiß niemand. Ich baue sehr viele Sachen drum herum, aber was es genau ist, das weiß ich noch nicht. Sind es Spiegel? Ist es Licht? Sind es Sachen, Dings und Bums und Zeug? Es wird ja sonst langweilig. Wir bauen immer was drum herum und bevor wir es wissen, ist alles wieder vollgestopft. Es werden aber andere Parameter Vorrang haben. Ich spiele meine Musik, ich hänge mich voll rein. Die Band spielt voller Energie. Aber ich glaube, es ist eine andere Ästhetik. Ich habe zum ersten Mal versucht, dass Dinge eine Einheit bilden. Das erkennt man zum Beispiel an der Farbe von mir und meinen Mitmusikern. Wir sind alle aus dem gleichen Material. Das sind so kleine Sachen, die sich miteinander verbinden. Davon wird es noch viel mehr geben. Das entspricht viel mehr dieser Platte, als dass jeder ein Individuum und alles einzigartig ist und das totale Chaos herrscht. Wir können das irgendwie nicht mehr toppen. Ich glaube, der Höhepunkt von Bonaparte live war die "Horse"-Tour. Jetzt kommt einfach was anderes. Das werden viele der gleichen Leute gut finden. Wenn nicht, dann sehen wir uns auf Ibiza am Strand und nicht mehr im Club, ist das auch OK."
Obwohl "Bonaparte" neue Wege einschlägt, will Jundt von einem kompletten Neustart nichts wissen. Als ich ihn in diesem Zusammenhang auf den Song "Yes Dear, You're Right, I'm Sorry" anspreche, erzählt er, dass er genau solche Titel meint, da sie wie ein "I Can't Dance" funktionierten und extra für Livesituationen geschrieben seien, in denen "Bonaparte-Menschen da sind, die wild abtanzen wollen nach der Ballade". Die Party ist also nicht vorbei, selbst wenn der Grundton etwas ernster geworden ist.
"Der Mensch braucht evolutionstechnisch eigentlich einen dritten Arm"
Gerade in Anbetracht der fleißigen Betreuung seines Twitter- und Facebook-Auftritts interessiert es mich da auch, wie man eigentlich den Titel "Me So Selfie" verstehen soll. Will er mit dem US-Rapper Tim Fite Social Media-Kritik üben, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte? "Nein, das ist gar nicht so kritisch. Man darf das durchaus kritisch sehen, weil es ist ja ein bisschen abstrakt. Das Selfie ist ja eigentlich so wie bei 'L’État se moi', das Durch-den-eigenen-Arsch-geboren-sein: Ich fotografiere nur mich und schaue mir an, wie es andere anschauen. Dieses Ich-brauche-niemand-anderen. Ich finde, das ist ein spannendes Phänomen. Ich liebe Fotografie, wie man schon weiß. Wir wollten jetzt eigentlich nicht superkritisch sein, sondern nur das Thema auf den Tisch bringen. Jetzt ist es ja sowieso durch alle Medien durch. Damals [vor ca. einem Jahr] war es noch gar nicht so krass, als wir das geschrieben und aufgenommen haben. Ich hätte es ja gerne direkt da hochgeladen."
Das Vorhaben scheiterte allerdings an seiner Plattenfirma, "die einfach nicht verstanden hat, das das zeitgemäß war und jetzt halt schon fast nicht mehr." Das größte Problem für ihn am Phänomen Selfie und an der wachsenden Smartphoneabhängigkeit verortet er aber nicht beim Datenschutz etc., sondern in der Evolution: "Deshalb hatte ich auch die Idee [zum Video für "Me So Selfie"] mit dem dritten Arm, dass der Mensch evolutionstechnisch eigentlich einen dritten Arm braucht, um überhaupt noch seinen Tätigkeiten nachgehen zu können. Die meisten Sachen brauchen zwei Arme: Fahrradfahren, Gitarre spielen, Zwiebeln schneiden, das kann man ja mit einer Hand nicht. Man braucht aber gleichzeitig auch eine Hand fürs Smartphone, weil man sonst die Infos nicht reinkriegt oder die Messages nicht rauskriegt oder so. Die technische Entwicklung ging zu schnell und die biologische, die hinkt jetzt hinterher und muss nachzüchten."
Es folgen weitere Ausführungen dazu, dass Tobias Jundt gerne mal in Südamerika ein Album aufnehmen würde und wie externe Einflüsse sich allgemein auf seine Aufnahmen auswirken: "Wenn man möchte, dass Bonaparte endlich mal die oder die Musik macht, dann müsst ihr mich in einen Kartoffelsack stecken, dahin verschiffen und ich komme zurück mit einer Death Hip Hop Calypso Platte. Die wäre dann aus einem Ghetto von Trinidad." Dazu verweist er immer wieder auf den Track "Like An Umlaut In English", der für ihn stellvertretend für das Gefühl des ewigen Außenseiters steht, und umreißt kurz seine musikalische Sozialisation: "Ich bin ja mit Old School Hip Hop groß geworden, bis Naughty By Nature und Arrested Development. Danach war für mich dann Jazz und Soul und Black Music wichtiger. Und eigentlich erst ganz spät Punk und elektronische Musik, eigentlich erst in Berlin."
Das Interview neigt sich dem Ende und wir kommen noch mal auf den mehr oder weniger offenkundigen Hit des Albums zu sprechen: "Into The Wild". Das Video dazu wurde in Shanghai gedreht, Bonaparte hatten sich Anfang des Jahres auf eine abenteuerliche Tour durch China begeben. Basiert der Text auf Reiseerlebnissen in unbekannten Ländern? Tobias Jundt beendet das nette, wenngleich leicht konfuse Interview mit einer etwas kitschigen, aber auch sehr liebenswerten, für seine Art, wie er im Gespräch Dinge darstellt, authentischen Antwort:
"Nein, das sage ich auch, wenn ich eine Dame kennenlerne oder so. Abenteuer Wildnis, das ist unser Leben. Man kann "Into The Wild" natürlich wörtlich nehmen mit Bezug zur Natur. Nicht mehr mitmachen und sein eigenes Ding kreieren, weil man auch schon gar nicht mehr an den ganzen Quatsch glaubt, der politisch abgeht, mal links, mal rechts, mal rauf, mal runter, mal hier, mal da. Wenn man dahinter kuckt, ist am Ende nur der Mensch und die Natur. Der Gedanke, wo die Natur in unserem Leben ist, der ist wichtig. Das finde ich schon richtig, aber es ist auch symbolisch gemeint. Am Ende des Tages ist es ein Gefühl. Das Gefühl, als Mensch zu wissen, dass man einander hat. Alles andere ist nur Glasur. Am Ende des Tages kocht es herunter auf: Wir haben einander und sind füreinander da. Das ist gerade der stärkste Gedanke, den ich der Welt geben kann."
4 Kommentare
Ich hätte ja jetzt beinahe wieder etwas Abfälliges über Bonaparte geschrieben. Aber die Ausdauer, mit der die Redaktion eine Band bewirbt, obwohl jene von den Lesern fast kein Interesse erfährt, ist dann doch irgendwie bewundernswert. Ein Fließtext, statt eines einfachen Interviews, ist da fast schon eine Liebeserklärung.
Wenn die hier jeden Popscheiß hypen, dann ruhig auch das.
Ich hab bei denen nie mehr gesehen als mehr oder weniger erzwungenes Image. Hab sie einmal auf nem Festival live gesehen, da musste ich wirklich gehen, ganz schreckliche Performance.
Die sind nun nicht wirklich kacke, aber auch nicht gut, und nicht ansatzweise so interessant wie sie gemacht werden.
Fand sie für ne Hipster-Band eigentlich recht gut. Obwohl das mit dem Image zum Teil schon arg verkrampft war / ist.
Erinnere mich an ein Interview vor einigen Jahren, wo sie sich als grenzübergreifendes kunst-Kollektiv-bla vorgestellt haben. "würg"