9. April 2013
"Spotify ist das Beste überhaupt!"
Interview geführt von Hannes WesselkämperWer es schafft, die musikalischen Sünden der 70er bis 90er zu wunderschöner Musik zu vereinen, ist schon was Besonderes. Chad Valley verrät uns, mit welcher Passion er das tut und warum Ironie ein destruktives Konzept ist.Im Backstage des Berliner Clubs Bi Nuu sitzt ein bärig aussehender Engländer ganz in weiß. Etwas fernab der anderen Musiker dieses Abends genießt Hugo Manuel a.k.a. Chad Valley - Engländer, der er ist - seinen Schwarztee mit Milch. Zur Sicherheit benutzt er zwei Plastikbecher.
Einen aufstrebenden Stern der Blogosphäre und erklärten 80er-Narr stellt man sich anders vor - irgendwie bunter. So nüchtern sein Gemüt, so herzlich ist jedoch sein Lachen, weshalb so kurz vor seinem abendlichen Auftritt ein lockeres Gespräch zustande kommt.
Als ich mir die Tracklist deines Albums angeschaut habe, dachte ich, dass du bestimmt ein unheimlich dickes Adressbuch haben musst.
(lacht) Oh ja, das stimmt. Du meinst die vielen Gäste oder?
Genau, zum Beispiel Orlando Higginbottom [a.k.a. Totally Enourmous Extinct Dinosaurs], der soll ja ein alter Freund von dir aus Oxford sein.
Ja, genau. Wir kennen uns, seit wir Teenager waren. Er war damals ein Drum'n'Bass-DJ und – eigentlich sollte ich das jetzt nicht sagen – ich hasse Drum'n'Bass. Er war also der coole DJ, der mit seinem Kapuzenpulli bei Hauspartys in der Ecke stand. Danach habe ich ihn Jahre nicht gesehen und plötzlich taucht er in der Szene auf mit dieser wunderbaren Musik, die er jetzt macht. Es gab da also diese seltsame Verwandlung ... oh Gott, ein Glück kann er dieses Interview sowieso nicht lesen (lacht).
Was hast du damals gehört?
Ich habe schon immer ziemlich alte Musik gehört. Zu dieser Zeit waren das hauptsächlich Television, The Velvet Underground oder die frühen Blondie – diese ganze Szene Ende der 70er in New York gefiel mir. Gleichzeitig interessierten mich aber auch Aphex Twin oder Autechre – eine seltsame Mischung aus Punkrock und IDM also.
Aber um auf Orlando zurückzukommen: Er ist also ein alter Freund von mir, den ich gefragt habe, ob er nicht Lust hätte, einen Track zu machen. Er kam dann zu mir ins Studio, wo wir das Ganze in ein paar Stunden aufgenommen haben. Die anderen Gäste auf der Platte kannte ich hauptsächlich vom gemeinsamen Touren, wo ich Twin Shadow oder Active Child kennengelernt habe. Es ist immer toll, andere Musiker zu treffen, zusammen zu spielen und Dinge aufzunehmen.
Meinst du, dass diese lange Gästeliste auch etwas mit dem Rummel um deine beiden EPs zu tun hat? Ist es dadurch leichter geworden, solche Musiker zu erreichen?
Ja, ich war wirklich schockiert, dass sie alle so große Lust hatten, mitzumachen. Ich bin ja vergleichsweise unbekannt im Vergleich zu Twin Shadow oder Glasser. Manche haben mich auch direkt angesprochen, z.B. El Perro Del Mar oder Glasser. Die kannte ich vorher gar nicht und habe mich dann total gefreut.
Du remixt ja auch sehr viele Lieder anderer Künstler ...
(>Begeistert) I do soo fuckin' much remixing!
... aus reiner Freude oder verdienst du damit richtig Geld?
Für mich ist das ein reines Hobby. Aber Geld bekomme ich natürlich auch dafür. Ich möchte jetzt hier nicht lügen, denn das bezahlt mir meine Rechnungen. Allerdings mache ich nicht alles, und im Moment kommen wirklich einige Anfragen rein. Früher habe ich alles Mögliche ge-remixt, da ich es als eine tolle Übung ansehe. Außerdem bringt es einen immer wieder auf tolle neue Ideen, die man anders nicht verwirklichen kann. Es gibt einem diese Freiheit von den eigenen Sachen, zwar ist jeder Remix immer noch unter dem Chad Valley-Etikett, aber da ich nicht an meinem eigenen Material arbeite, gehe ich anders an diese Projekte heran.
War dieses Freiheitsgefühl auch Teil deiner Motivation, eigene Musik unter dem Namen Chad Valley zu veröffentlichen? Du hast deine Band Jonquil zwar nicht verlassen, aber wie wichtig ist dieser Abstand für dich?
Genau, ich arbeite nicht sehr gut mit anderen Menschen zusammen. Wenn ich mit vier anderen Leuten als Jonquil Musik schreibe, fühlt sich das toll an, aber die Ergebnisse sind eben oft ganz verschieden zu meinen eigenen Ideen. Nebenher habe ich immer Musik gemacht, es ging nur darum, diesen Sachen einen Namen zu geben.
Wenn man Musik alleine schreibt, kann man einfach abschalten. Man muss sich nicht sorgen, ob es anderen Leuten gefallen wird und ich kann einfach dem folgen, was ich für richtig erachte. In einer Band muss man die ganze Zeit über die Musik reden. Zumindest in meiner Band ist das so (lacht). Das ist auch toll so, aber manchmal muss man Dinge einfach machen.
"Meine Musik ist komplett Ironie-frei."
Wann kam bei dir der Punkt, an dem du festgestellt hast, dass Chad Valley etwas Handfestes ist? Eventuell auch etwas, bei dem ein bisschen Geld rausspringt?Naja, am Anfang hatte ich drei oder vier Songs, die mir ganz gut gefallen haben. Die habe ich dann auf MySpace gestellt – und das war es auch schon. So gründet man heutzutage eine Band. Wahrscheinlich wird die Orlando [Higginbottom] die gleiche Geschichte erzählen. Er hatte auch einfach ein paar Sachen, die er auf MySpace gestellt hat und plötzlich fanden die Leute es toll. Es war bei mir also sehr ungeplant, aber doch auch geplant (lacht).
Da du vorhin von Twin Shadow gesprochen hast: Er hat ja dieses Jahr auch ein großartiges Album produziert, bei dem eine Ähnlichkeit zu dir aufgefallen ist. Mit seinem zweiten Album nahm er einen großen Schritt zu sauber produzierter, geradliniger Popmusik. Diesen Schritt sehe ich bei dir zwischen den EPs und deinem Debüt. War das eine bewusste Entscheidung?
(Überlegt kurz) Ja, es war schon genau meine Absicht – wie du gerade beschrieben hast –, ein sauberes Pop-Album zu machen. Ich habe am Anfang auch wieder einige LoFi-Sachen aufgenommen, aber ich es hasse, mich zu wiederholen. Zusammen mit dem Produzenten Jonathan Shakhovskoy bastelte und mixte ich dann einen Monat lang an den Stücken.
Im Prinzip hat er all die überflüssigen Spuren rausgeschnitten, um sich auf die Basis der Dinge zu konzentrieren – genau das wollte ich eben erreichen. Er hat schließlich Platten für Shakira oder Leona Lewis gemacht. Da er ein sehr technisch denkender und pop-zentrierter Produzent ist, wusste ich also genau, was ich bekommen würde. Witzigerweise hat Twin Shadow sein Album selbst produziert, was bei mir eben immer in LoFi-Songs endet.
Hatte dieser Schritt etwas mit dem Hype um deine Person zu tun? Eine Dimension, mit der auch Twin Shadow offensichtlich zu kämpfen hat, ist ja das Chillwave-Etikett, das – gerechtfertigt oder nicht – eine immense Erwartungshaltung mit sich zieht.
Ich habe lang und breit darüber nachgedacht, was ich am besten tue. Bei mir ist das eben das Schreiben und Singen. In meinen EPs habe ich mich aber eher auf das Produzieren konzentriert, das Singen ist in den Hintergrund gerutscht. Es war mehr so ein "Fuck, ich sollte ja noch was dazu singen". Deshalb wollte ich, dass das Album ganz anders funktioniert.
Eine Gruppe deutscher Popliteraten prägte in den Neunzigern das Motto Irony is Over, das in sich als ironische Aussage zu sehen ist ...
Gerade hast du mich verloren (lacht).
Mich interessiert in diesem Zusammenhang – auch durch die Präsenz der Hipster-Kultur im Moment –, wie dein Album in dieser Hinsicht funktioniert. Ist die Ironie mittlerweile wirklich vorbei?
Puh, das ist eine tiefgehende Frage (überlegt). Mit der Ironie ist das so eine komische Sache. Mir ist aufgefallen: bestimmte Musik wie zum Beispiel New Edition, Janet Jackson oder die New Kids On The Block höre ich auf demselben Level wie Keith Jarrett oder so etwas ...
Hochgestochenes?
Ja genau, das war das Wort, was ich gesucht habe. Meine Musik ist jedenfalls komplett Ironie-frei. Ironisch zu sein, bedeutet immer das Lächerliche in der Musik nach außen zu kehren. Die Teile der Musik aus den 80ern, die ich benutze, sind ehrlich gemeint und eher als eine Art Hommage zu verstehen. Diese Idee von so etwas wie einem "guilty pleasure" sagt mir nicht zu – es ist doch alles Musik.
Nimm zum Beispiel Kylie Minogue oder Madonna. Ihre Musik wurde zu der Zeit für Teenager geschrieben, die ein wenig Geld bringen sollten. Mit der Zeit verliert sich aber der Kontext und übrig bleibt die reine Musik.
Siehst du dich also eher als eine Art Pop-Archäologe?
Ja, vielleicht ist es das (lacht laut). Ich bin sehr interessiert an Musikgeschichte. An der Universität habe ich Musik studiert und fand es furchtbar. Ich mag es aber herauszufinden, warum welche Musik zu einer bestimmten Zeit entstand und welche Instrumente dafür benötigt wurden. In den 80ern gibt es diese tolle Phase, in der neue Technologie alles verändert hat: Synthesizer, Sampling, digitale Aufnahmen. Ja, ich würde mich also sehr gern einen Pop-Archäologen nennen.
Macht es dir das Alter-Ego Chad Valley leichter, all diese Klischees der Popmusik, wie sie als Hommage bei dir vorkommen, in deiner Musik zu verarbeiten? Ich spreche von dieser sehr zuckrigen Masse an Synthesizern und teilweise mies klingenden 90er Drum-Sounds.
Ich würde mich ungern darauf begrenzen lassen. Vermutlich werde ich etwas völlig anderes für mein nächstes Album machen – wahrscheinlich eine furchtbare Idee (lacht). Ich kann nie lange das Gleiche tun. Es fällt vielen Leuten schwer zu glauben, dass ich das alles völlig ernst meine. Kennst du zum Beispiel Chromeo?
Ja.
Die gehen auf eine ähnliche Weise an die Musik aus der Vergangenheit heran, nur tun sie es auf ironische Art und Weise. Sie nehmen das Wildeste und Verrückteste aus der Musik heraus und ... wo wollte ich damit hin? Ach ja, ich mache jedenfalls etwas anderes (lacht).
Wieso sollte ein anderer Weg für das neue Album furchtbar sein?
Ach, ich denke in den letzten Wochen sehr viel an das neue Album. Ich möchte es gern Ende 2013 veröffentlichen und spiele gerade mit ein paar Ideen. Man könnte zum Beispiel Gitarren und Drums einfließen lassen, aber es sollte trotzdem einen roten Faden für das Chad Valley-Projekt geben. Ich denke aber auch gerade nur laut (lacht).
"Ich war ein ganz schönes Camp-Kind."
Du möchtest also etwas mehr Band-Gefühl reinbringen und vielleicht die Richtung anpeilen, die Metronomy zuletzt einschlugen?Das wäre natürlich eine gute Idee. Ich habe aber bereits jetzt schon zwei Backup-Stimmen mit auf der Bühne. Dann muss ich dort nicht alleine stehen – außerdem ist ein richtig heißes Mädel dabei. Ich genieße aber auch die Einsamkeit, so kann ich besser arbeiten.
Um noch mal auf die Liebe zum Pop zurückzukommen: Hast du irgendeine Idee, woher diese tiefe Bewunderung für Popmusik stammt? Hast du vielleicht besonders viel in der elterlichen Plattensammlung gestöbert?
Hm, ich habe da ein paar Ideen. Zum Beispiel war ich oft in der kirchlichen Sonntagsschule, wo wir viele Musicals einstudiert haben. Wir haben da also jeden Sonntag Kirchenlieder gesungen, um dann zweimal jährlich ein Musical oder Konzert zu geben. Das sind meine ersten Erinnerungen ans Singen. Das hat mich – in einer seltsamen Form – doch sehr beeinflusst. Dann gab es da noch Queen, die ich sehr früh gehört habe – die einzige Band, die ich mein Leben lang gehört habe.
Was ja irgendwie nachvollziehbar ist, wenn man von Musicals beeinflusst wurde ...
Genau, ja. Ich war also ein ganz schönes Camp-Kind. "Wer ist denn dieser Junge da, der in Musicals singt und völlig vernarrt in Freddy Mercury ist? Irgendwie schwul ..." (lacht laut). Aber nein, ich bin sonst komplett hetero.
Aber ich bin auch vor allem über Projekte wie How To Dress Well auf diesen New Jack Swing-Zug gekommen, die diese Musik als Referenz benutzen. Und – das sollte ich auch erwähnen – ich bin seit einem Jahr oder so großer Spotify-Nutzer.
Das ist das Beste überhaupt. Ich verbringe Stunden damit, Musik durchzustöbern, von der ich mal entfernt gehört hatte. Erst gestern habe ich in Stockholm einen der Gründer von Spotify getroffen und ihm gesagt, wie sehr ich sein Programm liebe. Aber dann bekomme ich meinen Kontoauszug und sehe, wie viel ich von Spotify bekomme. Das ist so gut wie nichts und ich denke nur: "fuck!" (lacht).
Als ich mir das Album-Cover oder deinen Twitter-Hintergrund angeschaut habe, dachte ich, du würdest irgendwie bunter hier vor mir sitzen.
(Lacht) Naja, ich trage immerhin gerade komplett weiß – ich fühle mich wie in einer Boyband. (Mit hoher Stimme) Ich wäre so gerne in einer Boyband!
Kürzlich habe ich ein Interview mit dir beim SXSW-Festival gesehen. Weißt du noch, was du da anhattest?
(Überlegt) Nein, keine Ahnung.
Du trugst ein schwarzes T-Shirt mit einem riesigen und wunderschönen Lionel Richie-Konterfei darauf.
Ah genau, das Lionel Richie-Shirt. Du bist sogar schon der zweite Interviewer diese Woche, der mich nach dem Shirt fragt. Leider habe ich es nicht dabei, ich darf heute wegen der Filmaufnahmen nämlich kein weiß tragen. Wobei ... vielleicht habe ich es ja doch eingesteckt (steht auf und durchforstet murmelnd seinen kleinen Retro-Rucksack nach dem T-Shirt). Da ist es ja! Vielleicht sollte ich es heute Abend anziehen.
Das solltest du unbedingt tun! Woher hast du das?
Ich weiß es gar nicht mehr – irgendein Vintage-Shop. Das Tollste ist, dass man ihn sprechen lassen kann (faltet das Shirt an Richies Mund und bewegt ihn so).
"Is it me you're looking for?"
Ja, genau (lacht). Vielleicht sollte ich es tragen, der Aufnahmeleiter wollte schließlich, dass ich etwas Dunkles trage [Das T-Shirt ist schwarz, Anm. d. Red.].
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