31. März 2010

"Größenwahn? Unbedingt!"

Interview geführt von

Anlässlich der exklusiven Radio NRJ Live-Session treffe ich die drei Hamburger gut gelaunt und bei bestem Frühlingswetter in der Lounge des altehrwürdigen Zürcher Kaufleuten, erste Adresse für Parties der Zürcher High Society (oder Leute, die sich wohl gerne dazu zählen würden). König Boris, Doktor Renz und der Schiffmeister sind wie immer gesprächig und auch in ihrem 18. Bandjahr sichtlich froh, wieder auf Tour gehen zu können.Als momentaner Exilschweizer spreche ich sie sogleich auf die doch etwas strapazierten Verhältnisse einiger Eidgenossen mit dem "großen Kanton" Deutschland an. Alles halb so wild, man hat sich im Grunde genommen doch (zumindest heimlich) immer noch gern.

Ihr habt es vielleicht mitbekommen: Das Schweizer Bankgeheimnis ist unter Attacke, Steuerflucht vielgenanntes Schlagwort und Steuersündiger zeigen sich vermehrt selbst an. Habt ihr euren Ausflug nach Zürich gleich damit verbinden können, euer eigenes Schließfach auszuräumen?

König Boris: Auszuräumen? Wir müssen zuerst einmal eins einräumen!

Doktor Renz: Aus Angst vor Entdeckungen meinst du? Mir hat das tatsächlich mal jemand angeboten, so ein Typ, mit dem ich irgendeinmal - zum Glück - nur kurz zu tun hatte, dass man eine Scheinfirma in der Schweiz gründen könnte, um dadurch deutlich Steuern zu sparen. Ich fand es damals kurzzeitig verlockend, aber auch sehr, sehr unseriös. Ich habe mich irgendwie sehr unwohl gefühlt!

Leider ist in letzter Zeit bei einigen Leuten in der Schweiz "German Bashing" zum richtigen Volkssport geworden. Habt ihr damit auch schon Erfahrungen gesammelt?

König Boris: Nein, wir sind ja privilegiert und insofern behandelt man uns anständig. Wir müssen hier ja nicht in Kneipen jobben!

Also habt ihr keine Angst, hier in Zürich aufzutreten?

König Boris: Noch nicht!

Doktor Renz: Wie ist es denn für die Deutschen, die hier in Zürich leben? Es sind doch viele, oder?

Es kommen tatsächlich immer mehr. Einige Schweizer haben darum Angst, dass ihre Spitzenjobs von deutschen Einwanderern quasi weggenommen werden. Man sprach auch schon vom "deutschen Filz" an den Universitäten.

Schiffmeister: Herzlich willkommen in der Realität, würde ich da sagen! Aber was die Musik angeht, habe ich schon den Eindruck, dass es in den letzten Jahren in der Musiklandschaft Schweiz ein größeres Selbstvertrauen gegeben hat, mehr Bands und mehr Eigenständigkeit. Vielleicht gibt es deswegen die Tendenz zu sagen, warum brauchen wir noch eine andere deutschsprachige Band...

König Boris: Die doofen Deutschen!

Schiffmeister: ...wenn wir selber eine Schwiizerdütsch-Band haben, die das viel besser macht. Aber ich hab da jetzt keine großen Feindschaften oder so was.

Ich denke auch nicht, dass das Schweizer Publikum reservierter wird gegenüber deutschen Bands.

Doktor Renz: Wir fühlen uns hier immer sehr warm willkommen geheißen. Das Publikum kommt anscheinend gerne zu uns und wir kommen gerne in die Schweiz

Hattet ihr irgendwelche prägende Erlebnisse in der Schweiz?

Schiffmeister: Das erste Mal in der Schweiz waren wir während der Klasse von 95-Tour. Da habe ich auch zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt Berge gesehen! Insofern war es für mich schon ein relativ prägendes Erlebnis.

Doktor Renz: Ein ganz toller Moment war, als wir in der Roten Fabrik in Zürich gespielt haben und dann Nordisch By Nature anstimmen und eigentlich denken, jetzt fliegt der Quatsch spätestens auf, jetzt versteht keiner mehr ein Wort. Und dann rappen da wirklich Leute diesen plattdeutschen Text mit, den sie garantiert nicht verstanden haben, sondern nur lautmalerisch imitieren konnten.

König Boris: Ein ganz anderer toller Moment war als wir in Bern oder Basel - ich weiß nicht mehr so genau wo - gemerkt haben, dass das Hotel, in dem wir untergebracht waren, eine Strip-Bar war. Als wir an der Hotelbar noch ein Bier trinken wollten, standen plötzlich ein Haufen nackter Frauen um uns.

Doktor Renz: So ist es bis heute geblieben!

"Den Gedanken an ein Live-Album fanden wir nicht sexy"

Wieso bringt Fettes Brot gerade jetzt ein Doppel-Live-Album heraus?

Schiffmeister: Du hast recht, ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen, dass uns erst jetzt bewusst geworden ist, dass wir mit dieser Band live tatsächlich etwas machen, was sich von den Dingen im Studio doch sehr unterscheidet! "Jein" ist das beste Beispiel. Dies ist uns irgendwann bewusst geworden und war ausschlaggebend dafür zu sagen: Jetzt wäre es an der Zeit, das festzuhalten, was wir live auf der Bühne machen.

Doktor Renz: Wir haben uns tatsächlich lange geziert und fanden den Gedanken an ein Live-Album nicht wahnsinnig sexy. Wir dachten, es muss sich schon einiges von der Originalversion auf Platte unterscheiden, damit es sich lohnt eine Live-Version zu veröffentlichen. Als uns dann klar wurde, dass wir diesen Punkt erreicht haben, hat unsere Steuerberaterin es sehr schön auf den Punkt gebracht: Das war übernotwendig!

Waren die Tourneen 08/09 so außerordentlich speziell, um sie auf Platte zu festigen?

Doktor Renz: Ich würde behaupten, so gut waren wir noch nie!

Wieso veröffentlicht ihr gleich zwei Live-Alben auf einmal? Spielt da ein bisschen Größenwahn mit?

König Boris: Spielt der mit?

Doktor Renz: Größenwahn?

König Boris: Unbedingt!

Oder gar der Ruf des Geldes?

König Boris: Nein, ich denke nicht, dass man dabei besonders viel mehr Geld verdienen würde. Wir müssen ja auch zweimal Covers drucken, Booklets machen und CDs pressen.

Schiffmeister: Bei einer Doppel-CD wäre wahrscheinlich mehr Geld am Ende übrig.

König Boris: Uns geht es eher um den künstlerischen Aspekt. Wir wollten nicht ein typisches Doppelalbum rausbringen, sondern zwei eigenständige CDs. Das hat zuletzt Guns'n'Roses gemacht, was auch schon zehn Jahre her ist. Dieser Gedanke der Dualität ist uns sehr wichtig: Wir haben zwei Videos produziert, zwei Singles rausgebracht. Es gibt zwei Blogs, den blauen und den orangen. Dies so aufzuziehen fanden wir sehr reizvoll.

Ich finde die rearrangierten Versionen eurer Songs beeindruckend, fetter Sound, hammer Soundqualität. Wie habt ihr in "Das Nervenkostüm" eine Band gefunden, die eure Songs so gut orchestriert? Kennt man sich schon lange?

Schiffmeister: Die haben wir nach und nach von der Straße aufgelesen! Mit einer der ersten war auf jeden Fall Pauli, unser DJ. Die meisten Leute sind aus unserem Umfeld und kannten sich zum Teil schon vorher. Es war uns wichtig und immer ein Wunsch keine bezahlten Mucker mitzunehmen, die nur da stehen und die Sachen einfach runterspielen.

In dem Moment müssen wir das Interview kurz unterbrechen. Die Band hat im Nebenraum mit dem Soundcheck begonnen und strapaziert daher auch mein eigenes "Nervenkostüm" beachtlich. Dass die Türe immer wieder aufgeht, trägt seinen Teil dazu bei, dass ein Gespräch in normaler Lautstärke beinahe unmöglich war. Leider lässt sich kein anderer Raum finden, so rücken wir ein wenig näher ums Mikro zusammen.

Doktor Renz: Ist ganz schön laut.de!

Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, mein Kollege schrieb in der Rezension von "Fettes Brot" von "erstaunlich rockig". War dies gewollt? Wird das nächste Album auch so klingen, oder war das nur für die Liveshow gedacht?

Schiffmeister: Gedacht war es eigentlich gar nicht. Es ist tatsächlich eher zusammen mit den Musikern entstanden und wurde so zum Klangbild. Natürlich ist es toll auch ordentlich Alarm zu machen, wenn man mit so vielen Leuten auf der Bühne steht. Dann wird das vielleicht auch ein wenig rockiger.

König Boris: Aber es gibt genauso soulige Anteile und ruhigere Momente. Ich glaube, wir sind auch Typen, die immer schon mit Rockmusik sozialisiert wurden. Wir haben nicht immer nur Rapmusik gehört, sondern auch viel Punkrock und Gitarrenmusik.

Wird man auf eurer kommenden Deutschland-Tour neue Songs zu hören bekommen?

Schiffmeister: Es wird keine neuen brandneuen Songs geben, aber sicherlich andere Songs als die, welche man bisher auf den Alben hören konnte. Es wird sozusagen eine Erweiterung geben.

"Vor einer Jury aufzutreten ist seltsam und fragwürdig"

König Boris, du warst Juror im Anfangsstadium von "Unser Star für Oslo", war Lena Meyer-Landruts Sieg gerechtfertigt? Oder wer hätte deiner Meinung nach gewinnen sollen?

König Boris: Ich hab mir schon gedacht, dass sie gewinnen würde, auf jeden Fall war ich nicht überrascht. Sie stach sehr hervor durch ihre Art und Weise, aufzutreten und Songs für sich zu interpretieren. Ich glaube, sie wird auf jeden Fall ihren Weg gehen. Sie hat einen eigenen Kopf und macht nicht jeden Scheiß mit. Ich glaube, sie weiß was sie will. Insofern kann ich ihr nur alles Gute wünschen. Was sie macht, könnte ganz erfrischend sein.

Denkst du, dass Raabs Format Zukunft hat? Anscheinend lässt sich auch mit Casting-untypischen Leuten Geld verdienen...

König Boris: Grundsätzlich finde ich Bands, die sich abseits von Castingformaten gründen, angenehmer und ursprünglicher. Wenn jemand den inneren Drang verspürt, Musik zu machen, dann sollte er es einfach machen ohne sich vor eine Jury zu stellen. Wenn es doch eine Jury sein soll, dann ist Raabs Show eine ganz okaye Alternative zu dem sonstigen Castingtrash. Es geht dort nicht darum, irgendwelche ekligen Geschichten aus der Vergangenheit auszubuddeln und Leute im Fernsehen vorzuführen.

Siehe DSDS...

König Boris: Genau, das macht mir überhaupt keinen Spaß. Deshalb habe ich bei Raab mitgemacht. Da geht es um die Musik und nicht darum, junge Leute lächerlich zu machen.

Doktor Renz: Man könnte aus dieser Sendung die Inspiration ziehen, dass es viele junge Leute gibt, die interessante neue Stimmen sein und sich tolle neue Musik ausdenken können. Man könnte die Idee aufgreifen, Nachwuchskünstlern mehr Plätze in deutschen Fernsehformaten einzuräumen. Eine prominente Show zur besten Sendezeit macht letztendlich den Erfolg aus. Bei all dem Grand-Prix-Hype ist ein großer Teil des Erfolgs sicherlich auch, dass es nun im Fernsehen zu einer Zeit Musik gibt, während der sonst wenig Musik läuft - außer Volksmusik!

Schiffmeister: Ich möchte trotzdem als kritische Bemerkung anfügen, dass ich das Prinzip seltsam und fragwürdig finde, vor einer Jury aufzutreten - wie auch immer sie zusammengesetzt ist - und das Publikum abstimmen lässt, ob die Musik gut oder schlecht ist. Es ist ein falsches Bild, wenn man als junger Mensch, der gerne Musik machen möchte, irgendwo hingeht um sich bewerten zu lassen. Darum geht es gar nicht. Viel wichtiger wäre mir, dass man eine Vorstellung davon hat, was man gerne machen möchte. Man sollte einen Traum haben und die richtigen Leute suchen, mit denen man das machen kann. Sein Ding einfach durchziehen, ohne sich gleich zu fragen: "Mache ich denn alles richtig, sag mir bitte, ob ich es so mach, wie ihr das wünscht." Das finde ich komisch.

Doktor Renz: Selbst wenn die Jury teilweise so nett ist wie König Boris!

Eine ganz andere Frage: Bushidos Filmbiographie "Zeiten Ändern Dich" erntete vernichtende Kritiken und wird von einigen als kompletter Sell-Out des eigenen Lebens angesehen. Was haltet ihr von solchen Projekten?

König Boris: Ich finde, grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, wenn jemand eine interessante Lebensgeschichte hat und Lust hat einen Film zu machen. Es kommt jedoch darauf an – wie bei allen künstlerischen Dingen – welche Motivation dahinter steckt. Wenn die Motivation jene ist, einen geilen Film zu machen, der etwas aussagt und die Leute bewegt, man also Kunst machen will, dann ist das grundsätzlich nichts schlechtes. Wenn es ausschließlich darum geht, Geld zu verdienen und sich zu vermarkten, ist es uninteressant – im besten Falle.

Könnt ihr euch auch vorstellen, eine Filmbiographie über Fettes Brot zu machen? Wie würde die aussehen?

König Boris: Anders, auf jeden Fall!

Doktor Renz: Teurer produziert!

König Boris: Von Roland Emmerich! Nein, solch einen konkreten Weg gibt es bei uns nicht.

Schiffmeister: Es würde sicherlich einen verzwirbelteren Ansatz haben.

Wird St. Pauli den Aufstieg schaffen? Im letzten Laut-Interview sagtet ihr, realistisch betrachtet, eher nein...

Doktor Renz: Haben wir das wirklich gesagt? St. Pauli hat sich ja eine kurze Schwächephase erlaubt. Wir waren live dabei, als sie 3:0 gegen Kaiserslautern verloren haben, das war ein bitterer Moment. Wir haben die Hoffnung, dass es gerade noch rechtzeitig war um die Kurve zu kriegen. St. Pauli hat definitiv gute Chancen, nicht in die Relegation zu müssen.

König Boris: Noch haben wir es selber in der Hand, wir brauchen noch einen Punkt auf den zweiten, Augsburg ist noch zu spielen...

Schiffmeister: Das würde ein Fest werden! Wenn wir gegen Augsburg gewinnen, gebe ich einen aus.

Doktor Renz: Nur einen!

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