14. November 2023

"London beeinflusst alles"

Interview geführt von

Die Sängerin und Gitarristin Delilah Holliday arbeitete schon mit Größen wie Étienne De Crécy, Neneh Cherry oder Ghostpoet zusammen. Solo setzt sie auf eine Mischung aus Pop, Soul, R'n'B, Downtempo und Clubtunes, ohne ihre Punk-Wurzeln zu verleugnen.

Delilah Holliday kommt in London zur Welt und wächst dort auch auf. Ihre erste Punkband Skinny Girl Diet gründet sie zusammen mit ihrer Schwester Ursula Holliday (Drums) und ihrer Cousine Amelia Cutler (Bass) im Teenageralter. Die steht mit ihrem zwischen Punk, Grunge und Noiserock pendelnden Sound und ihren feministischen Texten ganz in der Tradition der Riot Grrrls und etabliert sich schnell als fester Bestandteil der britischen Punkszene. Die Solokarriere der Londonerin, die als Absolventin einer Kunsthochschule viel Wert auf Style legt, nimmt 2018 an Fahrt auf, als sie ihr erstes Mixtape "Lady Luck Vol. 1" veröffentlicht, das noch eher soulige Klänge bietet.

Im selben Jahr gehört sie auch dem Elektronik-Trio B.E.D. an, das neben ihr aus Baxter Dury und Étienne De Crécy besteht. Ab der EP "Collective Consciousness" verlagert sich auch der Sound Delilahs immer mehr ins Elektronische. Black Music-Einflüsse findet man aber trotzdem noch, wie erst kürzlich "Invaluable Vol. 1" bewies. Nun bündelt sie diese EP zusammen mit einer weiteren EP zum Mixtape "Invaluable Vol. 1 & 2". Textlich kommen dabei gesellschaftskritische Themen wie Armut und strukturelle Ungleichheit nicht zu kurz. Es geht aber auch um Heimat, Vertrauen und Halt.

Delilah, du hast mit der Punk-Band Skinny Girl Diet die ersten Schritte in der Musikindustrie gemacht. Auf deinen Soloveröffentlichungen hört man dagegen Soul-, R'n'B- und Clubeinflüsse. Wie kam es zu diesem Stilwechsel?

Es hat sich ganz natürlich ergeben, als Künstlerin mit verschiedenen Sounds zu experimentieren. Ja, das war wirklich organisch. Ich fühlte mich einfach zu verschiedenen Genres hingezogen, aber ich behalte den Punk-Ethos bei.

Um deine Solokarriere zu starten, hast du dir selbst das Produzieren beigebracht. Wie viel Selbstvertrauen hat dir das gegeben?

Sehr viel, ich lerne immer noch. Ich würde nicht sagen, dass ich perfekt bin, aber ich finde Freude an der Produktion von Musik und es verleiht einem ein gewisses Wohlgefühl, wenn man seinen eigenen Sound von Grund auf entwickelt.

"Ich habe gelernt, kompromisslos zu sein"

Du hast über die Jahre zufällige Gedanken aus deinen App-Notizen aufgezeichnet und daraus Songs gebaut. Hast du immer noch die selbe Methode, Musik zu schreiben?

Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich die gleiche Methode habe. Ich mag es aber auch, sie zu ändern, um die Dinge interessant zu halten und kreative Blockaden zu vermeiden. Ich schreibe gerne auf meiner Gitarre oder lasse mich einfach von meinen persönlichen Aufschwungserfahrungen inspirieren.

Du hast unter anderem mit Baxter Dury, Étienne de Crécy, Ghostpoet oder Neneh Cherry zusammengearbeitet. Gibt es etwas, das du als Solomusikerin von diesen Künstler*innen lernen konntest?

Ich denke, ich konnte lernen, kompromisslos zu sein, meine künstlerische Integrität nicht zu opfern. Das ist die wichtigste Lektion, die ich mitnehme, und dass man sich selbst treu bleiben sollte.

Du legst sehr viel Wert auf visuelle Ästhetik, wie man in deinen Musikvideos sieht. Woher kommt dein Interesse für Mode?

Ich mag Mode, aber ich interessiere mich mehr für Style. Ich denke, es ist wichtig für die Menschen, zu lernen, sich auszudrücken.

"Invaluable Vol. 1" erschien im Juli diesen Jahres. Nun vereint "Invaluable Vol. 1 & 2" zwei EPs zu einem Mixtape. Hattest du schon ursprünglich die Idee, die beiden EPs zu einem Mixtape zusammenzufassen?

Ja, ich wollte es in zwei Teile unterteilen, weil es eine klangliche Reise ist. Es ist wie eine nächtliche Fahrt, die sehr fröhlich beginnt und dann rau wird und dich runterbringt.

Okay, das wäre meine nächste Frage: Die EPs beginnen recht downtempolastig, steigern sich danach jedoch ins Wilde, um zum Schluss das Tempo wieder herauszunehmen. Hattest du ein bestimmtes Bild im Hinterkopf, als du an den EPs gearbeitet hast?

Ja, es sollte eine Reise sein, die Räume repräsentiert, also wie bestimmte Räume in einem Haus klingen würden. Es war sehr abstrakt, als ich mit Produzent Raphael Ninot gearbeitet habe. Wir wollten einfach eine abstrakt klingende Arbeit machen, die über alles hinausgeht, was ich in der Vergangenheit gemacht habe.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Raphael Ninot ab?

Er ist der Partner meiner Schwester. Seine Produktion ist ein bisschen technischer als meine. Also wollte ich für diese EP die Einflüsse miteinander kombinieren. Ich schreibe die Texte und er produziert die Beats, wir tauschen die Rollen, zerstückeln die Lyrics und legen sie in eine Schüssel, arrangieren sie neu und kreieren einen Song.

"Ich würde gerne mit Arca arbeiten"

Du hattest mit "Liquid Pearl" eine ziemlich hymnische Club-Nummer als Vorboten für die zweite EP am Start. Das Video zeigt dich als moderne Johanna von Orleans und bringt mittelalterliches Styling in die Londoner Innenstadt. Was ist deine persönliche Inspiration für den Song gewesen?

Der Song handelt von Mutter Natur und davon, sie zu achten und zu respektieren. Das Video sollte offenkundig stark von Kriegern beeinflusst sein. Ich bin ein großer Fan der Ästhetik von Rittern und Rüstungen. Ich wollte das einfach kombinieren.

Auch das Musikvideo zu "Silent Streets" spielt in London. Inwieweit beeinflusst dich die Stadt musikalisch?

Es beeinflusst alles, denn ich bin in London geboren und aufgewachsen. Ich habe mich immer von den alltäglichen Dingen inspirieren lassen, denen ich begegnet bin, und ich habe mich meinem gewohnten Umfeld hingegeben. Meiner Meinung nach ist der beste Weg, ein Künstler zu sein, nicht nach mehr zu suchen, sondern sich von dem inspirieren zu lassen, was man hat.

Deine Musik mit Skinny Girl Diet stand ganz im Zeichen des Feminismus und auch solo greifst du feministische Themen auf. Wie beurteilst du das Thema Diversität und Gleichberechtigung im Musikbusiness?

Ich denke, es wird auf jeden Fall besser in der Musikindustrie, aber es ist immer noch eine Menge Arbeit. Besonders in der Produktion und auch in der elektronischen Musik. Als Musikkonsumenten müssen wir uns der verschiedenen Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten bewusster werden, die eine Menge zu bieten haben und die man sich ansehen sollte.

Neben gesellschaftlichen Themen wie Armut oder struktureller Ungleichheit geht es auf den den beiden EPs auch um Vertrauen und Halt. Was gibt dir persönlichen Halt?

Meine Familie, mein Partner, Spiritualität, Musik und Kunst. Das ist es, was mir Halt und Inspiration geben kann.

Du gehst ja bald mit Georgia auf Tour und kommst am 6. Dezember in den Frannz Club nach Berlin. Gibt es darüber hinaus schon Zukunftspläne oder hast du bestimmte Künstler*innen im Hinterkopf, mit denen du gerne einmal zusammenarbeiten wollen würdest?

Es gibt eine Menge, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde. Ich würde gerne mit Arca arbeiten. Ich liebe alle Arten von Musikszenen. Ich mag auch Caroline Polachek sehr.

Letzte Frage: Gibt es noch etwas, das du gerne loswerden wollen würdest?

Ich kann es kaum erwarten, dieses Jahr nach Berlin zu kommen und dort zu spielen. Ich bin sehr aufgeregt. Und meine EP ist seit Anfang November erhältlich.

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