28. November 2012
"Deichkind haben bei uns abgekupfert"
Interview geführt von Christoph DornerWenn die alte Andy-Warhol-Sprechblase von den 15 Minuten Ruhm tatsächlich einen Funken Wahrheit in sich tragen sollte, dann sind HGich.T mittlerweile wohl seit einer halben Stunde so etwas wie die schrägsten Popstars, die das Land zu bieten hat. Und natürlich will keiner schuld daran gewesen sein.Als die unorthodoxe und unalimentierte Künstlerkommune aus der Hamburger Peripherie 2010 ihr erstes Album "Mein Hobby: Arschloch" bei Tapete veröffentlichte, hatte der gemeine Pop-Betrieb mit seinen ausgedealten Geschmacksurteilen, seinen ästhetischen Presets und seinem gähnend langweiligen Verständnis von gesunder Ironie im ersten Reflex überwiegend entgeistert bis offen angewidert auf dieses gagaistische Trash-Theater reagiert.
Und obwohl gerade die hunderttausendfach geklickten Videos von HGich.T bei Youtube in ihrer totalitären Albernheit vielerorts als eine Attacke auf den Geistesmensch interpretiert wurden, blieb jenseits mitleidiger Lacher doch gleichsam eine seltsame, anregende Faszination für dieses hässliche, wahnwitzige Schauspiel an einem kleben, das ja bereits jahrelang in den hedonistisch-avantgardistischen Untiefen einer Techno-Subkultur mit dem Fusion-Festival stattgefunden hatte.
Nun haben HGich.T in "Lecko Grande" ein zweites Album veröffentlicht, das in seiner Prämisse vom neuen Scheiß in alten Rohren gar nicht anders kann, als beiden Lagern, den Lovern and Hatern, neue Munition zu liefern. Man trifft die Band an einem sonnigen Herbsttag unweit des Hamburger Hauptbahnhofs.
Rasta-Maike (M), lange die prominenteste weibliche Figur in den Videos von HGich.t und Penis-Malerin auf der Bühne, und Karla Knyh (KK), zugleich unnahbare Vortänzerin und so etwas wie die ausgefuchste Pressesprecherin der Band, sind schon da. DJ Hundefriedhof (DJH) und Dr. Diamond (DRD), schlurfen wenig später herbei. Ersterer verantwortet bei allem Bekenntnis zum Chaos das Songwriting mit Sänger Anna-Maria Kaiser, zweiterer ist womöglich Posterboy, Brain und dunkle Eminenz im Hintergrund – in einer Person.
Was im Außenbereich eines asiatischen Restaurants folgt, ist der 66-minütige Versuch eines Frage-Antwort-Spiels, das nach den Maßstäben der Popkritik von der ersten Sekunde an zum Scheitern verurteilt ist. Das macht allerdings rein gar nichts.
HGich.T sind ein Kollektiv von über 20 Leuten. Inwieweit repräsentiert ihr vier die Band bei dem Interview heute?
DRD: Du redest schon mit HGich.T. Es ist nicht so, dass hier irgendwie Strohleute sitzen, die bezahlt wurden, um eine Show abzuziehen.
Jeder von euch hat zu "Lecko Grande" irgendetwas beigetragen?
DRD: Das Album haben wir alle mal gehört, ja.
Wie läuft das bei Interviews: Sprecht ihr euch da vorher ab, was ihr quasi offiziell loswerden wollt?
KK: Dann könnten wir ja einfach eine Pressemitteilung herausgeben und müssten dich nicht treffen, oder?
M: Wer soll uns denn Vorgaben machen: Der Oberboss?
Was sagt denn euer Label Tapete?
DRD: Die sagen, wir sollen sagen, dass das Album sehr gut ist.
KK: Das hat Dr. Diamond hiermit getan.
DJH: Natürlich hat das Label das Interesse, dass das Album promotet wird und sich verkauft. Und dass wir pünktlich sind.
KK: Wir sagen, was wir zu sagen haben. Wir antworten spontan.
Also keine Sprachregelung?
KK: Prinzipiell ist es doch total blöd, ein Interview so aufzubauen: Ihr müsst das und das sagen. Dann können wir uns das ja alles sparen.
DRD: Jetzt hör doch mal mit dem Meta-Quatsch auf und komm zu deinen eigentlichen Fragen.
Das Cover von "Lecko Grande" sieht im Kontrast zu seinem Inhalt ja fast normal aus.
KK: Was macht es denn "normal"?
Die Farben, die Gestaltung.
M: Auf dem ersten Cover war ja Frau Kadu drauf. Und jetzt ist Diddel drauf – und es ist noch ein Eis dabei.
DRD: Das ist richtig geil. Das hat so Neon-Magazin-Farbgebung. Das schnallt man sofort.
DJH: Kennst du nicht unser Video "Diddel der Mäusedetektiv"?
Nein.
DRD: Dann stell dir vor, du hättest den Film gesehen, als er vor einem halben Jahr rausgekommen ist. Und dann denkst du ein halbes Jahr: Alter. Und dann kommt das Cover plötzlich.
Der HGich.T-Fan checkt das sofort?
DRD: Was heißt Fan? Jeder Mann versteht das.
KK: So ein Cover heißt ja auch Artwork. Und Art ist Kunst, da macht sich also jeder selbst seinen Reim drauf. Man darf da gar nicht mit so vielen Hintergedanken an die Sache herangehen, weil man sich dann ja anmaßt, man könnte die Gedanken und Gefühle fremder Menschen steuern.
DRD geht ans Telefon: Ja, was issn? Ich geb hier gerade ein Interview.
KK: Jeder sollte sich das Cover anschauen und sich fühlen, wie er möchte.
DRD - immer noch am Telefon: DJ Hundefriedhof hat jetzt keinen Bock, wir sind in einem Interview. Telefoniert weiter.
Wie würdet ihr "Lecko Grande" denn selbst beschreiben?
KK: Musik.
M: Fröhlich.
DRD: Geht um Liebe.
M: Es sind ganz viele Liebeslieder drauf, fünf bis sechs.
DRD: Wie wenn man das Radio anmacht und es laufen Liebeslieder. Richtig geil.
Ist schon das erste Lied "Ich liebe dich egal ob du 16 bist" eines dieser Liebeslieder?
M: Klar, steht doch schon im Text.
KK: Es ist die Geschichte einer Liebe.
Eine Liebe aber, die irgendwie verboten ist. Eine Song über Gerontophilie.
M: Wieso verboten?
KK: Naja, er meint wohl wegen des Altersunterschieds. Aber du kannst natürlich in jedem Song versuchen, tausend doppelte Böden zu finden – oder ihn einfach hören, wie man ihn hört.
Vor zwei Jahren gab es in Schleswig-Holstein einen CDU-Politiker, der eine Affäre mit einer 16-Jährigen hatte und bei seinem Rücktritt sagte: 'Es war Liebe'. Verleitet euch vielleicht so ein Skandal dazu, so ein Lied zu machen?
DJH: Naja, da spielen schon auch eigene Erfahrungen mit rein.
Dann genereller gefragt: Wie kommen die Songs von HGich.t in die Welt?
M: Dr. Diamond, sag du mal: Du hast doch neulich so gut erklärt, warum die Frage nicht funktioniert. Los jetzt!
DRD: Die Warum-Frage. Wie war das Konzept noch mal?
KK: Na, wegen der vielen Gedanken, die gebraucht werden, um ein Wort zu bilden.
DRD: Jaja, die profane Frage. Also, wenn die Menschen die Worte 'Was tue ich heute Abend?' denken, dann ist das nur ein Ausdruck von tausenden Denkprozessen, die im Gehirn gleichzeitig ablaufen. Deshalb ist die Frage nach dem Warum bei unserer Musik auch so schwer zu erklären, weil sie aus zehntausenden Einzelfaktoren aller beteiligten Personen besteht. Und wenn man das nun in Worte fassen soll, ist das doch ein nachdrücklicher Prozess.
Außerdem hat die Sprache nur einen geringen Informationsgehalt. Also wird immer nur ein Bruchteil der Informationen übermittelt, die im Gehirn verarbeitet werden. Deshalb sind solche Fragen Schwachsinn. Die Sache mit dem CDU-Politiker haben wir alle schon längst wieder vergessen. Deshalb soll so was auch nicht als Begründung herhalten.
Viele Bands sehen das nicht so unverkrampft wie ihr. Die schmücken sich gerne mit coolen Referenzen.
DRD: Der Klassiker ist doch: 'Hey, warum warst du gestern nicht auf meiner Party'. Die ehrliche Antwort wäre: 'Weil ich keinen Bock gehabt habe' – oder 'Weil das Computerspiel gerade so geil war'. Man braucht dann aber irgendeinen vernünftigen Grund wie 'Ich musste doch am Morgen wieder so früh raus und dringend was machen.' Man sucht nach einer Ausrede, die zum sozialen Kontext passt.
Wenn ihr da so unverstellt seid: Habt ihr dann gar keine Schwierigkeiten, ein Album fertigzubekommen?
DJH: Wir machen uns schon auch Druck.
KK: Ich würde ja sagen, dass es keinen Druck gibt. Wir können ja immer wieder ein Album machen. Je freier man die Dinge laufen lässt und je weniger man sich selbst begrenzt, desto besser wird das Endprodukt.
Handy klingelt, DRD am Telefon: Sascha hat keinen Bock.
KK: Das kennst du bestimmt auch: Leute, die seit Jahren an einer Sache rumdenken und abwarten bis es perfekt ist. Am Ende fangen sie nie damit an.
M: Aber ansonsten macht DJ Hundefriedhof die Beats und dann geht's los. So ist es doch, oder?
DJH: Da nimmt man nen Rhythmus und überlegt was thematisch passt. Dann erinnert man sich, wie es war als man selbst 16 war. Und fertig.
"Tutenchamun hat in Hannover nicht auf die Bühne gekackt"
Einige von euch haben einen Kunsthochschulhintergrund. Sind das dann die Mittel der Kunst, der ihr euch beim Schreiben der Lieder bedient: Freie Assoziation, nicht zu viel nachdenken, nicht zu viel analysieren?M: Wir sagen den Leuten doch nicht, was sie denken sollen. Oder was?
KK: Deine Vorstellung ist irgendwie zu ergebnisorientiert, weil das in den meisten Lebensbereichen ja auch gut funktioniert. Aber auf HGich.t und auf das Album kann man solche Schemata nicht anwenden, weil wir 20 Leute sind. Bei uns entstehen Dinge: Neue Tracks, Videos, Konzerte. Einfach so. Es wird einfach getan, was getan werden muss. Was getan werden darf, was getan werden will.
Das heißt ja dann auch, dass bei euch Tagesformschwankungen eine große Rolle spielen können.
KK: Ja, selbstverständlich.
DJH: Tapete sagt, wir sollen endlich das Album fertigmachen. Dann setzen wir uns hin und machen das die ganze Woche. Natürlich kommt da auch viel Scheiße raus.
DRD: Auf dem Album sind wir aber nur in Hochform zu hören.
KK: Findest du das etwa nicht?
Naja …
DRD: Es sind unsere besten Leistungen der letzten drei Jahre auf dem Album - minus der scheiß Tagesform.
DJH: Man muss halt alles im richtigen Moment aufzeichnen. Wir haben ja auch Live-Momente auf dem Album festgehalten. Da muss man dann halt auch auf den Konzerten den Überblick behalten, dass man im richtigen Moment den Aufnahmerekorder am Start hat.
Ist euch das gelungen?
M: Nee.
DJH: Ja. Wir hätten da gerne noch mehr gehabt.
Ist "Lecko Grande" denn nun anders ausformuliert als das erste Album? Ich traue mir da kein fundiertes Urteil zu.
KK: Es klingt schon etwas anders.
M: Ja, wegen der neuen Knöpfe, ne?
KK: Dass "Ich liebe dich egal ob du 16 bist" anders arrangiert ist als "Hauptschuhle" kann ja jeder hören.
Gut, einige Tracks sind auf jeden Fall böllernder produziert.
Maike bekommt ihr Essen: Nein, da ist Koriander drin. Riech mal, das riecht nach Seife.
DRD: Ich hab den Koriander.
M: Ach so.
DJH: Das Album ist tanzbarer, beatlastiger - das erste Album war kopflastiger.
KK: Mein Bruder hat das Album noch einmal ganz neu aufgerollt und aufgemöbelt.
DJH: Mit Ableton Live. Damit kannst du jeden Furz aufnehmen und rückwärts abspielen – und es klingt geil.
KK: Wir sind auf jeden Fall total begeistert von den technischen Möglichkeiten, dabei übersteigt die Materie meine Kapazitäten.
Ist dein Bruder dann so etwas wie euer Produzent?
KK: Keine Ahnung, was der macht. Ich koche immer Tee, aber wenn er in den Raum reingeht, ist da nichts. Und wenn er rausgeht, ist da was fürs Tanzbein da.
Die Presse hat 2010 vor allem eure Goa-Ästhetik fasziniert. Reden wir bei "Lecko Grande" immer noch über Goa, über Trance?
KK: Warum denn nicht?
M: Für mich ist Goa nicht mehr so wichtig, für DJ Hundefriedhof schon. Für Dr. Diamond auch. Für Karla nicht so.
KK: Bei so vielen Leuten muss es da gar kein einhelliges Bild geben.
M: Am Ende finden wir die Lieder komischerweise aber alle immer geil.
Was ist das größte Missverständnis, für das HGich.T bisher gesorgt haben?
M: Dass Tutenchamun in Hannover auf die Bühne gekackt hätte. Das stimmt einfach nicht.
Wer hat das behauptet?
M: Der Clubbesitzer in Hannover.
DJH: Faust in Hannover.
M: Manchmal machen wir etwas mit Schokoladenpudding, vielleicht dachte er das deshalb.
Was waren die Konsequenzen?
M: Da dürfen wir jetzt nicht mehr auftreten. Außerdem hat er uns bei anderen Veranstaltern schlecht gemacht.
DRD: Wie sagt man da? Angesch ...
M: Rufmord.
Du sagtest, ihr habt auf der Bühne manchmal Schokoladenpudding dabei. Ihr könnt euch doch nicht sicher sein, dass den Pudding niemand für Kacke hält?
DJH: Da kann man ja auch mal den Finger reinstecken und probieren.
M: Warst du schon mal bei einem Auftritt von uns?
Nein.
M: Bei uns passiert auf der Bühne eben ganz viel.
DRD: Der Pudding ist da nur ein Detail.
KK: Da kann man auch einfach mal hingehen und nachschauen.
DJH: Aber in Hannover kommt die Security ja auch von den Hells Angels. Und die fragen eben nicht.
KK: Ich wusste gar nicht, dass das so ein Politikum ist.
DRD: Wenn du das Video "Titten von Bethlehem" anguckst, dann siehst du übrigens das Original Corpus Delicti, den Puddingscheißhaufen in der Tasche von dem Lehrer. Echt erbärmlich. Es gab da auch keine Option, einen echten Scheißhaufen zu nehmen, weil wir diesen Sachverhalt verarbeiten mussten.
Lest ihr eigentlich, was so alles über euch geschrieben wurde?
M: Wir sammeln das auf unserer Homepage.
KK: Wenn ich Zeit hab, lese ich das schon.
Fühlt ihr euch da richtig verstanden, wenn Popkritiker und Kulturjournalisten an euch herumdeuten?
M: Wir machen, was wir wollen. Da können die natürlich auch machen, was sie wollen.
DJH: Die Leute von 3sat (Anm.d.Red.: den "Kulturzeit"-Beitrag kann man bei Youtube sehen) haben uns verstanden, würde ich sagen.
DRD: Wichtig ist ja gar nicht, ob ihr Journalisten uns kapiert, sondern, dass die Leser einen möglichst guten Eindruck von HGich.T bekommen.
KK: Jeder Journalist schreibt ja auch für sein Medium. Bei "Bild der Frau" würde ein Artikel über HGich.T wohl sehr kritisch ausfallen. Die Leute von 3Sat sind da schon aufgeschlossener.
DRD: "Auto Motor Sport" finden uns bestimmt super.
Sind HGich.T in ihrem Werk und ihrem Wirken ein Beispiel für Kunstfreiheit?
M: Gibt es das? Dann fordere ich Kunstfreiheit für uns ein.
DJH: Ich finde Kunstfreiheit wichtig, aber es gibt im alltäglichen Leben trotzdem genug Dinge, die uns daran hindern frei zu sein. Zum Beispiel müssen wir pünktlich zu unseren Auftritten kommen.
M: Und wir müssen Essen kaufen.
KK: Was DJ Hundefriedhof sagen will: Künstlerische Freiheit kann ja auch schnell zu Narrenfreiheit werden. Wir wissen, dass wir nicht fünf Stunden zu spät zu unseren Auftritten kommen dürfen.
DJH: Auf der Bühne können wir auch nicht machen, was wir wollen. Kiffen, saufen, LSD rein. Die ganzen Metal-Bands müssen auf Tour auch jeden Tag stocknüchtern ihr Ding durchziehen.
Diese Mechanismen des Showbusiness könnt also auch ihr nicht außer Kraft setzen?
DJH: Nee – und das ist scheiße.
KK: Der Mensch kann nun mal gegen so etwas wie die Schwerkraft nichts unternehmen. Das sind Naturgesetze, die muss man nun mal akzeptieren. So etwas wie Pünktlichkeit ist dagegen etwas vom Menschen gemachtes. Das ist schon irgendwie ein Skandal, dass man sich dem auch unterwerfen muss.
Ihr müsst ja auch nicht bei euren Konzerten auftauchen. Am Anfang wäre das wohl auch ganz witzig. Nur irgendwann kommt dann auch niemand mehr.
KK: Wenn wir vier Tage zu spät kommen, steht ja auch schon wieder jemand anderes auf der Bühne.
DRD: Und dann kommen die Security-Fuzzis und ziehen uns von der Bühne.
Ihr seid ja auch pünktlich, weil ihr mit HGich.T Erfolg haben wollt, oder?
DJH: Wir geben uns größte Mühe. Aber es ist schon komisch, dass wir das so bürokratisch durchziehen.
Bei all den provokanten Absonderlichkeiten, die euch ausmachen: Seid ihr eigentlich schon mal ein Fall für eine Form von Zensur geworden?
KK: Du meinst, wie Die Ärzte damals mit "Claudia hat nen Schäferhund"?
DRD: Das ist doch lange her.
KK: Willst du uns unterstellen, dass wir mit so etwas darauf aus wären, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen?
Nein, ich frage nur, ob das schon passiert ist.
DRD: Da müssten wir schon ziemlich schräg drauf sein.
KK: Dr. Diamond, ich finde es schade, dass bei Youtube ein Video wegen irgendwelcher Kleinigkeiten gesperrt wird oder erst ab 18 freigegeben wird, damit es sich nicht jeder angucken kann.
M: Ein paar unserer Videos haben diese Alterssperre. Vier Stück.
Wisst ihr, warum?
DJH: Weil es die geilsten Videos sind.
M: Vielleicht, weil man nen Pimmel blitzen sieht.
Wurde von euch schon ein Video aus dem Verkehr gezogen?
DJH: Wir haben ein Video für ein Theaterprojekt gemacht, da haben wir auf nem Dixieklo so durch den Arsch von Tutenchamun gefilmt. Das war auch nur so ein Blitzer, und trotzdem kam dann jemand und sagte: Das geht nicht.
DRD: Das ist der Neid.
DJH: Da wird den Leuten schlecht, haben die gesagt.
DRD: Das ist der Neid.
Wie geht ihr damit um?
DJH: Das ist einfach ätzend. Wir haben uns tagelang Gedanken gemacht, gefilmt, das Video hochgeladen. Und dann kommt Youtube und sagt: ab 18. Leute ohne Account können das dann nicht gucken.
KK: Wir finden so etwas schade, deshalb wäre es für uns auch nicht erstrebenswert auf den Index zu kommen, weil unsere Sachen dann für viele Menschen unzugänglich werden.
DJH: Dabei sind das die geilsten Sachen – das ist immer so.
KK: Verbreitung ist viel besser als Beschränkung.
"Das was wir machen, nennt man Avantgarde"
Nun hat man mir der laut.de-Kollege vor unserem Interview bereits die Albumkritik zu "Lecko Grande" zukommen lassen. Er hat dem Album die niedrigst mögliche Wertung gegeben, einen von fünf Punkten ...KK: Ich stelle mir gerade vor, wieviel Spaß der Typ dabei gehabt haben muss, diesen einen Stern zu vergeben. Vielleicht hat er sich gefreut, all seine Frustrationen in so einer Kritik bündeln zu können. Dann freuen wir uns, dass wir diesem Mann zumindest ein Ventil geliefert haben.
Die Kritik ist aus meiner Sicht überzeugend geschrieben. Kann ein Verriss für euch nicht auch ein Kompliment sein?
M: Das ist total in Ordnung. Jeder kann mögen, was er will.
DRD: Ein bisschen traurig ist das schon. Weil er das eigentlich bestimmt geil findet, es aber nicht zugeben darf.
Ist es nicht schwierig, Musik als Kunstform in ein Bewertungsschema von eins bis fünf zu quetschen – gerade bei euch?
KK: Über Geschmack kann man nicht streiten. Natürlich kann man sich nach einer gewissen Zeit auf das Urteil bestimmter Kritiker relativ gut verlassen, wenn man das möchte.
DRD: In einer Minute werden bei Youtube – aus der Luft gegriffen – tausend Minuten Film hochgeladen. Der User kann das nicht alles gucken, er braucht da Hilfe wie diesen Ein-Sterne-Menschen, der HGich.T für seinen sozialen Kontext so bewertet.
M: Manche Menschen brauchen eben Zahlen. Die fragen dann auch nach dem Bumsen: Wie war ich - von eins bis zehn? Das ist schon okay.
Ich habe mich gefragt, ob sich eure Qualität nicht vielmehr in den fünf- bis sechsstelligen Klickzahlen eurer Videos widerspiegelt.
KK: Keine Ahnung, warum die Leute das so oft anklicken.
M: Naja, wir haben ja auch so Fans, ne.
DRD: Es gibt ein paar wirklich harte Fans, die werden wir nicht mehr los.
KK: Man kann diese ganze Bewertungskiste aber auch einfach mal weglassen.
Die Spex hatte mal einige Ausgaben lang eine Rubrik namens "Auf der Suche nach einer eigenen Kunstsprache", in der Musiker wie HP Baxxter von Scooter oder der Altpunk Jens Rachut ausführlich ihre Texte reflektieren. Was käme da bei HGich.T heraus?
M: Also, meistens sitzen DJ Hundefriedhof und Sänger Anna-Maria zusammen und texten. Manchmal fahren wir mit neuen Leuten im Auto und dann reden wir auch.
DJH: Unser Sänger hat da so Zettel, der schreibt sich das alles auf.
M: Manchmal kommt auch Frau Kadu und legt uns nen Text hin.
Ich als Journalist habe mich bei manchen Titeln auch über die falsche Rechtschreibung amüsiert. Kokettiert ihr da eigentlich bewusst mit Legasthenie? Oder sind die Texte einfach hingerotzt und ihr lasst das einfach so stehen?
DJH: Ich glaube, der Sänger verwechselt einfach ein paar Dinge immer wieder.
M: Diese Fehler sind doch auch witzig.
DRD: Ich würde sagen, das ist eine natürliche Form von Sprache, die wir benutzen.
Weist euch Tapete vor der Veröffentlichung auf Rechtschreibfehler hin?
M: Tapete sagt gar nix.
DJH: Doch, die sagen: 'Abgeben, abgeben'. Denen ist das eigentlich egal.
Wieviel Einheiten habt ihr von "Mein Hobby: Arschloch" verkauft?
DJH: 2000 Stück.
DRD: Online noch mal ordentlich mehr.
Ist es okay, wenn man eure Musik nicht kauft, sondern sich nur die Videos bei Youtube ansieht?
M: Klar. Viele Lieder kann man ja auch für lau auf unserer Homepage runterladen.
DJH: Weißt du, wieviel CDs Deichkind von ihrem vorletzten Album in den ersten sechs Wochen verkauft haben?
Moment. Fehlt beim reinen Hören der Musik von HGich.t nicht das Wichtigste: Der visuelle Irrsinn?
DRD: Bei Live-Konzerten entsteht oft ein Gefühl. Und Menschen möchten diesen Zusammenhang wieder herstellen. Einige Leute wollen dann diese Scheibe aus Plastik haben, wo neben den Ideen noch Fotos dabei sind. Und andere wollen eben nur ein paar Bits. Oder sogar eine orange Vinyl-Scheibe streicheln.
Mal eben zurück zu Deichkind ...
M: Er meint das Album mit "Krawall und Remmidemmi".
DJH: Die haben von dem Album fast nichts verkauft. 4000 Stück oder so. Wir haben übrigens dieses Jahr auch in einem Club gespielt, in dem Deichkind vor vier Jahren aufgetreten sind.
Du willst damit doch nicht sagen ...
M: Was nicht ist, kann ja noch werden.
DRD: Aus irgendeinem Grund hängen wir denen vier Jahre hinterher, obwohl das Fundament schon vorher existiert hat. Aber das ist in der Gesellschaft nun mal so, man nennt das Avantgarde.
Gibt es Verbindungen zwischen euch und Deichkind?
DJH: Hamburg, Geld, Schanze. Eigentlich sind wir ja mindestens genauso alt wie die.
DRD: Deichkind wurden auch erst erfolgreich, als sie das gemacht haben, was wir machen.
Seid ihr der Meinung, dass Deichkind sich heimlich Sachen bei euch abgeschaut haben?
M: Ja, na Logo.
DJH: Wie heißt dieses eine neue Stück von Deichkind: "Bück dich hoch"? Dieses "Ja" am Ende jeder Zeile, da könnte man schon sagen: von uns abgekupfert.
DRD: Aber da kann man nix machen. Ja sagen darf jeder.
Gibt es sonst Verbindungen zu Künstlern in Hamburg? Zum Pudel-Kosmos zum Beispiel, der einen ähnlich kruden Humor pflegt?
M: Rocko Schamoni hat mir mal für 80 Euro ein Bild abgekauft.
KK: Ich mag das, wofür Rocko und Konsorten stehen. In Bezug auf die Gentrifizierung von Hamburg zum Beispiel.
DJH: Wir alle spiegeln einfach den Zeitgeist.
Was ist das dann für ein Zeitgeist? Denn ich würde sagen, Ironie bestimmt derzeit den Zeitgeist. Und ironisch finde ich HGich.t eben nicht.
KK: Zeitgeist ist voll das schwierige Wort. Die englische Sprache hat nicht mal ein eigenes Wort dafür. Zeitgeist ist wie Bauchschmerzen: Da oder nicht da.
DRD: Es gibt da so einen Stromkasten bei einem Parkhaus, da gab es mal eine Schießerei und die Bullen haben sich da verschanzt. Ziemlich heruntergerockt. Auf dem Stromkasten steht jedenfalls: The Zeitgeist Movement. Und da würde ich jetzt gerne wissen: Was issn das? Ist das eine Band?
DJH: Es passieren plötzlich spannende Sachen zeitgleich.
KK: Das lässt sich aber immer erst im Nachhinein bestimmen.
Fühlt ihr euch jetzt eigentlich richtig angekommen im Pop-Betrieb: Zweites Album, weitere Konzerte.
KK: Das macht Böck.
Und an was könnten Hghich.t scheitern?
DJH: Höchstens an unserer Fantasie.
M: Oder wir sterben auf der Autobahn.
KK: Was bedeutet denn scheitern?
M: Scheiterhaufen.
KK: Ist es ein Scheitern, wenn kein Journalist mehr mit uns sprechen will? Wenn niemand unser Album kauft? Oder hat ein Scheitern nur etwas mit unserem persönlichen Empfinden in Bezug auf HGich.T zu tun? Ich kann sagen, dass wir momentan nicht das Gefühl haben, dass wir unsere Zeit verschwenden.
DJH: Ich finde, das ist ein schwieriges Thema. In der Kunst ist Scheitern ja auch ziemlich angesehen. Richtig verkacken finden die Leute ja selber geil.
KK: Nimm Damien Hirst. Ist der gescheitert, weil der jetzt diese hässliche Statue mit der schwangeren Frau aufgebaut hat? Ganz England sagt: Der größte Scheiß, der je gemacht worden ist. Viel Geld, wenig Talent. Damien Hirst ist nichtsdestotrotz einer der bekanntesten Künstler unserer Zeit und für den englischen Kunstmarkt extrem wichtig. Wahrscheinlich sitzt der zu Hause und sagt sich: Scheiß drauf. Und das finde ich gut.
Erst gab es die Videos, dann die Mundpropaganda, dann ein Album. Und jetzt noch eines. Die Konzerte haben mal drei Euro gekostet, jetzt sind es schon über zehn Euro. Müsst ihr jetzt abliefern?
M: Jetzt sind wir nicht mehr Subkultur, ne. Aber das stimmt ja nicht, denn wir verdienen gar kein Geld.
DRD: Bei manchen Rockstars hat das auch etwas länger gedauert.
DJH: Außerdem ist Geld ja auch nicht alles.
KK: Sondern Freude ist doch wichtig.
Teilt ihr die Einnahmen von HGich.T eigentlich schön sozialistisch auf?
M: Nee. Manche sitzen täglich für HGich.T an der Arbeit, manche nur jeden vierten Tag. Manche sind nur bei den Videos und den Auftritten dabei. Unser Kassenwart Dr. Diamond rechnet dann aus, wieviel jeder bekommt.
Gibt es ein großes Ziel von HGich.T?
DRD: Schon wieder diese komische Frage.
KK: Start, Aufgabe, Ziel, Ergebnis – gibt's alles nicht bei uns.
Gibt es Wünsche?
M: Ich möchte so berühmt sein, dass ich bei Stefan Raab mit diesen Autos rumfahren kann.
DJH: Ich möchte ne schöne Yacht.
Wo möchtet ihr noch gern auftreten?
KK: In London.
Auch im Fernsehen?
M: Wenn es live ist, ja. Deswegen haben wir auch einmal bei Stefan Raab abgesagt.
DJH: Das ist eben schwierig, wenn jemand anderes bei uns den Schnitt machen will.
Letzte Frage: Politiker und Popstars lassen sich ihre Interviews freigeben und Zitate autorisieren. Wollt ihr das auch?
M: Nee.
DJH: Du kannst damit machen, was du willst.
M: Aber sei lieb.
KK: Künstlerische Freiheit – auch für dich.
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