6. Oktober 2004

"Ich bin eher Produzent als Rapper"

Interview geführt von

Die Promoterin nickt, es sei schon ein bisschen viel, der ganze Presserummel. Aber sobald man ihm gegenüber sitzt, sind alle Bedenken weg geblasen. Freundlich und vor allem wissend um das, was er kann und was er will, beantwortet Dylan Mills die Fragen wie ein Vollprofi. So lange er seinen frisch gepressten O-Saft hat, geht es ihm gut.

Dein neues Album: bist du unsicher über den Schnellschuss oder stolzer Vater?

Ich bin definitiv glücklich, dass ich in der Lage bin, das Album nur ein Jahr nach "Boy In Da Corner" herauszubringen. Das macht in England sonst niemand so schnell. Wahrscheinlich in ganz Europa keiner. Das ist mehr so ein Amerika-Ding.

Warum ging es denn so schnell? Hattest du so viele Ideen oder hat die Plattenfirma gesagt, dass du jetzt was hinterher schieben musst, weil "Boy In Da Corner" so abging?

Nein, das geht allein auf meine Kappe. Die Plattenfirma hatte noch gar nichts von mir erwartet. Ich wollte einfach im Gespräch bleiben. Das Zeug raus bringen, während es heiß ist.

Fällt es dir leicht, so viel zu schreiben?

Naja, manchmal kann man nicht rappen. Also, manchmal muss man sich da auch reinleben. Zumal ich ja auch mit diesem Album viel mehr zu tun habe: Promo, dann die Tour. Bei der ersten Platte hatte ich ja nichts dergleichen.

Du machst deine eigenen Beats, oder? Traust du dich nicht, jemand anderen an deinem kreativen Prozess teilnehmen zu lassen?

Ja, abgesehen von vier Tracks mache ich auf diesem Album alle Beats. Es geht einfach darum, dass ich in der Lage bin, meine eigenen Beats zu machen. Ich habe das damals zeitgleich gelernt, zusammen mit dem MC-ing und dem Schreiben von Texten. So kam das zusammen. Es geht mir mehr darum, zu zeigen, was man alles mit Musik machen kann. Denn ich kann rappen. Gib mir einen Hip Hop-Beat, ich rappe da drauf, gib mir einen Drum'n'Bass-Beat, ich rappe da drauf. Aber das ist langweilig. Also habe ich ganz spontane Beats gebaut und dann geschaut, wie ich darüber rappen kann. Wie man Beats und Lyrics zu einem Song zusammen basteln kann.

Du hast dann auch den Vorteil, dass du andersrum arbeiten kannst. Erst die Lyrics haben und dann einen Beat dazu machen.

Klar. Mein Vorteil ist ganz klar, dass ich sowohl rappen als auch produzieren kann.

Gibt dir das ein Gefühl von Unabhängigkeit?

Das auch. Vor allem muss ich nicht andauernd irgendwelchen Leuten hinter herrennen. Ich kann einfach das arbeiten, was ich will, wann ich will. Und wenn ich mit anderen Leuten zusammen arbeite, geht es immer recht fix.

Im Vergleich zu "Boy In Da Corner" klingt dein neues Album "Showtime" viel relaxter.

Ich liebe das. Du sagst, es klingt entspannter, andere sagen, es klingt viel krasser. That's wicked! Ich persönlich denke, dass ich mit "Showtime" gezeigt habe, dass ich produktionstechnisch und vom Schreiben her noch eine ganze Menge drauf habe. "Boy In Da Corner" war schon ziemlich hart, bis auf so Tracks wie "Jezebel", "Sittin' Here" oder "Brand New Day". Mit dem neuen Album wollte ich wirklich meinen Fortschritt unter Beweis stellen.

Gleichzeitig klingt "Showtime" viel organischer als "Boy In Da Corner". Hast du denn großartig anders gearbeitet als beim ersten Album?

Nein, eigentlich gar nicht. Es ging hier mehr darum, meinen Entwicklungsstand einzufangen. Ich habe mit "Showtime" eigentlich sofort nach dem Fertigstellen von "Boy In Da Corner" angefangen. Ich habe ein paar andere Tools benutzt. Aber ich will jetzt nicht zu sehr ins Details gehen. In den Texten habe ich mich auf jeden Fall weiterentwickelt und da ein bisschen rumexperimentiert.

Deine Lyrics vermitteln den Eindruck, dass du nicht mehr so viel Aggressivität in dir trägst. Spiegelt sich hier Zufriedenheit mit deiner derzeitigen Situation wider?

Das hat sicher viel mit dem ersten Album zu tun, denn das war sehr radioorientiert. Ich war oft live im Radio zu hören oder auf Raves. Da schreist du die ganze Zeit, zwei Stunden am Stück. Das hat sich auf "Boy In Da Corner" bemerkbar gemacht. Jetzt habe ich mehr reguläre Shows gemacht. Es ist quasi weniger performativ, mehr studioorientiert. Weniger aufregend sozusagen. Die Flows sind komplizierter und rhythmischer. Darum heißt das Album "Showtime": es geht um Wachstum und Fortschritt.

Hat dich denn der Erfolg von "Boy In Da Corner" überrascht?

Was mich überrascht hat, ist, dass sich der Erfolg so schnell auf Europa und Amerika übertragen hat. Japan, Australien, Neuseeland, man hörte mich auf einmal überall. Das ist schon erstaunlich. Das hatte ich irgendwie im Hinterkopf, als ich mich an das neue Album gemacht habe.

Du bist ja in den USA mit The Streets unterwegs gewesen.

Ja, das stimmt, aber ich war auch schon alleine in den Staaten. Ich habe schon Jay-Z supportet, Sean Paul und Justin Timberlake. Mit N.E.R.D. habe ich schon zusammen performt. Einmal in Norwegen und einmal in England. That was wicked! Ich habe mich mit Pharell und Shay richtig gut verstanden. Aber das mit den Streets, das war so eine Zwei-Shows-In-Einer Geschichte. Weil wir schon sehr verschieden sind. Wir sind beide Innovatoren, aber doch auf eine ganz eigene Art und Weise.

Aber die Crowd, die Mike Skinner anzieht ist nicht grade eine Hip Hop-Crowd. Nicht so sehr, wie sie es bei Jay-Z wäre.

Das ist doch das Schöne daran. Wir ziehen verschieden Leute an. Auf den Konzerten waren dann Hip Hopper, Indie-Leute, Elektro-Leute und Drum'n'Bass-Leute. Ich finde es wichtig, dass verschiedene Leute auf meine Konzerte kommen. Ich will nicht auf ein Genre festgelegt werden.

Aber du würdest dich schon als Rapper bezeichnen.

Nein, ich würde sagen, ich bin jemand der rappen kann. Aber ich sehe mich eher als ein Produzent. Und angefangen habe ich sowieso als DJ. Ich und meine Leute waren immer sehr open-minded, was Musik angeht, sehr tolerant. Grade wenn es um extreme Musik geht: Grunge, Drum'n'Bass, Hardcore-Techno, Electro, Ragga, Dancehall. Darum erweitere ich auch immer wieder die Grenzen meiner eigenen Musik.

Du bist ja ein erklärter Kurt Cobain-Bewunderer. Was fasziniert dich an ihm?

Es ist die Energie von Nirvanas Musik, die mich total umgehauen hat. Ich kann nicht erklären warum. In einer stereotypischen Welt hätte das gar nichts für mich sein dürfen. Jung und schwarz, wie ich bin. Ich habe mir ihre Live-Performances angesehen, wie sie auf das Publikum gewirkt haben. Das hat mich fasziniert. Ich wollte verstehen, wie sie es geschafft haben, dass das Publikum angefangen hat zu moshen und einfach durchgedreht ist.

Nach der Release von "Boy In Da Corner" im letzten Jahr ging es ja ziemlich ab für dich. Du hast den in Großbritannien ziemlich prestigeträchtigen Mercury Music Prize gewonnen. Wie hat sich das riesige öffentliche Interesse auf dich ausgewirkt?

Ich habe mich nicht unter Druck gesetzt gefühlt, dieses Album besonders gut zu machen. Vielmehr wollte ich mir selbst beweisen, dass ich sowas wie mit "Boy In Da Corner" nochmal machen kann. Das schwierigste war, am Ende die Singles zu bestimmen. Damals war es etwas hart, den Spaß nicht zu verlieren. Das ist schwer, wenn es bizness-mäßig abgeht.

Du vermeidest, obwohl du rappst und so eine Art Hip Hop machst, die grundsätzlichen Klischees des Genres. Auch hier: Du trägst kaum Schmuck, dein Stil ist recht zurückhaltend und auch in deinen Texten geht es eher selten um große Karren, Frauen, Geld oder Crime.

Ich versuche nicht, einen Lifestyle oder ein Image zu verkaufen. Darum geht es im modernen Hip Hop ja in der Hauptsache. Oder zumindest sehen es viele Leute so. Ich will den Leuten nicht erzählen, wie geil ich bin. Es geht mir darum, zu erzählen, wo ich herkomme.

Liegt hier vielleicht der große Unterschied zwischen UK-Hip Hop und amerikanischem Hip Hop?

Keine Ahnung. Ich bin ja nur ein Individuum, und war nie in der UK-Hip Hop-Szene aktiv. Das ist eine komplett andere Szene als die Grime-Szene, oder wo die Leute sagen, dass ich herkomme.

Erzähl doch mal was über diese Grime-Sache. Das ist in Deutschland wohl noch nicht so angekommen.

Da kann ich auch nur sagen, was ich weiß. Es gibt da ein Pirate-Radio, das viel Garage gespielt hat. Die Musik wurde mit der Zeit etwas düsterer, und dann kamen so Leute wie ich auf den Plan. Die nicht wirklich in die Garage-Szene passten. Weil wir aus den Sozialbauten waren. In der Garage-Szene geht es viel um die Fassade. Leute wie Wiley oder ich haben da unser eigenes Ding gemacht. Ms. Dynamite gehört da wohl auch etwa dazu. Irgendjemand hat es dann Grime genannt. Es kommt von der Straße. Aber der Name kommt wohl von der Presse. It's the Hip Hop of UK, really, not UK-Hip Hop. Aber das hat nichts mit Mainstream zu tun. Ein paar Leute wie ich werden groß, aber das meiste ist ein Underground-Ding.

Wie hat sich denn dein Leben verändert in den letzten zwölf Monaten?

Also, ich lebe immer noch in London. Ich werde immer da wohnen bleiben. Mein Leben bewegt sich sehr schnell im Moment. Ich komme viel rum. Das ist cool, dass ich viel sehe und viele Leute mit meiner Musik erreichen kann.

Bist du eigentlich noch in der Roll Deep Crew?

Nein, schon lange nicht mehr. Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Das ist auch ungewöhnlich für einen Hip Hop-Artist, keine Crew zu haben.

Roll Deep war meine erste und einzige Crew. Aber ich hatte immer meine eigenen Ziele und kann die nur allein verfolgen.

Ist deine Mutter denn stolz auf ihr einziges Kind?

Ja, ich denke schon. Sie ist stolz, dass ich es so weit gebracht habe. Sie hatte ja nicht immer einen Plan, was ich da genau mache. In meinem Zimmer standen meine Turntables, und dann kam da immer dieser Lärm heraus.

Und wo siehst du dich in einem Jahr?

Hoffentlich sitze ich hier und spreche mit dir über mein drittes Album. Ich hab ja sonst nichts zu tun. Ein bisschen Urlaub zwischendurch wäre nicht schlecht, aber eigentlich will ich nur Musik machen. Ich würde gerne mit Bands zusammen arbeiten.

Willst du dann was ganz anderes machen?

Nein, nichts anderes. Nur mein Ding mit einer Band realisieren. Mit einem Kirchenchor oder so. Das wäre echt cool.

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