12. September 2011

"Die Tour mit den Stones und U2 war grausam"

Interview geführt von

Die Mannen von Kasabian gelten in Journalistenkreisen nicht als sonderlich redselig. Medienwirksame Präsenz zeigt das Quartett lieber auf der Bühne. Umso dankbarer ist man auch 2011 für jeden vollständigen Satz der Brit-Rocker.Seit ihrem Debütalbum "Kasabian" aus dem Jahr 2004 erhellen vier selbstbewusste Musikanten aus dem tristen englischen Leicester den internationalen Indie-Pop-Rock-Himmel mit Untergrundmusik für die Massen. Am 16. September erscheint mit "Velociraptor" ihr viertes Album.

Gitarrist Sergio Pizzorno und Sänger Tom Meighan verkörpern auf ihre inviduelle Art und Weise wie nur wenige andere das Klischee vom archaischen und revoltierenden Rockstar. Es geht dabei aber weniger um Trunkenheit am Steuer, zerstörtes Hotelmobiliar, "Kicks'n'Chicks" und anderen Gossip, sondern vielmehr um Aura, Auftreten und Styling.

Offene Hemden, kräuselnde Brusthaare, wohlfrisiertes Haupthaar und der Charme der Unnahbarkeit präsentieren sich uns, als sich die hölzernen Türen zu ihrem Berliner Hotelzimmer öffnen. Zwischen unzähligen systematisch aufgebahrten Croissants und literweise frisch gepresstem Orangensaft erzürnen sich die beiden in der Folge über hochnäsige Altherren und Frauen ohne Ballgefühl. Da wollen wir natürlich dabei sein.

Viele Musiker fühlen sich erst zum Ende einer Tour so richtig wohl, wenn sich alles eingespielt hat und eine gewisse Routine vorherrscht, wohingegen der Tourstart oftmals eher mit Anspannung und Unsicherheit verbunden ist. Wie sieht das bei einem langen Interviewtag wie heute aus? Habe ich als Journalist am frühen Morgen bessere Karten als die Kollegen am Abend?

Tom: Das kommt ganz auf die Fragen an (lacht). Natürlich ist man morgens geistig noch etwas frischer und redseliger als am Abend, wenn du zum fünfzigsten Mal dieselben Fragen beantworten musst. Andererseits gehört das auch zum Job. Wir wollen uns nicht beschweren.

Sergio: Wie spät ist es denn?

Kurz nach elf.

Sergio: Dann hast du wohl Glück (grinst).

Was glaubt ihr? War der Velociraptor eher ein Frühaufsteher?

Tom: Das ist eine gute Frage. Keine Ahnung.

Ihr habt euch in der Vergangenheit also nicht ausführlicher mit den Gepflogenheiten dieses Sauriers beschäftigt?

Tom: Nein, nicht wirklich. Sollten wir denn?

Nun ja, schließlich ziert sein Name euer neues Album. Demnach hat der Titel keine tiefere Bedeutung?

Tom: Nicht wirklich. Er klingt einfach cool. Das wäre auch ein geiler Bandname, finde ich.

Wurden denn noch andere Saurier in Betracht gezogen?

Tom: Nein, "Velociraptor" klingt so dermaßen nach Rock'n'Roll, dass wir uns alle schnell einig waren.

Ihr macht einen sehr beseelten und unaufgeregten Eindruck. Täuscht das?

Tom: Das täuscht. Wir sind total aufgeregt und können es kaum abwarten, bis das Album endlich rauskommt. Was kann es für einen Musiker Schöneres geben? Das ist jetzt unser viertes Album und wir machen uns immer noch genauso vor Aufregung in die Hosen wie beim Debüt.

Hat das auch etwas mit Druck zu tun?

Tom: Welchen Druck meinst du? Wir verspüren keinen Druck. Ich meine, wir machen einfach unser Ding, verstehst du? Der Rest interessiert uns nicht. Es mag sein, dass die Leute um uns herum Druck verspüren, aber wir sind befreit davon, uns gehts gut.

Sergio: Wir sind ja auch keine Singles-Band. Wenn du dich darauf spezialisierst, Hits zu schreiben, um ins Radio zu kommen und den großen Reibach zu machen, dann ist das bestimmt was anderes. Dann hast du diesen Druck, ganz klar. Wir sind aber eine Album-Band. Wir definieren uns über das Gesamtpaket.

"'Switchblade Smiles' steht für futuristischen Rock'n'Roll"

Für mich klingt euer neues Album so, wie die Beatles, die Stones oder auch die Beach Boys zu ihren Glanzzeiten geklungen hätten, wenn ihnen die heutige Technik zur Verfügung gestanden hätte. Wie seht ihr das?

Sergio: Yeah, gib mir fünf! Das war genau der Plan.

Tom: Absolut. Das trifft genau den Punkt. Das war unsere Intention. Wir lieben diese Bands und ihre Musik. Diese Beschreibung sollte genau so in unserem PR-Text stehen.

Umso verwunderter war ich allerdings, als ich mitbekam, welcher Song als Vorabsingle ausgewählt wurde. "Switchblade Smiles" steht in seinem elektronischen Gewand meines Erachtens eher etwas abseits vom Grundsound der Platte. Wie kam es dazu?

Sergio: Der Song steht für futuristischen Rock'n'Roll. Es ist meiner Meinung nach der Song, der uns vom Rest des Rockzirkus abgrenzt und eine völlig eigene Identität besitzt. Außerdem hat er riesiges Live-Potential. Du glaubst gar nicht, wie die Leute abgehen, wenn wir den Track spielen. Für mich ist "Switchblade Smiles" der fetteste Song unseres Live-Sets.

Ihr habt ihn also schon auf einigen Festivals angetestet?

Tom: Ja, die Reaktionen waren atemberaubend. Während des Songs haben sich Moshpits gebildet, die wir in dieser Masse noch nie gesehen haben, wirklich unglaublich.

Produzenten-Guru Dan The Automator saß wieder mit im Boot. Wie wichtig ist euch diese vertraute Personalie?

Tom: Dan gehört mittlerweile zur Familie. Er weiß, wie wir arbeiten und versteht unsere Visionen. Das macht es für uns sehr einfach.

Sergio: Wir haben diesmal alles relativ schnell umgesetzt bekommen. Das hing natürlich auch mit Dan zusammen. Die Songs sind alle in Leicester entstanden und landeten danach bei ihm in San Francisco auf dem Tisch. Es lief alles reibungslos ab. Wir fühlen uns unter seinen Fittichen einfach bestens aufgehoben.

"Diese ganze Maschinerie ist einfach für den Arsch"

Es soll aber auch Kollegen innerhalb der Branche geben, mit denen ihr nicht so grün seid. Ich denke da vor allem an nicht ganz jugendfreie Zitate von euch während eurer Support-Aktivitäten für Über-Bands wie die Stones oder U2. Was war denn da los?

Tom: Es war einfach nur grausam. Dabei ging es aber gar nicht um die Bands selber, also nicht um oder gegen Bono und Mick Jagger. Diese ganze Maschinerie, die hinter solchen Produktionen steckt, ist einfach für den Arsch. Alles ist abgeschirmt und du bekommst nirgends richtigen Zugang.

Ich meine, wir mussten für die Stones Tickets kaufen, um die Show zu sehen, obwohl wir eine halbe Stunde vorher noch auf derselben Bühne gestanden sind. Das ist doch unglaublich, oder? Keine Ahnung wer bei so etwas die Fäden in der Hand hält, aber so geht man einfach nicht miteinander um.

Demnach haben sich Support-Shows in solchen Größenordnungen für euch in Zukunft erledigt?

Sergio: Ja, definitiv.

Ihr seid ja eine Band mit immenser Bühnenausstrahlung. Wenn man Konzerte von euch beobachtet, hat man immer das Gefühl, das ganze Areal verschmilzt miteinander. Empfindet ihr das auf der Bühne ähnlich?

Tom: Ja, es gibt nichts Schöneres. Dieses Gefühl kannst du einfach nicht beschreiben. Das ist wie Magie.

Gibt es da auch emotionale Abstufungen oder macht es für euch keinen Unterschied, ob ihr in einem Club spielt oder auf einem Festival vor dreißigtausend Leuten?

Sergio: Wenn alles passt, spielt es eigentlich keine große Rolle, wo du spielst. Natürlich haben gerade große Festivals immer einen besonderen Vibe. Wir haben letzthin auf dem BBK-Festival in Bilbao gespielt. Wir hatten absolut keinen blassen Schimmer, was uns dort erwartet und plötzlich geben dir fast siebzigtausend Menschen ein dermaßen phänomenales Feedback, dass es dir fast die Hosen auszieht. Da kriege ich heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Als eingeschworene Fußball-Fans dürfte es euch an diesem Tag aber nicht leicht gefallen sein, die Bühne zu betreten, oder?

Tom: Warum? Was meinst du?

Nun, nahezu zeitglich verabschiedeten sich die englischen Fußball-Damen von der Frauen-WM hier in Deutschland. Habt ihr das nicht mitbekommen?

Tom: Nein, nicht wirklich (lacht). Frauenfußball interessiert mich absolut nicht. Aber stell dir vor, ich habe gestern Teile des Finales gesehen.

Wirklich? Wie war dein Eindruck?

Tom: Es war furchtbar (lacht). Japan hat nach Elfmeterschießen gegen die USA gewonnen. Hast du gesehen, wie die Elfmeter schießen? Oh, das war wirklich grauenvoll. Aber ich sage dir was: Die deutschen Männer sind der Hammer.

Sergio: Die haben doch eine sehr junge Mannschaft gerade, oder?

Tom: Ja, ziemlich. Die werden nächstes Jahr bei der EM eine gute Rolle spielen. Spätestens in zwei oder drei Jahren stehen sie an der Spitze, davon bin ich überzeugt.

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