22. Oktober 2019

"Für Frauen ist es immer noch schwer"

Interview geführt von

Jimmy Eat World stellen in London ihr neues Album "Surviving" vor. Bassist Rick Burch und Drummer Zach Lind reden über Erwartungen, Dave Grohl und die Reaktion auf das neues Material.

Früh am Morgen in Köln in den ICE, trotzdem verspäteter Check-In in Brüssel und in Rekord-Tempo eine Alternativ-Route aufgrund einer Streckenänderung in der Tube finden. Endlich in London stehe ich verschwitzt und japsend vor Rick und Zach von Jimmy Eat World, die amüsiert zuschauen, wie ich im Panik-Modus meinen unzuverlässigen Laptop anschimpfe. Die beiden sind im Kontrast zu mir die entspanntesten Dudes auf diesem Planeten.

Rick fordert mich auf, ein paar Anti-Stress-Übungen mit ihm zu machen und alles ganz easy anzugehen. Im lässigen Shirt, einem breiten Grinsen und dem Man-Bun wirkt er wie ein hipper Yoga-Lehrer, der mir gleich ayurvedischen Tee anbietet. In Wirklichkeit betreibt er neben seinem Hauptjob als Bassist auch eine eigene Destillerie namens "Caswerks". Likör mit Apfelkuchen-Geschmack und Tee-basierter Gin stehen im Angebot. Sein Bandkollege hingegen blinzelt mich mit kleinen Augen an und trägt immer noch an den Folgen eines Jet-Lag. Der Auftritt beim Gunville Festival kurz vorher wurde professionell erledigt, aber immer wieder schnauft er durch und versucht sich krampfhaft wach zu halten. Der Albumtitel "Surviving" bekommt an diesem Tag zumindest für uns beide eine eigene Bedeutung.

Ich habe euer neues Album gehört und bin wirklich von dem harten Sound überrascht. Ist "Surviving" euer Hard Rock-Album?

Rick: Es ist auf jeden Fall nicht wie "Integrity Blues", was mehr atmosphärisch klang. Ich würde es als "erwachsener" beschreiben und als Rückkehr zu einem kraftvolleren Rock-Sound. Die Entscheidung, wie das Album klingt, geht vorher immer wie ein Pendel hin und her, diesmal fiel die Wahl eben auf einen rockigeren Sound als zuletzt.

Ein komplett anderer Sound ist "555". Der hat so einen düsteren New-Wave-Sound.

Rick: Ja, der kam ganz am Ende der Produktion. Jim hatte die Idee zu dem Song, und der war so, wie er ihn eingespielt hat, eigentlich schon perfekt, da mussten wir kaum noch was an der Demo-Version ändern. "555" ist elektronisch, atmosphärisch und sehr beatlastig. Wir waren anfangs noch unsicher, ob er wirklich zum Rest vom Album passt. Der Unterschied zu den anderen Rock-Songs ist ja schon groß und trotzdem fügt er sich am Ende sehr gut in dem Albumkontext ein.

So wie bei "Congratulations". Der Abschluss von eurem Album und ein ungewöhnlich langer Jimmy Eat World-Song.

Rick: Genau! Das beendet das Album mit einem so einer Art geballter Faust. Wir sind jetzt, also nach dem Ende der der Produktion, tatsächlich immer noch dran in noch weiter auszubauen und zu verändern. Ich kann es kaum erwarten, ihn dann live zu spielen. Das wird dann zwischen all den schnelleren Uptempo-Songs ein richtig intensiver Moment.

Ihr habt am Wochenende auf dem Gunville Festival gespielt. Konntet ihr da schon erste Reaktionen auf die neuen Songs feststellen?

Rick: Ich bin ja selber Fan von Bands und gehe auf deren Konzerte. Ich weiß genau wie sich das anfühlt, wenn urplötzlich ein neuer Song im Set auftaucht. Du bist darauf nicht vorbereitet und erwartest erst einmal den bekannten Kram. Als wir "Criminal Energy" auf den Festival spielten, waren wir auf die Reaktion des Publikums gespannt. Sie kannten ja noch gar keinen Text, aber gingen dann richtig ab. Nach meiner Einschätzung hatten sie einfach eine riesige Menge Spaß, und ich sah einen großen Mosh-Pit vor der Bühne. Sie scheinen ihn also sehr zu mögen.

Whiskey für Dave Grohl

Wie der Album-Titel "Surviving" beschreibt gab es auch bei euch unangenehme Situationen, die ihr aber doch gemeinsam überstanden habt?

Rick: Jep, du musst gemeinsam durch privaten Mist und die Rückschläge in der Karriere durch. Es gibt wirklich einen Haufen arschiger Menschen da draußen, und manche Leute hätte ich lieber nicht kennen gelernt. Dann läuft dir aber so ein Typ wie Dave Grohl, den wir alle als unser Idol betrachten, über den Weg. Er ist so bodenständig und du wirst kaum einen netteren Typen als ihn finden.

Ihr und Dave geltet ja eh als absolute Darlings und Nice Guys in der Szene ...

Rick: Wir verstellen uns einfach nicht oder spielen mit keinem Image. So sind wir beide eben und das wird sich auch nicht ändern.

Ganz im Gegensatz zu Third Eye Blind. Sie haben sich auf euer gemeinsamen Tour geweigert, ihre Artist-Pässe zu tragen und das Personal in einem Aushang angewiesen, ihre Gesichter zu merken.

Zach: Ich habe dazu ein paar Kommentare auf Twitter geschrieben. Sie haben sich leider nicht mehr dazu geäußert und ich bin damit cool. Wir planen jedenfalls keine weitere Zusammenarbeit mehr mit ihnen.


Ok, kommen wir zurück zu Dave Grohl. Ihr habt ihm nach seiner Aussage den ekligsten Whiskey ausgehändigt, den er je trank ...

Rick (lacht): Oh ja! Wir hingen zusammen ab und ich wollte ihm meinen ersten selbst gemachten Whiskey andrehen. Du bist halt immer noch etwas naiv und denkst, dass der erste Versuch ausreicht und absolut okay ist. Aber eigentlich braucht man mehr Erfahrung und Know-How. Ich habe ihm allerdings über die ganzen Jahre immer mal wieder ein paar neue Proben gesendet und er hat mir nun versichert, dass es mittlerweile wesentlich besser als dieser erste missglückte Versuch sei.

Du bist gerade in Großbritannien und Besitzer einer Destillerie. Einen kleinen Abstecher nach Schottland zu den legendären Whisky-Brennereien geplant?

Rick (schwärmt mit leuchtenden Augen): Schottland ist wirklich der heilige Gral des Whisky. Ich war ein paar Mal in Islay, wo sie wirklich großartige Sorten herstellen. Ich liebe diesen Ort mit seiner unfassbar langen Geschichte. Es gibt dort gerade bei den jüngeren Brennereien einen Ansatz, wieder ausschließlich Material aus der Region zu beziehen und nichts vom Festland zu importieren. Das finde ich inspirierend.

"Es ist eine gute und auch gesunde Sache, sich auch Dingen wie Verletzlichkeit bewusst zu sein und diese zu zeigen."

Wo du gerade lange Geschichte und Tradition erwähnst. Nervt es euch eigentlich, auf eure älteren Alben angesprochen zu werden?

Rick: Nein Nein, überhaupt nicht! Ich fühle mich eher total geehrt, dass unsere Musik anscheinend so ein wichtiger Bestandteil für viele unsere Fans ist. Es ist wirklich toll und eine große Ehre für uns.

Wenn man die Zeit des Emo-Rock Ende der 90er betrachtet, ist mir eine Sache aufgefallen: Das Genre galt ja als das Gegenteil von "Männer"-Rock wie der von Korn und Limp Bizkit, aber trotzdem sind mir keine weiblichen Emo-Bands aus dieser Zeit bekannt.

Zach: Du hast absolut recht! Ich denke, für Frauen war und ist es immer noch sehr schwer, eine Gruppe zu gründen und damit in dem männerdominierten Musikbiz wirklich Gehör und Akzeptanz zu finden. Das ist dann für junge weibliche Künstlerinnen eine frustrierende und sehr einschüchternde Erfahrung. Aber ich glaube, da ändert sich jetzt aktuell einiges und es gibt wirklich tolle Frauen-Bands. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass sie gebookt werden und man den Leuten zeigen kann, was es für tolle Künstlerinnen es eigentlich gibt. Ich unterstütze das jedenfalls absolut.

Rick: Du erwähntest ja gerade Nu-Metal-Bands. Es war eine wirklich heftige Zeit, wo so ein aggressiver Testosteron-Typ angesagt war. Wir wollten damit überhaupt nichts zu tun haben und auch Gefühle in unserer Musik zum Ausdruck bringen. Ich glaube, das war für die damalige Zeit in diesem Umfeld schon außergewöhnlich und wir konnten den Leuten eine anderes Männer-Bild zeigen, weg von diesem Macho-Gehabe. Es ist eine gute und auch gesunde Sache, sich Dingen wie Verletzlichkeit bewusst zu sein und diese zu zeigen.

Da kann ich dir nur zustimmen. Ohne "Clarity" wäre das auch für mich damals eine düstere Zeit gewesen, es bedeutet mir eine Menge. Das Album ist nun schon 20 Jahre alt. In Whiskey-Jahren gesehen ein gut ausgereifter Malt. Würdest du euch als gut gereift bezeichnet?

Rick (lacht laut): Du erlebst schon viel in deiner Karriere, natürlich nicht nur schöne Dinge, aber das formt ja letztendlich den Charakter und führt zu einer Reife. Ich würde uns daher als wirklich sehr gut ausgereift bezeichnen!

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