laut.de-Kritik
Die Abkehr vom Trash.
Review von Andrea TopinkaEin kleiner Neustart für Bonaparte: Nachdem die Zirkustruppe laut Tobias Jundt bei "My Horse Likes You" ihren Höhepunkt erreicht hatte und deswegen bei "Sorry, We're Open" die Luft ein wenig raus schien, endete die Berlin-Trilogie mit dem Wunsch, in sich zu gehen. Der Selbstfindungstrip führte nach Brooklyn und ins Studio von Andy Baldwin (unter anderem Björk, Neneh Cherry). Dort entstand mit Unterstützung des experimentellen Drummers Christopher Pow Pow Powell "Bonaparte".
Komplett abgeschworen hat die selbstbetitelte vierte Platte dem Visual Trash Punk nicht: In "Yes Dear, You're Right, I'm Sorry" oder "I Wanna Sue Someone" sieht man vorm inneren Auge zur typischen Mischung aus Synthies, schrammeligen E-Gitarren und quäkendem (Sprech-)Gesang Stripperinnen und den Rest der maskierten Meute um den Schweizer kreisen.
Vorbei ist die Party also noch lange nicht. Es halten nur ungewohnte Töne Einzug: Klanglich hebt sich der sanfte Synthie-Pop von "Into The Wild" besonders hervor. Der melancholischen Grundstimmung entrinnt man nur schwer, weil sie so unerwartet auftaucht und erahnen lässt, dass im exzentrischen Kaiser auch eine ganz andere Person steckt, die keinen Trubel, sondern Ruhe braucht: "Behind horizons we will find, find, find / A setting sun, peace of mind, mind, mind / Over and out into the wild." "Like An Umlaut In English" und "If We Lived Here" leben von derselben Nachdenklichkeit, packen allerdings weniger.
Daneben übernehmen Garage-Rock- und Rock'n'Roll-Anleihen stärker als auf den Vorgängern die Führung: "May The Best Sperm Win" erinnert mit "Oohoohooh"-Überleitungen und überschwänglichen Riffs vage an ein Stück von "Arabia Mountain" der Black Lips. "Two Girls" besingt das harte Leben eines Rockstars, umringt von zahlreichen Mädels und unfähig, sich zwischen zweien zu entscheiden.
Das eine oder andere Brett erinnert im nächsten Moment daran, dass der Indie-Rock auf "Bonaparte" noch lange nicht regiert. "Wash Your Thighs" stampft mechanisch vor sich hin, während Jundt böse-bedrohlich wispert: " I should be your muse." Keine falschen Versprechungen macht "Out Of Control": Nach zartem Violinen-Auftakt bricht ein Chaos aus Synthies, Drums und Gitarre aus.
"Me So Selfie" beleuchtet mit US-Rapper Tim Fite das Phänomen, "Riot In My Head" gewährt Einblick in Bonapartes Kopf. Das Gefühl, überall fremd zu sein oder nicht so richtig dazu zu passen, beschreibt "Like An Umlaut In English". Spaß und Ernst kollidieren immer wieder.
"Bonaparte" hat mehr zu bieten als alle Vorgänger zusammen. Das Label Trash verliert zusehends seine Berechtigung. Vielleicht fällt es deswegen um so mehr auf, wie ausgelutscht die Muster sind, mit denen "Yes Dear, You're Right, I'm Sorry" und andere klassische Bonaparte-Nummern arbeiten. Das hat Tobias Jundt aber zum Glück selbst erkannt und liefert bis auf drei, vier Ausnahmen interessante Neuansätze mit Ausbaupotenzial.
1 Kommentar
Tolles Album, das live auch gut funktioniert Immer wieder ein Erlebnis