laut.de-Biographie
Dieter Meier
Scheitern ist das große künstlerische Thema des Dieter Meier. Dies lässt sich schon daran ablesen, dass der 1945 geborene Schweizer in jungen Jahren den gut gemeinten Rat seines Vaters ablehnte, ihm in der eigenen Bank nachzufolgen.
Stattdessen findet er bis ins hohe Alter Gefallen an der Thematik: 2008 übernimmt Meier das Restaurant "Bärengasse" mitten in Zürichs edlem Bankenviertel, wo sich bislang kein anderer Pächter lange halten konnte. Für Meier Ansporn genug. Bald boomt der Laden.
Dieter Meier ist das Paradebeispiel eines begabten Quereinsteigers. Seine Vita liest sich wie das Leben mehrerer Personen: Er ist Performance-Künstler, Schauspieler, Filmer, Fotograf, Autor, Musiker, Viehzüchter, Weinbauer. Seine Karriere fußt jedoch auf dem weltweiten Erfolg der avantgardistischen Elektro-Band Yello, die er mit Boris Blank 1977 gründet ("The Race").
Meier ist scheinbar in jedem Fach zuhause, eine öffentliche Wahrnehmung, der geschickte Planung vorausgehen muss. Meier arbeitet mit engen Vertrauten. Ob bei seiner Black-Angus-Rinderfarm in Argentinien oder dem Zürcher Restaurant: Er bestimmt nur die konzeptionelle Richtung, den biologischen Anbau und die Produkte. Das Tagewerk überlässt Meier anderen. Wenn er in Firmen investiert, lässt er sich von Freunden beraten. Wenn er Aktienpakete kauft, bittet er seinen Vater um Rat.
Seine Passion gehört jedoch der Musik und dem Film. Bevor er Yello gründet macht der damals schon mit markantem Schnauzbart auftretende Mann mit anarchischen Solo-Auftritten auf sich aufmerksam: "Dort trug ich dann irgendwelche Suaheli-Texte und nicht existente afrikanische Dialekte vor. Das war sehr verrückt und oft auch sehr schlecht. Mehr so ein Gebrüll", erinnert sich Meier an seine Anfänge.
Sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein ist in den 70er Jahren überlebensotwendig, vor allem als die Punkwelle auch über die beschauliche Schweiz hereinbricht. In der empfehlenswerten Kulturgeschichte "Hot Love - Swiss Punk & Wave 1976-1980" ist ein Meier-Interview von 1978 mit einem Punk-Fanzine überliefert. Gefragt, ob er sich als Teil der Punk- oder New Wave-Szene sehe, blafft Meier empört: "New Wave, was ist das? Bohnenwichse? Ein vollautomatischer Zahnstocher? Nein, nur ein dummes Etikett, das irgendjemand irgendwo draufklebt." Die Punk-Bewegung sei vor allem eine innere Einstellung, die sich "maximal am äußeren Rand in der Kleidung wiederspiegelt", grantelt Meier weiter.
Der Schweizer merkt schnell, dass er zwar kein begnadeter Sänger ist, aber eine rhythmische Begabung besitzt, aus der heraus er seinen legendären Sprechgesang entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt liegt sein Gastspiel an der Universität (Jura) und seine weitaus innigere Verbundenheit mit diversen Spielcasinos, in denen er eine vierjährige Zockerkarriere als Pokerspieler startet, bereits hinter ihm.
Ebenso seine frühen Kunstaktionen, die er als "radikalen und absurd-humorvollen Situationismus" subsummiert. 1971 bezahlt Meier in New York Leuten auf der Straße einen Dollar, wenn sie ihm entweder das Wort "Ja" oder das Wort "Nein" auf Band sprechen. Im Gegenzug erhält er ein Foto und eine Unterschrift. Bald erscheinen Vertreter von Polizei und Psychiatrie, aber auch die Kunstkritikerin der "New York Times", die Meier zu seinem ersten großen Artikel verhilft.
Zur Kasseler Documenta 5 betoniert er 1972 am dortigen Hauptbahnhof eine Tafel ein mit der Aufschrift: "Am 23. März 1994 von 15 bis 16 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen". 22 Jahre später tritt der inzwischen zum Star gereifte Künstler 60 Minuten lang vor eine begeisterte Menschenmenge.
Im Kunstmuseum Luzern stellt sich Meier in einen leeren Raum, installiert davor eine Stechuhr und lässt die Besucher bei Ein- und Austritt eine Karte stempeln, als Dank für die Lebenszeit, die sie ihm gewidmet haben. In seinem sogenannten autobiografischen Bilderbuch "Out Of Chaos" von 2011 findet man noch weitere solcher Geschichten.
Bereits 2006 erscheint "Hermes Baby", eine Sammlung von Gedichten und Essays seines literarischen Wirkens, das bis 1969 zurückreicht. 2008 folgt eine Hörbuchfassung, die mit 140 Minuten Spielzeit auch eine DVD mit Yello-Videoclips und einem Interview beinhaltet.
2010 öffnet Dieter Meier erstmals sein künstlerisches Archiv für die Ausstellung "En Passant" in Berlin. Zwei Jahre darauf beleuchtet die Ausstellung "Works 1969–2011 And The Yello Years" im ZKM Karlsruhe das Gesamtwerk des Multitalents. Im selben Jahr konzipiert Meier für einen Festival-Auftritt direkt am Rheinfall in Schaffhausen eine einmalige Performance.
Die Suche nach neuen Herausforderungen; Dieter Meier kommt nicht ohne sie aus. Für den selbsternannten Inidividual-Anarchisten ist Scheitern eben keine Niederlage. Zumal Niederlagen sowieso nicht existieren. Sie sind laut Meier lebensnotwendige Erfahrungen auf dem Weg zu einem erfüllten Leben.