8. Dezember 2014

"Ich bin ein Feminist!"

Interview geführt von

Hozier ist kein Kirchenfreund, dafür ein Unterstützer von Gleichberechtigung und ein Verfechter der Menschlichkeit. Das hat er inzwischen wohl ausreichend jedem möglichen Magazin erzählt. Mit seinem Song "Take Me To Church" katapultierte er sich sehr schnell sehr weit nach oben und lebt seitdem aus dem Koffer.

Hozier ist in der Weltgeschichte unterwegs, hat kaum Zeit für sich, fühlt sich oft ziemlich müde und leer im Kopf. Äußerst höflich, nett und aufgeschlossen bleibt er beim Interview mit laut.de trotzdem.

Wir treffen Hozier, mit gebürtigem Namen Andrew Hozier-Byrne, am Tag seines Konzertes in Berlin. Im Gespräch geht es um Kunst fernab der Musik, was man mit billigen Handys anstellen kann und darum, dass er seiner eigenen Mutter sein Gesicht verboten hat. Die Frage nach der Bedeutung von "Take Me To Church" haben wir ausnahmsweise weggelassen.

Warum hast du dich für den Mittelteil deines gesamten Namens, Andrew Hozier-Byrne, entschieden?

Hozier: Ich hatte das Gefühl, Hozier reicht. In der Schule nannten sie mich Hozier, für meine Freunde heute bin ich eigentlich Andrew. Hozier ist aber einfacher als Künstlername, schätze ich - es hat sich angeboten.

"Take Me To Church" ist eingeschlagen wie eine Bombe. Bist du schon genervt von den ganzen Fragen zu deiner Einstellung gegenüber Kirche und Religion?

Ich hatte schon geahnt, dass dieser Song Fragen aufwerfen würde. Ich hab inzwischen schon sehr, sehr häufig erklärt, was ich mit "Take Me To Church" aussagen wollte und um was es in dem Video geht. Als Künstler sollte man nie davon genervt sein, wenn sich Leute mit dir über deine Musik unterhalten wollen. Im Gegenteil: Es ist ja ein ziemlich großes Glück, dass Leute meine Texte interessant finden. Ist doch besser als würde jeder immer nur danach fragen, was meine Lieblingsfarbe ist oder wie ich mein Haare pflege.

Die Wiederholungen gehen dir wirklich nie auf die Nerven?

Ein bisschen vielleicht. Verstehst du, ich lebe jetzt seit Mai aus dem Koffer. Und jeden einzelnen Tag habe ich seitdem über "Take Me To Church" geredet. Jeden Tag. Es gibt diese Tage, an denen ich richtig, richtig müde bin. Da würde ich mich bei Fragen danach am liebsten erschießen. Manchmal ist es sehr mühselig, aber wie gesagt: ich kann mich glücklich schätzen! Es gibt Songs auf dem Album, über die ich weniger gern reden würde, ich mag einige Songs lieber als andere. Auf "Take Me To Church" bin ich sehr stolz.

Würdest du ihn als deinen Lieblingstrack des Albums bezeichnen?

Das nicht. Alle meine Songs haben einen Platz in meinem Herzen, ich kann keinen Liebling nennen. Ich denke, wenn man einen Song schreibt – vom Anfang bis zur endgültigen Fertigstellung – verliert man viele Ideen und schmeißt viele Dinge wieder raus, die man eigentlich in dem Song haben wollte. Wörter, Melodien – man kann nicht alles umsetzen. Bei "Take Me To Church" fühlte ich, dass ich es geschafft hatte, genau das zu sagen, was ich sagen wollte.

Warum hast du "Cherry Wine" als Liveversion auf das Studioalbum gepackt?

Ursprünglich hatte ich geplant, "Cherry Wine" als eine Art Bonus mit aufs Album zu nehmen, als Hidden Track. Aber mit iTunes und so kann man das nicht machen, das ist eine Schande. Nun ja, jedenfalls sollte der Song unbedingt aufs Album. Ich hatte das Gefühl, ich könnte ihm nichts hinzufügen, wenn ich ihn im Studio aufnehmen würde.

Wann kam es zu der Aufnahme?

Das war eine tolle Erfahrung, früh morgens in einem verlassenen Gebäude. Auf Youtube gibt es ein Video von mir, wie ich das Lied auf einem Hoteldach spiele. Das ist genau die Aufnahme auf dem Album. Ein Mikro, 5 oder 6 Uhr morgens. "Cherry Wine" ist ein Song, den Zuhörer schon immer mochten. Ich wollte das Album nicht rausbringen und die Leute würden sich dann irgendwie hintergangen fühlen, weil der Song nicht drauf ist. Manche sagen jetzt, mein Album sei zu lang oder dass ein Album generell nur zehn Tracks haben sollte. Ich denke aber: Gib den Leuten mehr. Wenn sie schon dein Album kaufen wollen, dann sollten sie so viel wie möglich bekommen.

Deine erste EP hast du sogar ganz umsonst rausgegeben. Ist Musik den Leuten heute nichts mehr wert?

Es ist eine Schande, dass Musik zu einem Allerweltsprodukt geworden ist. Es wird als etwas angesehen, das umsonst ist und für das man nichts bezahlen muss. Das ist wirklich schlimm und nur der Rattenschwanz einer kulturellen Piraterie. Aber ich denke, die Industrie weiß sich immer noch zu ernähren, sie erholt sich schon noch davon.

Warum also die Free EP?

Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Student war und kein Geld auf dem Konto hatte. Ich konnte für nichts bezahlen. Also hab die EP umsonst rausgebracht mit der Option, dass Leute zahlen können, wenn sie wollen und können. Und dadurch hab ich natürlich mehr Menschen erreicht, als hätte ich fünf Euro oder was auch immer verlangt. Wir haben niemanden gezwungen zu zahlen, konnten aber schnell feststellen, dass viele freiwillig bezahlten. Das war natürlich nett.

"Mein Gesicht sollte nicht aufs Albumcover"

Du scheinst deinen Fans generell sehr nahe stehen zu wollen. Du hast sogar mal deine Telefonnummer auf Facebook veröffentlicht.

Ich brauchte sowieso ein neues Handy. Also hatte ich die Idee, meine Nummer rauszugeben, bevor ich es wegschmeiße. Im Endeffekt hab ich dann aber für die Aktion doch ein amerikanisches 30 Dollar Telefon gekauft, so ein ganz billiges Ding. Am Tag der Albumveröffentlichung veröffentlichte ich auch die Nummer.

Und was wollten die Anrufer von dir?

Viele der Anrufer waren erstaunt, dass sie bei mir durchkamen. Oder sie hatten nicht gedacht, dass es die richtige Nummer sei und waren geschockt. Sie wussten dann gar nicht, was sie sagen sollten. Da kamen ganz oft Sachen wie: "Ich mach grade Mittagspause", "Ich komm gerade von der Arbeit", "Ich hab gerade Zeit zwischen zwei Schulstunden". Und ich fragte: "Ach cool, wie war dein Tag bisher so?"

Wie lange hast du das durchgezogen?

Anfangs noch stundenlang. Aber dann war ich auf Tour, da ist es immer sehr hektisch und man hat viel zu tun. Und es kamen ständig Anrufe und jeder Anrufer wurde unterbrochen von neuen Anrufern. Wenn ich nicht ran gehen konnte, haben die Leute Nachrichten geschickt. Ich war nur noch damit beschäftigt, die Nachrichten aus meiner Inbox zu löschen. Und sobald ich fertig war, war sie schon wieder voll. Am Ende kamen so viele Nachrichten, dass das Telefon den Geist aufgegeben hat.

Du hast außerdem eine Fan Art Competition gestartet.

Ich bin durch Tumblr darauf gekommen. Ich muss zugeben, dass ich die Plattform bis vor kurzem noch nicht kannte. Als ich dann sah, wie viele Leute sich dort kreativ auslebten und was für Dinge Fans auf Basis von Songtexten erschufen - sie machten Lyrics zu Kunstwerken - dachte ich: Warum sollte ich meinen Fans nicht auch die Möglichkeit geben. Als Dankeschön bekamen sie Alben und der Gewinner bekam sein Kunstwerk als Poster, ich hab es signiert.

Deine Mum dein Albumcover gestaltet. Hast du ihr Anweisungen gegeben?

Wir haben zusammen daran gearbeitet und eine meiner Anweisungen, naja, eher Bitten, war, dass mein Gesicht nicht darin vorkommt.

Das hat sie wirklich gut umgesetzt, ein tolles Cover. Bist du fernab der Musik noch interessiert an anderen Kunstformen?

Oh ja, ich bin sehr daran interessiert, was Kunst alles sein kann. Ich hab leider gerade nicht viel Zeit zum Lesen, aber viele meiner Arbeiten sind beeinflusst von irischen Schriftstellern wie Oscar Wilde oder James Joyce. Seit meiner Kindheit liebe ich Standup-Comedy. Performance Art ist toll. Ich bin ein großer Fan von Stewart Lee, er hat ganz neue Standards gesetzt in Bezug darauf, was Standup-Comedy ist. Und ich war auch schon immer ein großer Computerspiele-Liebhaber. Es ist spannend zu beobachten, wie diese Spiele zu Kunst wurden. Ich mag ziemlich viel, ich brauch nur mal Zeit, sie zu genießen.

"Ich bin ein Feminist. Daran gibt es nichts zu rütteln."

Du hast momentan also nicht viel Zeit für dich selbst. Was vermisst du am meisten?

Nichts tun zu können. Ich vermisse es echt, nichts zu tun und Zeit zu haben, Musik zu schreiben und über Musik nachzudenken. Ideenfindung. Am Ende jeden Tages ist mein Kopf einfach so müde. Mir fehlt dann die mentale Energie, um an meiner Musik zu arbeiten und das vermisse ich. Das ist früher oder später das Ende von dem, was ich tun wollte: Musik schreiben und Musik machen.

Also nimmst du dir am Ende dieser Tour mal eine Pause?

Ich hab zwei Wochen über Weihnachten und dann gehts weiter. Es wird also noch ein ganze Weile dauern, bis ich wieder Zeit für Aufnahmen haben werde.

Ich denke, eines der Events, das in den nächsten Wochen am meisten Medienaufmerksamkeit erregen wird, ist die Victoria's Secret Show. Du trittst dort auf, das ist sicherlich ein großes Ding für dich. Ich war, ehrlich gesagt, ein bisschen verwundert. Du setzt dich für die Gleichheit aller und gegen Sexismus ein, was ja auch beinhaltet, dass man Frauen nicht als Objekte sehen sollte. Wie passen diese beiden Dinge zusammen?

Ja, ich bin ein Feminist. Absolut, da gibt es nichts dran zu rütteln. Und meine Musik dreht sich auch häufig darum, dass ich Hegemonie in Frage stelle. Und ... ähm ... also ... um ...

Gleichheit?

Genau. Ja, es gibt Probleme mit der Modeindustrie und mit den Medien. Victoria's Secret gehört da natürlich auch dazu - sie machen Unterwäsche. Ich finde aber nicht, dass Victoria's Secret irgendwas mit schmierigen, anrüchigen Produkten gemeinsam hat. Und ich glaube auch nicht, dass die Sachen nur entworfen werden, damit Männer sie toll finden. Also, denke ich, dass es einen unrealistischen Standard für Frauen in den Medien gibt? Absolut. Aber ich denke auch, dass Victoria's Secret Ausdruck dessen ist, was man weibliche sexuelle Stärke nennt. Ich denke, es ist ein weibliches Statement: Ich habe Autonomie über meinen Körper und meine eigene Sexualität. So möchte ich das gerne sehen.

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