Porträt

laut.de-Biographie

Fabrizio De André

Wer die Altstadt Genuas besucht, findet viele Spuren des einstigen Reichtums. Enge, dreckige und vielerorts von baufälligen Gebäuden bedrohte Gassen öffnen sich auf Plätze, die imposante Werke beherbergen. Trotz Armut und einer hohen Verbrechensrate birst das Hafenviertel vor Lebensfreude. Auf den Straßen und in den Häusereingängen warten Prostituierte, stehen Zuhälter mit schwerem Schmuck, liegen Junkies, werden Drogen und Hehlerware verkauft. Unter sie mischen sich Touristen und Polizisten, nichtkriminelle Anwohner und nachts das Partyvolk. Eine eigene Welt, die der Liedermacher Fabrizio De André in seinen Stücken verewigt.

"Aus Diamanten wächst nichts, doch aus Mist wachsen Blumen", singt er in "Via Del Campo", das seinen Titel der Hauptstraße durch die Altstadt verdankt. Viele seiner von beißendem Sarkasmus durchdrungenen Texte beschäftigen sich mit Randerscheinungen der Gesellschaft, mit Nutten, Mördern, sadistischen Zwergen, Transvestiten, Tagträumern, Nomaden und Homosexuellen, die er mit einem Augenzwinkern beschreibt und als sympathische, wenn auch traurige Verlierer der engstirnigen Wohlstandsgesellschaft darstellt.

1940 geboren, stammt De André selbst aus einer gut situierten Genueser Familie, die es später in die gehobenen Kreise der italienischen Wirtschaft schafft. Fabrizio ist so etwas wie das schwarze Schaf, das Jura studiert, "um die hübschen Literaturstudentinnen zu verführen", wochenlang in den Puffs der Altstadt verschwindet und sich einem exzessiven Lebensstil verschreibt. Nebenbei schreibt er Lieder und tritt in kleinen Theatern der Altstadt auf.

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre veröffentlicht er mehrere Singles, die vom Leben um ihn herum handeln, wie die jungen Prostituierten von "Via Del Campo", den alkoholisierten Rentnern der "Città Vecchia", dem fahnenflüchtigen Soldat Piero. Der Durchbruch erfolgt zum Schluss des Jahrzehnts, als ihn die Studentenbewegung entdeckt und seine Lieder in Hymnen verwandelt. Anstatt weiter Balladen im Stile seines Vorbildes Georges Brassens zu schreiben, veröffentlicht De André zu Beginn der 70er Jahre drei Konzeptalben. So beschäftigt sich "La Buona Novella" (1970) mit den apokryphen Schriften, die nicht im Neuen Testament enthalten sind. "Jesus war der größte Revolutionär der Geschichte", erklärt er, obwohl er ein bekennender Atheist ist.

In "Non Al Denaro, Non All'amore Né Al Cielo" (1971) vertont er Gedichte aus Edgar Lee Masters' "Spoon River Anthology", auf "Storia Di Un Impiegato" (1973) macht er die gewaltbereite Linke und die terroristische Bewegung lächerlich. Sein ganzes Leben lang bleibt De André ein Querdenker.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre kauft er mit seiner Lebensgefährtin, der Sängerin Dori Ghezzi, ein Grundstück in Sardinien und beschäftigt sich intensiv mit Landwirtschaft. 1979 entführen Einheimische das Paar und halten es vier Monate lang angekettet in einer Höhle gefangen. Es kommt nach der Zahlung eines hohen Lösegeldes frei, die Täter werden später gefasst. Die Bedingungen waren grausam, dennoch verteidigt De André seine Peiniger vor Gericht und bezeichnet sie als "Opfer eines Staates, dem es nicht gelingt, ihnen eine anständige Arbeit zu verschaffen".

Seine Erfahrungen verarbeitet De André auf dem Album "L'Indiano" (1981). Nach einer Reise in verschiedene Mittelmeerländer, bei der er Melodien und Instrumente sammelt, entsteht drei Jahre später "Creuza De Ma", auf dem er ausschließlich auf Genuesisch singt. Der kommerzielle Erfolg hält sich zunächst in Grenzen, doch erhält er damit auch international Aufmerksamkeit. David Byrne etwa nennt es eines seiner Lieblingsalben.

Mit "Le Nuvole" (1990) und "Anime Salve" (1996) kehrt mit dem Italienisch auch der nationale Erfolg zurück. Im Sommer 1998 sorgt De André ein letztes Mal für Schlagzeilen: "Wenn es in Süditalien keine Organisationen wie Mafia, 'Ndrangheta oder Camorra gäbe, wären die Arbeitslosenzahlen noch wesentlich höher als sie ohnehin schon sind", sagt er bei einem Auftritt in Kalabrien. Lange ein Alkoholiker und lebenslang ein Kettenraucher, stirbt er im Januar 1999 im Alter von 58 Jahren an Lungenkrebs.

10.000 Menschen begleiten De Andrés Sarg zum Friedhof von Staglieno, wo er im Mausoleum seiner Familie beigesetzt wird. Das Interesse an seiner Musik bleibt in den folgenden Jahren bestehen, was sich an der Veröffentlichung vieler erfolgreicher Zusammenstellungen und Büchern zeigt. Seine Texte sind Teil des italienischen Schulunterrichts, an der Universität von Siena entsteht eine Sammlung mit seinen Handschriften, Fotos und Aufnahmen.

Ob ihn das alles interessiert hätte? "Erinnere dich, Herr, an deine ungehorsamen Diener. Vergiss nicht ihre Gesichter, denn nach all ihren Irrwegen ist es nur gerecht, dass das Glück ihnen hilft. Aus Versehen, wegen einer Unregelmäßigkeit, aus Pflicht", lautete der Schluss des letzten Liedes, das er aufnahm.

Alben

Surftipps

  • Centro Studi Fabrizio De André

    Stiftung an der Universität von Siena, die sich mit De André befasst. Auf Italienisch.

    http://www.fabriziodeandre.org/ita/index.php
  • Via Del Campo

    Umfangreiche Fanseite mit Texten, Covern und Infos. Auf Italienisch.

    http://www.viadelcampo.com/
  • MuH

    Deutsche Fanseite mit übersetzten Liedertexten.

    http://www.muh.info/content/view/500/72/

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