12. August 2013

"Ich mag diese ganzen Bands aus Düsseldorf"

Interview geführt von

Campingplätze und Bühnen - ergo: besoffene Menschenmassen und musikalische Glanztaten liegen nicht nur auf dem Southside-Festival bekanntermaßen nah beieinander. Gerade noch rechtzeitig rette ich mich am Freitagnachmittag vom einen ins andere Extrem, um mit Kashmir auf der Blue Stage das Wochenende zu eröffnen.Und die Dänen enttäuschen nicht, wenn gleich die behutsamen Songs ihrer neuen Platte "E.A.R." zu späterer Stunde vermutlich noch ergreifender gewirkt hätten.

Für nach der Show bin ich mit Frontmann Kasper Eistrup verabredet. Kaum am großzügigen Backstage-Hangar angelangt, kommt der sympathische Sänger und Gitarrist schon mit zwei Bierflachen in der Hand entgegen. Bierbank und Abendsonne begleiten unser Gespräch über das neue Studioalbum, Festivalshows, die dänische Musikszene und die Suche nach dem inneren Frieden.

Hi Kasper, wie gehts? Konntest du die Show genießen?

Gut, danke. Absolut.

War sie nicht etwas zu kurz?

Oh, doch. Viel zu kurz. Und viel zu früh. Offiziell waren es ja nur 35 Minuten. Wir konnten den Stagemanager immerhin noch überzeugen, drei Minuten früher auf die Bühne zu gehen. Wenn man nur so wenig Zeit hat, zählt jede einzelne Sekunde. Aber ich denke, es war okay. In so kleinen Slots ist es eigentlich unmöglich, irgendeine Magie heraufzubeschwören. Trotzdem hat es mir gefallen, die Crowd war super.

Wenn ihr am Nachmittag auf Festivals ruhige Songs wie "Piece Of The Sun" oder "Blood Beech" spielt - fühlt es sich dann nicht manchmal so an, als seien die Leute viel zu betrunken dafür?

Kann sein. Das ist eine gute Frage. Wenn wir eine Show spielen, egal ob drin oder draußen, machen wir uns viele Gedanken über die Setlist. Immer wieder führt das dazu, dass du eine Setlist mit den größten Pophits zusammenstellst. Aber oft ist es viel wichtiger, auf die Songs zu beharren, die einen gewissen Vibe ausstrahlen. Da wir heute so früh gespielt haben, wurde gestern Abend natürlich darüber diskutiert. Aber wir haben uns dagegen entschieden, die Rock'n'Roll-Atmosphäre zu suchen. Und stattdessen daran gedacht, dass die Leute gerade anfangen zu trinken, vielleicht etwas sanfter drauf sind und einfach chillen wollen.

Lass uns über die neue Platte sprechen und mit einer recht simplen Frage beginnen: Was hat es mit dem Albumtitel "E.A.R." auf sich?

Das steht für "Eternally Amplified Restlessness". Der Prozess lief allerdings recht kryptisch, quasi rückwärts ab. Es hat mit einem Track angefangen, der ganz anders hieß. An den genauen Arbeitstitel kann ich mich nicht erinnern. Unser Bassist Mads hatte dafür Kinderstimmen gesamplet. Als ich das zum ersten Mal hörte, sagte ich: Das klingt, als riefen sie die ganze Zeit "E! A! R!". Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wirklich gerufen haben. Das wählten wir dann aber erst mal als Songtitel. "E.A.R." - wie "Ear". Wir wussten nicht, wofür das stehen soll. Später sampleten wir dann alle noch mal unsere Kinder. Ich habe eine dreijährige Tochter und habe einfach mein iPhone verwendet.

Ach, die Stimmen auf der Platte, das sind eure eigenen Kinder?

Ja, in der Tat. Wir haben alle Kinder, Henrik hat drei, Asger hat einen Sohn. Alle haben Söhne, nur ich habe eine Tochter. Wir haben sie dann noch mal gebeten, "E.A.R." zu rufen, um das erneut zu verwenden.

Und das Sample habt ihr nur mit einem iPhone aufgenommen?

Ja, die Qualität ist echt gar nicht schlecht. Wir haben für die Platte sogar recht viele iPhone-Aufnahmen verwendet. Jedenfalls mussten wir dann irgendwann das Album benennen. Das ist immer schwierig. Genauso schwierig, wie die Namenssuche bei Kindern. Weil du so viel Zeit damit verbringst. Wir haben bestimmt auch neun Monate mit diesem Baby verbracht. Im Endeffekt hat es so viele Gesichter - wie soll man das mit einem Titel unter einen Hut bringen?

Dann ging es so weit, dass wir ganz grundsätzlich gefragt haben: Was machen wir eigentlich als Band? Wir versuchen etwas zu kreieren, das den Menschen bzw. ihren Ohren gefallen soll. Das Ohr ist unser Ziel. Und wir hatten ja bereits diesen Song namens "E.A.R.". Dann kam eben die Idee, drei verschiedene Worte für diese drei Buchstaben zu finden. Wir waren schon immer ziemlich rastlos. Ich bin ein unruhiger Typ, mir wird schnell langweilig.

Henrik arbeitet beispielsweise an Filmmusik und komponiert für ein Symphonieorchester. Mads macht viel elektronische Musik. Ich stehe eher auf Gitarrenkrach. Und Asger ist ein sehr deutscher Drummer. Er hat diesen deutschen Vibe, den ich absolut liebe. Musik aus Deutschland ist sowieso einer meiner Haupteinflüsse, vor allem die ganzen Bands aus Düsseldorf. Neu!, La Düsseldorf, Can und diese ganzen Sachen. Aber wie du siehst: Wir haben grundverschiedene Charaktere in der Band. Aber diese Rastlosigkeit teilen wir alle. Daher der Titel "Eternally Amplified Restlessness".

"Ich bin großer Brian Eno-Fan"

Worin siehst du die größten Unterschiede zu euren Vorgängerwerken?

Der Mut, der uns auf dem ganzen Weg begleitet hat. Wir haben eine Menge musikalischer Dinge ausprobiert, die ich mir schon seit langer Zeit gewünscht hatte. Diesen Fokus auf das Instrumentale, das Atmosphärische - den gab es zuvor eigentlich nur ansatzweise auf "Zitilites" und auf der "Home Dead"-EP von 2001. Ich persönlich liebe Musik, die nicht nach einer Hookline oder nach dem großen Hit sucht. Ich bin auch großer Brian Eno-Fan.

Dabei finden sich auf "E.A.R." ja doch einige großartige Refrainmelodien, etwa in "Piece Of The Sun" oder "Seraphina".

Danke dir. Aber das war nie unser Ziel. Wir haben beschlossen, auf diesem Album zu tun und zu lassen, was immer wir wollen. Und in jegliche Richtung gehen zu können. Wir müssen niemanden bedienen, auch keine Radiosender. Dieses Mal geht es nur darum, wonach wir uns fühlen. Es sollte verspielt und voller Experimente sein. Die meisten Songs des Albums basieren auf Improvisation. Und wir haben die moderne Technik dabei voll ausgenutzt. Es ist auch schön, die ganze Zeit vor einem Gitarrenpedal oder Synthesizer zu sitzen. Du spielst herum und merkst: Oh, das klingt cool.

Ich sehe den Song als Pferd, das du reitest. Du kannst auf dem Pferd sitzen und die Richtung vorgeben. Du kannst dich aber auch einfach treiben lassen und dann mal sehen, in welche Richtung es geht. Es ist eine sehr interessante Erfahrung, mal nicht alles zu kontrollieren. Denn am Ende des Tages macht dir Musik so viele Geschenke. Wenn du dir zu viele Gedanken darüber machst, verliert sie ihre Seele.

Bei TV Noir hast du erzählt, dass euer einziges Konzept die Zahl zwölf war. Warum ausgerechnet die Zwölf?

Ich weiß nicht, ich mag sie einfach. Das hat 2011 angefangen, als 2012 bevor stand. Ich dachte: Warum beginnen wir mit der Arbeit nicht einfach im ersten von zwölf Monaten - und legen fest, dass zum Ende des Jahres zwölf Songs zu Buche stehen müssen? Ein Song pro Monat, das sollte doch nicht so schwierig sein. Dann ging es weiter mit diesem Konzept: Zwölf Instrumente, zwölf Spuren. Nicht mehr, nicht weniger. Okay, bei den Spuren hatte es auch etwas weniger sein dürfen, aber zwölf pro Song war das Maximum.

Ihr habt dann aber sicher trotzdem mehr als zwölf Tracks geschrieben, nehme ich an.

Ja, das haben wir. Ungefähr 22. Aber am Ende blieben dann erst mal automatisch zwölf Songs übrig. Das hat uns gefreut, dann haben wir wieder über das Konzept gesprochen. Der Arbeitstitel der Platte war "Piece 12". Anfangs wollten wir jeden Song so benennen: "Piece 1", "Piece 2", "Piece 3" und so weiter, um zu viel Farbe zu vermeiden. Denn wenn du einem Lied einen Namen gibst, färbst du es damit ja gewissermaßen, indem du in den Leuten eine gewisse Erwartungshaltung auslöst.

Aber es ist wohl der schönste Aspekt an Konzepten, dass sie am Ende nur sehr selten komplett passen. Und dass man sie dann zugunsten der Kreativität auch nicht komplett umsetzt. Denn unsere einzige Regel für dieses Album war, dass es keine Regeln gibt. Daher haben wir im Endeffekt beschlossen, das Konzept zu streichen und das Ganze einfach leben lassen.

Im Endeffekt gibts ja trotzdem Songs, die das Wort "Piece" direkt oder indirekt erhalten, etwa "Piece Of The Sun" oder "Peace In The Heart". Ich hatte mich schon darüber gewundert.

Ja, vom "Piece"-Ding ist ein wenig übrig geblieben. Aber in den Songs geht es weniger um den 'World Peace', sondern eher um das Erkunden des 'Inner Peace' - der für mich ein sehr schwieriges Thema darstellt. Wie gesagt, ich bin eine sehr unruhige Person, ich will immer rennen, essen, rauchen, ficken, trinken, was auch immer ... etwas machen. Ich denke, das ist die größte Herausforderung meines Lebens: Frieden zu finden. Mit allem, was eben passiert.

Ich habe bereits meine dritte Ehe hinter mir. Darauf müssen wir jetzt nicht genauer eingehen, aber ich habe eben diese sonderbare Art von Energie. Das muss jetzt kein ADHS sein, oder wie das heißt, aber diese kontinuierliche Energie war schon immer da. Auf "E.A.R." habe ich daher nach dem Frieden gesucht und wollte mir nicht zu viele Gedanken darüber machen, was andere Leute über uns denken oder von uns erwarten.

"Es bedeutet mir nicht besonders viel, ein Däne zu sein."

Wie hast du die Reaktionen danach erlebt? Ich habe schon mit mehreren Fans gesprochen, denen das Album nicht so gut gefällt.

Ja, aber was will man daran ändern? Du kannst Musik für andere Leute machen. Oder eben Musik, die deinen Geisteszustand aus deiner Sicht perfekt ausdrückt. Und alle Alben, die wir je gemacht haben, repräsentieren unsere aktuelle Gefühlslage zur jeweiligen Zeit. Natürlich enttäuschen wir immer wieder Fans. Du gewinnst welche hinzu, verlierst aber auch welche.

Natürlich möchte ich die Menschen glücklich machen. Aber immer mit meiner eigenen Vision. Es gab mal einen weisen Kerl, der sagte: Wenn du versuchst, die Leute mit deiner Kunst zu bedienen, wirst du sofort sterben. Wenn du ausdrückst, wonach auch immer dir gerade zumute ist, werden dir Leute ab einem gewissen Punkt folgen. Ich glaube, das ist die Wahrheit.

Nicht Wenige halten "E.A.R." für das relaxteste Kashmir-Album aller Zeiten. Was hältst du davon?

Ja, das stimmt.

Während eures Konzertes habe ich vorhin in der Menge wie gesagt mit ein paar Kashmir-Fans gesprochen. Einer hat mich gebeten, dich zu Fragen, warum ihr den alten Song "Ophelia" eigentlich nie live spielt.

Oh, das ist aber eine gute Frage.

Es gibt also keinen besonderen Grund?

Nein. Wir haben ihn lange Zeit auch immer wieder gespielt. Dieser Song bedeutet mir auch wirklich viel, er macht mich sehr glücklich. Aber manche Songs vergisst man einfach. Dafür gibt es keinen Grund. Du bewegst dich fort und andere Lieder nehmen den Platz ein. Wir wollen ja auch nicht immer die Sachen spielen, die alle Leute schon kennen. Sondern versuchen oft, ihnen neues Material vorzustellen.

Du warst dieses Jahr bei der beliebten deutschen Sendung TV Noir zu Gast. Wie hat es dir gefallen?

Sehr gut.

Trotz der teils bescheuerten Aufgaben, denen ihr euch stellen musstet?

(lacht) Manches war für meinen Geschmack tatsächlich ein wenig zu verrückt. Aber dieser Tex ist so ein toller Typ. Im September gehen wir auch als Duo auf TV Noir-Tour durch Deutschland.

Wie hat dir die Musik von Tim Neuhaus gefallen, der ebenfalls zu Gast war?

Zuerst muss ich sagen, dass das auch ein toller Kerl war. A sweet loving guy, very nice! Wir haben sehr gut harmoniert. Und seine Musik hat mir auch sehr gut gefallen. Tolle Band.

In Deutschland wundert man sich bis heute, dass es auch in der jüngeren Generation derart viele skandinavische Bands gibt, die internationalen Erfolg genießen. Hast du eine Erklärung parat?

Also erst mal bedeutet es mir nicht besonders viel, ein Däne zu sein. Dänemark ist für mich nur eine kleine Region dieses Planeten.

Dabei ziert deine Gitarre doch ein "DK"-Sticker.

Ja, aber den habe ich vom Gitarristen der Dead Kennedys gestohlen. Das hat daher gar nichts mit Dänemark zu tun. (lacht) Ich bin mit amerikanischem, englischem, schwedischem und deutschem Fernsehen, mit vielen verschiedenen Sprachen aufgewachsen. Viele Kinder sprechen bei uns schon Englisch bevor sie in die fünfte Klasse kommen.

Also ein sehr gebildetes Land.

Ja, ich denke schon. Nicht unbedingt wegen der Schulen, sondern wegen des Fernsehens. Außerdem ist Dänemark ein reiches Land. Wir kannten schon immer alle Bands, die man hier auch kannte. Pink Floyd, Neil Young, die ganzen Heavy Metal-Bands: Alle tourten auch durch Dänemark. Zudem gibt es gute Musikschulen. Schon ab der ersten Klasse können die Kinder nach der Schule kostenfreien Unterricht nehmen. Ich habe damals ein bisschen Schlagzeug gespielt.

Wobei man auch sagen muss, dass Dänemark lange Zeit kaum gute Bands hervorgebracht hat. Es wurde wirklich viel Scheiße veröffentlicht. Aber das hat sich gebessert. Es gibt ja diese Schmelztiegel, die über die Jahre immer wieder umziehen. Seattle, Los Angeles, London, Manchester, Stockholm ... ich glaube, vieles hat sich mittlerweile nach Kopenhagen bewegt. Wir haben wirklich eine starke Kultur.

Es gibt viele Musikfestivals, bestimmt 80 verschiedene über den Sommer verteilt. Auch viele Jazz-Festivals. Ich veranstalte mittlerweile sogar einen eigenen Event für junge Schülerbands. Das einzige Kriterium für die Bands: Sie müssen ihre eigenen Songs spielen. Du kannst nicht auf die Bühne kommen und covern. Das hat sich von 250 zu 5000 Zuschauern pro Jahr entwickelt. Eine schöne Sache.

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