7. Oktober 2010
"Es ist originaler als das Original!"
Interview geführt von Tobias LitterstDavid Garrett ist ein gefragter Mann. Sein neues Album "Rock Symphonies" steht an der Spitze der deutschen Albumcharts.Auch die Konzerte des Stargeigers erfreuen sich regen Andrangs. Wir erreichen David Garrett nach seinem Auftritt in Bremen, wo er während der Feierlichkeiten zur deutschen Einheit vor großem Publikum agierte. "War schön", sagt er lässig und beantwortet daraufhin entspannt unsere Fragen.
Warum bist du nach vorangegangenen Klassik-Album so eindeutig in Richtung Rock gegangen?
Ja, das ist jetzt natürlich ein ganz anderes Album als "Classic Romance". Das war, wie du richtig gesagt hast, ein rein klassisches Album. Ich versuche das ja auch immer auf den Konzerten bei den Touren so zu halten, dass wir auf der einen Seite nicht immer Klassik machen, aber auf der anderen Seite klassische Musik auch promoten. Auf dem neuen Album sind ja auch klassische Werke drauf, die ein bisschen anders arrangiert sind. Aber jetzt war halt wieder Zeit für ein etwas weniger klassisches Album.
Hast du die Arrangements gemacht?
Ja, alles von mir gemacht.
Was ist für dich an einem klassischen Stück wichtig, das du in den Rock überführst?
Es gibt gewisse Stücke, die würde ich nicht in diese Richtung hinein bringen. Die zwei Stücke, die wir aus dem Klassikbereich auf das Album genommen haben, sind auch im Original sehr rhythmisch. Das war der erste Satz von Beethovens Fünfter und die Toccata von Bach. Bach selbst hat ja einen unglaublichen Puls in jedem Stück. Daher war das eigentlich ziemlich selbstverständlich, dass das auch mit einem gewissen Rhythmus im Hintergrund funktioniert. Das Stück war ja aber eigentlich nicht für die Geige gedacht. Das war eine große Herausforderung, etwas, was für die Orgel - ein Tasteninstrument - geschrieben ist, auf die Geige zu übertragen. Da habe ich auch sicherlich ein paar Tage dran geknobelt, wie das mit den Fingersätzen und technisch in einem durchgehenden Tempo hinzubekommen ist. Das war sicherlich keine leichte Aufgabe. Hat aber im Endeffekt viel Spaß gemacht. Es ist ja auch ein grandioses Stück im Original. Ich kenne das Arrangement von Stokowski. Ich weiß nicht, ob du das kennst?
Nein, sagt mir leider gar nichts.
Musst du dir mal anhören. Klingt gut. Stokowski hat damals in den Dreißigerjahren ein sehr symphonisches Arrangement von der Toccata gemacht. Das war natürlich auch eine Inspiration für meine Version. Ein klassisches Stück muss eben wie ein Rockstück ein sehr prägnantes Thema haben. Im Rock nennt man das den Chorus. Diese beiden Stücke haben das, und dementsprechend finde ich, dass die auch ganz gut funktionieren.
"Das Original hat natürlich eine ganz andere Substanz"
Schade finde ich, dass du bei deiner Bearbeitung von Beethoven die Durchführung des Satzes [Teil eines klassischen Satzes, in dem zwei zuvor vorgestellte Themen verarbeitet werden, Anm. d. Red] weitgehend weggelassen hast.Bei einer Version, die auf so ein Album passen muss, da kannst du das Stück nicht sieben, acht Minuten lang machen. Oder kann man schon, ich wollte es mit diesem Stück aber nicht machen. Im Endeffekt gebe ich ja nur so einen kleinen Geschmack von Beethoven. Ich gebe zu: Das Originalwerk hat natürlich eine ganz andere Substanz. Ich versuche damit aber auch nur auf gewisse klassische Komponisten aufmerksam zu machen. Ich werde der Erste sein, wenn ich das live spiele, der sagt: Hört euch auch das Original an.
Beeindruckt hat mich der Ausdruck deines Geigenspiels. Ich finde es spricht. Orientierst du dich denn beim Spielen eines Rocksongs an seinem Text?
Das Erste, was ich normalerweise mache, ist das Arrangement um den Geigenpart. Das Schwierigste ist, das Orchester mit der Band zu verbinden. Die Sologeige ist ja praktisch nur ein Bindeglied zwischen dem Orchester und der Band. Da ist es ganz wichtig, dass man das Arrangement so macht, dass die Geige sich nicht wie ein Fremdkörper anhört. Das Arrangement muss so gemacht sein, dass alles zusammen passt. Es gibt gewisse Orchesterinstrumente, die helfen, die Band mit der Geige zu verbinden. Ich habe zum Beispiel bei vielen Arrangements Blasinstrumente verwendet. Ob das jetzt Woodwinds sind oder Blechinstrumente: Ich glaube, dass das vom Ton her sehr nahe an den Sound von heutigen Rockbands ran geht. Das sind solche Bindeglieder, die ich zuerst finden muss, bevor ich mit dem Geigenpart anfange. Das Erste was gemacht wird, ist also einen Grundsound mit dem Orchester zu finden. Danach kann man entscheiden, ob man nur die Vocal Line nimmt oder probiert, die Vocal Line und ein bestimmtes Riff in der Gitarre zusammen zu machen. Ich mache das natürlich so virtuos wie möglich. Ich bin ja auch ausgebildet, das auf einem so hohen Niveau hinzubekommen, dass das nicht jeder spielen kann.
Woher kommt eigentlich deine Leidenschaft für den Rock?
Musik generell ist eine Leidenschaft von mir. Das hat nichts speziell mit Rockmusik zu tun. Das Album ist halt ein bisschen programmatisch geworden. Der grundsätzliche Tenor ist: Symphonieorchester meets Rock. Egal ob das Originalstück jetzt aus dem Rockmusikbereich oder aus einem anderen Bereich kommt. Ich finde, es gab in den Siebziger- und Achzigerjahren unglaublich tolle Rockmusik, die ich auch sehr sehr gerne höre und immer gerne gehört habe. Und das ist für mich dieses Tribute an eine große Liebe von mir. Das ist halt nicht nur Klassik. Obwohl ich mich bei den Arrangements meistens schon an den klassischen Bereich angenährt habe. Zum Beispiel bei "Walk Tthis Way". "Walk This Way" ist ja ein klassischer Blues, wenn du dir die Harmoniereihenfolge anschaust. Blues kommt natürlich aus Amerika, aber im Endeffekt ist der Blues auch durch Immigration vom Irish Fiddle Playing entstanden. Das war eigentlich der Ursprung vom Blues. Das nehme ich dann in den Geigenpart mit auf. Das sind tolle Situationen, in denen dir so etwas bewusst wird und du sagst: Ok, wir machen das jetzt ein bisschen Charlie Daniels-mäßig. Das ist ein bekannter amerikanischer Fiddleplayer. Da merkt man dann: Es ist originaler als das Original. Dann hat man auch wirklich Spaß an solchen Sachen. Da bin ich nicht jemand, der geistlos an die Sache ran geht, sondern ich versuche, dem Stück auch noch ein bisschen Identität dazu zu geben.
"Auch Schönberg wollte nicht, dass man seine Werke hässlich spielt"
Generell habe ich bei deiner Musik das Gefühl, dass sie sehr vom Schönklang dominiert wird, dass du oft nach dem Schönen in der Musik suchst.Ich glaube, das ist aber eine normale Sache, finde ich zumindest. Ich habe halt bei der Klassik das Ohr ein bisschen in diese Richtung ausgebildet, dass ich schon in dem Instrument immer das Angenehme suchen muss, auch in den Arrangements. Ich wüsste jetzt nicht, welcher Musiker das nicht probiert. Manche eben erfolgreicher als andere (lacht)
Mit Kontrast zum Schönen meinte ich beispielsweise die Neue Musik, also Schönberg oder Berg. Und ich wollte dich fragen, ob du dich da auch schon umgetan hast.
Bei Schönberg machen vielleicht die Dissonanzen das aus, von dem du redest. Dass es dann schwerer verdaulich fürs Ohr klingt. Aber im Endeffekt versucht ja der Geiger oder das Orchester oder wer immer das dann aufführt, auch die Noten der harten Dissonanzen so schön wie möglich zu spielen. Auch Schönberg oder Alban Berg haben nicht gewollt, dass man das Stück hässlich spielt. Das ist ein großer Unterschied.
Aber es geht doch darum hässliche Dinge abzubilden. Zum Beispiel in Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau". Ich meinte mit Schönklang also mehr so eine gewisse Art von Harmonie.
Einverstanden. Aber wir sind da trotzdem unterschiedlicher Meinung. Ich glaube, wenn man etwas Hässliches oder Dramatisches malt oder spielt, kann das Gesamtbild hässlich sein, aber die Kunstform wie man etwas aufführt sollte selbst nicht hässlich sein. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass das Detail schön wird und dass man da auch viel Qualität durchscheinen lässt. Das Gesamtbild ist natürlich etwas verzerrt. Das gebe ich zu.
Was macht für dich denn, ganz allgemein, ein gutes Musikstück aus?
In erster Linie natürlich die Komposition. Im Endeffekt sind wir ja doch nur Interpreten, es sei denn, ich schreibe selbst etwas. Man sollte sich als Interpret an der Partitur festhalten und nicht versuchen, sein eigenes Ding durchzuziehen. Gewisse Freiheiten hat man natürlich immer. Aber wenn man als Künstler Beethoven, Brahms oder Bach rezitiert, sollte man sich schon an das halten, was der Komponist in den Text geschrieben hat. Ich glaube, dann ist man wirklich auf der Seite des Komponisten und das zeichnet einen guten, klassischen Künstler aus.
Du schaust also auf das Handwerkliche.
Ja, aber nicht nur das. Sondern es kommt wirklich darauf an, sich an dem Material zu orientieren. Ich kenne ja manche, die hören sich erstmal zwanzig CDs an und orientieren sich an gewissen Aufnahmen. Ich arbeite aber grundsätzlich nicht mit CDs. Ich höre mir auch praktisch kaum Sachen an. Wenn überhaupt, höre ich mir Opern an. Ich glaube, dass man da ein gutes Gespür für Phrasierung und Vibrato bekommt. Die Stimme ist ja das ideale Instrument. Die sollte die Inspiration für jeden Instrumentalisten sein. Und dann sollte man sich natürlich so viel wie möglich mit der Materie beschäftigen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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