9. Mai 2014
"Mit Platten kann man kein Geld verdienen"
Interview geführt von Simon LangemannDass Kid Simius der lange Schatten Marterias erst gar nie heimsuchte, hängt nicht nur mit seiner mangelnden Begeisterung für Hip Hop zusammen. Parallel zur Omnipräsenz in der Green Berlin-Entourage hat sich der aus Granada nach Berlin eingewanderte Producer spätestens mit "Wet Sounds" eine Identität als elektronischer Künstler geformt.
Die ausgedehnte "ZGIDZ II"-Tour ist fast vorbei, als die zwei Marteria-Nightliner Anfang April ein zweites Mal hinterm ausverkauften Kölner Palladium halten. Wo der MC sein fantastisches Album mit einer gut besuchten Konzertreise krönt, sitzt wie immer auch Kid Simius im Boot. Und das nicht nur als Keyboarder, Gitarrist und DJ der achtköpfigen Liveband, sondern auch als dauerhafter Supportact. Kurz bevor der Spanier den Abend eröffnet, treffen wir ihn backstage zum Gespräch über "Wet Sounds" und die Live-Problematik bei elektronischer Musik.
Auf der Marteria-Tour bist du als Supportact dabei. Wie läufts denn?
Total gut. Das Marteria-Publikum ist sehr dankbar und hat Bock, Party zu machen.
Du musst die Leute also nicht erst aufwärmen?
Nee, alles super. Bei mir geht es auch schon immer ab. Das ist manchmal sehr schwer, wenn man Supportact ist.
Für deine neue Platte "Wet Sounds" hast du dich bewusst für den Surf-Sound entschieden. Wie bist du dazu gekommen?
Es gibt eine russische Band namens Messer Chups. Die machen Surf-Musik. Die fand ich mit 18, 19 total geil. Dann habe ich einfach einen Beat in dem Stil gebastelt, der hieß "Surf'n'Bass". Irgendwann habe ich den mal auf meiner Festplatte gefunden und dachte: Hey, geil. Surf-Gitarren sind echt cool. Die Harmonien sind sehr spanisch, kommen vom Flamenco oder mexikanischer Folklore. Das fand ich total geil. Und zu elektronischer Musik passen die auch sehr gut, meiner Meinung nach. So kam die Idee.
Dann musstest du dir noch die Tremolo-Gitarre beibringen.
Ja, das war schwer. Am Anfang habe ich die Aufnahmen immer 10 Beats langsamer gemacht und versucht, täglich schneller zu werden. Irgendwann ging es. Aber es klappt nicht immer (lacht). Das habe ich noch nicht verstanden. An manchen Tagen denke ich: Yeah. Und manchmal bleibe ich einfach stehen. Für mich ist das sehr schwer. Aber es geht ja hauptsächlich um die Idee, nicht um die Technik.
Aber live klappt es immer?
Live klappt es. Glaube ich zumindest. Das ist das Gute an der Tremolo-Gitarre: Man hat immer sehr viel Hall drauf. Dadurch sind die Fehler manchmal nicht erkennbar.
"Wet Sounds" mag ich einerseits gerne, andererseits fällt es mir manchmal schwer, es mir zuhause anzuhören. Es artet doch oft in eine anstrengende Reizüberflutung aus.
(überlegt) Findest du?
Kannst du dir vorstellen, dass die Leute die Platte entspannt im Wohnzimmer auflegen?
Voll. Du hast ja das ruhige "Intro". Okay, danach geht "Matador" aufs Maul. Aber etwas leiser ist das auch sehr hörbar. Es ist ja keine Gabber-Platte oder so was, sondern trotz der schnellen Beats sehr musikalisch. Deswegen denke ich schon, dass man das auch zuhause hören kann. Zumindest ich. Aber okay, ich hör die Platte ja nicht (lacht).
Bedeutet dieser Surf-Sound für dich nur einen Ausflug oder könntest du dir vorstellen, mehr damit zu machen?
Ich finde den Sound richtig geil, noch langweilt er mich nicht. Ich glaube, er passt auch zu mir. Nicht nur als Künstler, sondern auch als Person. Diese Art von Harmonien, und auch diese Gitarren. Daher wird die Tremolo-Gitarre auf jeden Fall ab und zu wiederkehren.
Sie könnte also eine Art Kid Simius-Trademark werden.
Sollte sie. Denn das macht ja sonst keiner. Das ist jetzt mein Ding.
"Mit Platten kann man kein Geld verdienen. Außer mit 'Lila Wolken'".
Mein Lieblingstrack ist "Recorded In Hawaii". Ist der eigentlich wirklich in Hawaii entstanden?
Nein, den habe ich in mal Granada gemacht. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich da so wohl gefühlt, dass ich dachte: Granada ist mein Hawaii. Das ist zwar auch meine Heimat, trotzdem ist es für mich dort immer wie im Urlaub.
Aber die Wellen im Intro sind schon echt gesamplet, oder?
Nee, die habe ich selber gemacht. Da habe ich einfach eine Noise-Welle genommen und rauf und runter gefiltert. Das sind quasi echte synthetische Wellen.
Wird es in dem Stil noch mehr zu hören geben?
Klar, ich mache zwar oft harte Beats. Aber ich glaube, als elektronischer Künstler definieren mich eher die Harmonien. Da stehe ich total drauf.
Wie oft bist du denn derzeit in Granada?
Leider nur zweimal im Jahr. Eigentlich sollte ich da viel öfter hin.
Kannst du dir auch vorstellen, mal ganz zurückzuziehen?
Ja, auf jeden Fall. Oder irgendwohin auswandern. Südamerika oder so was. Berlin ist total geil, aber manchmal braucht man auch Veränderung. Ich bin in den letzten fünf Jahren sechsmal umgezogen. Weil ich einfach relativ oft Bock auf was Neues habe. Man braucht viel Input, damit man auch Output bekommt. Vor zwei Tagen hatte ich schon wieder Bock, woanders zu wohnen. Aber vielleicht war das auch nur ein kurzer Film.
Du hast dich von all den Reizen also nie überfordert gefühlt?
Nee, man ist ja mittlerweile auch erwachsen genug, um selbst zu entscheiden, was man machen will.
Von Tua hört man öfters in Interviews, dass er morgens um acht Uhr aufsteht und dann relativ direkt in seinen kleinen Studioraum fährt. Hast du eine ähnlich disziplinierte Arbeitsweise?
Tua hat sein Studio ja in der selben Etage wie ich. Der ist auf jeden Fall oft sehr früh da. Mein Arbeitsmodus ist dagegen viel chaotischer. Ich mache auch gerne nachts Musik. Oder einfach vom einen Morgen bis zum nächsten. Ich finde es voll geil, bis sechs Uhr Mucke zu machen, dann drei Stunden zu pennen, und wieder weiterzumachen. Klar versuche ich auch, früh da zu sein, dann ist man natürlich frischer. Aber in der Nacht kommen manchmal die besten Ideen. Oder manchmal hast du die ganze Nacht gearbeitet, stehst wieder auf, hörst dir deine Sachen an und denkst: Oh, Gott (lacht).
Du hast an der Berliner Universität der Künste "Sound Studies" studiert. Warum hast du das eigentlich abgebrochen?
Weil die diesen beschissenen Bologna-Plan hatten: Du musst zum Unterricht gehen, um die Klausuren schreiben zu dürfen. Ich war immer unterwegs und irgendwann hat es sich nicht mehr gelohnt. Ich habe da zwar ganz viel gelernt, aber irgendwann dachte ich: Wenn man solche Sachen lernen will, sollte man sie am besten einfach machen, anstatt zur Uni zu gehen. Denn ich will ja kein Arzt sein. Ohne Medizinstudium kannst du kein Arzt werden, das ist unmöglich. Aber um Künstler zu sein oder Musik zu machen, brauchst du keine Lizenz. Da kannst du selber entscheiden, was du lernen willst und was nicht.
Und mittlerweile lebst du von der Musik?
Ja.
Aber wahrscheinlich hauptsächlich vom live spielen.
Klar. Ich bin halt die ganze Zeit unterwegs. Mit Platten kann man kein Geld verdienen. Okay, damals bei "Lila Wolken" ein bisschen. Aber egal. Hauptsache, man ist glücklich. Und ich will auf jeden Fall weitermachen.
"Die Leute dürfen ruhig saufen und Weiber klarmachen."
Bei elektronischen Liveacts lässt sich oft schwer nachvollziehen, was auf der Bühne eigentlich passiert. Wie löst du dieses Problem, abgesehen von der live gespielten Gitarre?
Man hat halt keine Regeln, wie man die Musik live zu präsentieren hat - und dadurch alle Freiheiten. Es ist nicht wie bei einer Rockband, wo man einen Gitarristen und einen Drummer braucht. Aber es ist ein optisches Problem. Wenn du eine Gitarre anschlägst, erkennt das Publikum sofort, woher der Sound kommt. Aber bei der elektronischen Musik lässt sich das viel schwerer nachvollziehen. Das ist einerseits geil, weil man mysteriös bleibt. Andererseits fände ich es richtig geil, wenn die Leute genau erkennen, was ich da mache. Das ist mein großes Ziel für die Livesets: diese optische Verbindung.
Wie empfindest du es denn bei Auftritten in jenen Locations, die eher Tanz- als Konzertclubs darstellen? Hören die Leute da überhaupt zu oder lassen sie sich eher volllaufen?
Bei mir ist das eine Art Hybrid. Wenn die Leute besoffen sind, heißt das zwar nicht, dass sie sich die Musik nicht anhören. Aber natürlich, wenn man wie ein DJ im Club spielt, hat man eine gewisse Anzahl an Leuten, die nur saufen und Weiber ficken wollen. Andererseits gibt es aber auch die Fans oder die Leute, die die Musik unbedingt hören wollen. Ich bin da quasi ein Hybrid aus DJ und Liveact. Die Leute sollen ruhig machen, was sie wollen. Wenn die Leute saufen und Weiber klarmachen wollen, finde ich das total cool. Der Hörer darf machen, was er will.
Was läuft bei dir derzeit eigentlich privat für Musik?
Ich habe mir letztens das Todd Terje-Album gekauft. Richtig geil, das passt alles so gut zusammen. Bis zum Design. Surf-Musik höre ich auch immer wieder. Burial hat außerdem eine neue EP rausgebracht. Ich kann dir genau sagen, was ich mir neulich bei iTunes gekauft habe (zückt sein iPhone): Die neue Platte von Laurent Garnier. Ein paar Lieder von Otto von Schirach. Dann Terror Danjah, von Hyperdub. Das ist das Label aus England, das Dubstep quasi erfunden hat. Einen Song von Metronomy. WhoMadeWho. Und David Bowie – "The Rise And Fall Of Ziggy Stardust". Das hatte ich zwar auf DVD, aber noch nicht digital.
Gibst du dir denn Mühe, dich von anderen Künstler nicht zu sehr beeinflussen zu lassen?
Ich glaube, Strawinsky hat mal gesagt: Künstler lassen sich von anderen Künstlern beeinflussen, ohne direkt zu klauen. Dieses Surf-Ding fand ich schon geil. Ich höre einfach gerne Musik und natürlich lässt man sich gewissermaßen beeinflussen. Wenn ich nie im Leben Musik gehört hätte, wäre es auch unmöglich, Musik zu machen. Aber ich versuche auf jeden Fall, mich eher von jenen Sachen beeinflussen zu lassen, die gar nichts mit dem zu tun haben, was ich selbst mache. Wie etwa Surf-Musik, Flamenco, Cumbia – als elektronischer Künstler. Das ist, glaube ich, das Wichtigste.
Hörst du eigentlich noch Techno? Gerade die Dance-Tracks haben mir auf "El Clásico" besonders gut gefallen.
Ich bewege mich derzeit tatsächlich in anderen Geschwindigkeiten. Ich mag diese schnellen Beats.
Und wie siehts mit Hip Hop aus? Immerhin spielst du bei einem der wichtigsten deutschen Rapper in der Band.
(lacht) Das höre ich privat tatsächlich gar nicht. Hin und wieder die Sachen von Ninja Tune und Warp Records, wie Anti-Pop Consortium oder Kid Koala. Achtziger- und Neunziger-Beats gibt es eh überall, auch auf der Laurent Garnier-Platte. Wenn das Hip Hop ist, höre ich tatsächlich Hip Hop. Aber was ich sehr wenig höre, ist Rap.
1 Kommentar
Freut mich für ihn, dass er mit "In The Summertime" kein One Hit Wonder geblieben ist.