7. April 2004
Allein unter Illuminaten
Interview geführt von Mathias MöllerEntsprechender Trubel herrscht auch vor und während dem Interview-Termin. Natürlich steigen N.E.R.D. in einem nagelneuen Hotel am Potsdamer Platz ab. Der beschlipste Herr an der Rezeption grinst ein wenig dümmlich, als ich ihm das Passwort zuraune. Sicherheitsstufe Eins für den Frauenscharm. Die Ernüchterung folgt oben in der unverschämt großen Suite: Zuerst gibt es nur ein paar Vorabschnipsel des neuen Albums (das Gespräch fand vor der Veröffentlichung von "Fly Or Die" statt), und dann ist Mr. Supersexy gar nicht da. Shay räkelt sich auf einem Stuhl, von Chad oder gar Pharell keine Spur. Der gesellt sich erst später hinzu, nachdem Shay versichert hat, der größte Unterschied zwischen N.E.R.D. und den Neptunes sei, dass er immer noch mit dem Rad fahre, während Pharell diverse Straßenkreuzer besitze.
Wo ist Chad?
Shay: Chad ist in New York und mixt und mastert "Fly or Die", unser neues Album. Leider kann er nicht hier sein. Er kommt wohl auch nicht zum Konzert. Wir stehen im Moment ziemlich unter Druck. Sie wollen unser Album. Und irgendjemand muss halt die Verpflichtungen einhalten.
Habt ihr auf eurem Album alle Instrumente live eingespielt?
Shay: Ja, das haben wir!
Wer hat euch unterstützt? Waren Spymob mit euch im Studio?
Shay: Nein, das waren nur wir. Chad und Pharell haben die ganzen Instrumente gespielt.
Pharell betritt den Raum
Wer macht eigentlich was bei euch?
Pharell: Das funktioniert so. Wir haben eine Idee. Ich spiele dann ein paar Akkorde. Dann spielen wir das Ganze auf einem Synthesizer. Erst danach fangen wir an zu schreiben. Ich spiele dann Drums, das Klavier. Chad spielt auch Tasteninstrumente, Gitarre und Bass. Wir spielen keine Jamsessions und nehmen dann einen Take. Produzieren und spielen gehen bei uns Hand in Hand.
Stimmt es, dass du ein Tonstudio in einem deiner Autos hast? So dass du auch unterwegs was aufnehmen und Chad und Shay dann deine Ideen schicken kannst?
Pharell: Ja.
Im Internet kursieren ja Gerüchte, die besagen, dass Gäste auf dem neuen Album zu hören sind. Auf einem der Tracks scheint sich Lenny Kravitz zu verstecken.
Pharell: Rätst du das?
Ja.
Pharell: Du solltest Lotto spielen! Aber deine Frage kann ich nicht beantworten. Sieht das Klavier, dass in der Lounge steht Ich muss mich echt zusammenreißen, dass ich da jetzt nicht rübergehe und anfange zu spielen. Hey, das hätte mein Zimmer sein sollen!
Wie würdet ihr den Fortschritt von "In Search Of ..." und "Fly Or Die" beschreiben?
Pharell: "In Search Of ..." war sehr verträumt. Vom Gefühl her war es sehr melodiös und verträumt. Dieses Album hingegen ist viel gitarrenlastiger. Es hat dieses Rockelement, es ist fast psychedelisch.
Sind alle Tracks auf dem Album so?
Pharell: Ja. Sie sprechen zu dir. Sie kommen unterschiedlich aus den Boxen. Es gibt euch einen völlig anderen Blickwinkel auf die Musik.
Shay: Echt!
Pharell: Ich beschreibe das so: stellt euch vor, die schwarzen Tasten auf dem Klavier kommen aus der linken Box und die weißen Tasten aus der rechten. Das werdet ihr hören! We're not fucking around with this album! This album is serious!
Ihr versteckt eure besten Ideen also.
Pharell: Genau! Das ist unser Meisterwerk.
Ihr produziert ja so viel. Hebt ihr euch die besten Einfälle für eure eigenen Alben auf?
Pharell: Lustig dass du das sagst. Genau so mache ich es. Das habe ich mit dem Clipse-Album so gemacht. Sie bekamen unsere besten Beats. Genau so wird es bei Vanessa Marquez sein, unserer Latina-Sängerin.
"Fly Or Die" hat ja recht wenige straighte Hip Hop-Beats. Würdet ihr sagen, N.E.R.D. haben überhaupt noch was mit Hip Hop zu tun?
Shay: N.E.R.D. entwickelt sich weiter. Wir sind immer noch riesige Hip Hop-Fans, aber gleichzeitig mögen wir auch andere Genres sehr gern. Wir halten uns nicht vom Hip Hop fern. Es ist in uns eingebettet.
Pharell: Ich denke, das Album hat eine Hip Hop-Perspektive, nur halt nicht so dieses Hip Hop-Gefühl. Was meinst du Shay, hat es Hip Hop-Feel?
Shay: Nein! "In Search Of ..." hatte diesen Hip Hop-Feel.
Pharell: Nein. Man konnte sehen, wo wir herkommen, wenn man "Lapdance" oder "Rockstar" gehört hat. Aber dieses Album ist eine Kehrtwende. Wir sind an die Platte mit einer Hip Hop-Einstellung herangegangen, aber so hört es sich nicht an.
Die neuen Tracks klingen so farbig, teilweise fast wie ein Musical.
Pharell: Das tut gut, dich das sagen zu hören.
Gibt es einen roten Faden, eine Geschichte, die sich durch das Album zieht?
Pharell: Ja, das Album ist sehr farbig. Das ist das, was wir wollten. Das war das Wichtigste für uns.
Die Atmosphäre der neuen Tracks erinnerte mich an einen Jazzclub ...
Pharell: Wow!
... wo die Leute Zigarre rauchen und den groovenden Bassspieler anschauen. Wollt ihr solche Bilder erzeugen?
Shay: Nein, wenn wir ins Studio gehen, dann haben wir so was nicht im Kopf.
Pharell: Darum klingen wir so gut.
Shay: Es soll beim Hörer ein Gefühl erzeugen.
Pharell: Dieses Album soll Leute mit verschiedenen Ansichten über die Musik zusammenbringen. "In Search Of ..." war sehr direkt, auch in den Texten. "Fly Or Die" hingegen ist sehr subtil und metaphorisch. Es gibt einen Song auf dem Album, der hört sich auf der einen Seite an wie ein Drogentrip, und auf der anderen Seite wie ein Nachkriegsszenario. Du musst rausfinden, welcher das ist.
Gibt es manche Projekte, die euch mehr bedeuten, und andere weniger? Oder gebt ihr immer gleich viel von euch?
Pharell: Die Ernsthaftigkeit ist immer gleich tief, aber es gibt Unterschiede. Es ist wie mit einem Juwelier. Er gibt sein bestes Material her, denn das verschafft ihm Arbeit. Aber gleichzeitig hebt er seine besten Diamanten für seine eigene Frau auf. Wir hauen keinen Scheiß raus.
Wer ist eure Frau? N.E.R.D. sind ja wohl die besten Diamanten.
Pharell: Naja, eigentlich ist N.E.R.D. wie ein Baby für uns. Denn sie entwickelt sich.
Was denkt ihr, wenn ihr seht, dass Acts, die ihr produziert, viel erfolgreicher sind als eure eigenen Projekte?
Pharell: N.E.R.D. ist ja viel gewagter. Und es heißt ja: it takes a village to raise a kid! Nicht nur die Eltern. Also obwohl N.E.R.D. von uns gemacht ist, brauchten wir das Radio, wir brauchten MTV. Das war damals ein bisschen zu verrückt für die. Und das neue Album ist immer noch herausfordernd, aber ihr kennt uns mittlerweile. Also vertraut ihr uns. Trotzdem wird das nächste Album sicher genau so schwer sein wie das Erste. Wir verändern uns ja immer, treiben uns immer an.
Welcher Song ist euer Lieblingssong auf dem neuen Album?
Pharell: Meiner ist "Sweet Chariot Of Fire" stockt Es handelt von einem unserer Fans. Sie hat Krebs. stockt wieder
Shay: Sie steht uns nahe. Immer wenn wir in ihrer Nähe auftreten, ist sie da. Sie hat sich mit Pharell unterhalten, und sie erzählte ihm von ihrer Krankheit. Aber sie wollte nicht, das irgendjemand es erfährt. Das wusste Pharell aber nicht. Also hat er es in einem Interview erwähnt. Sie war natürlich sauer und rief uns an. Es ginge ihr nicht darum, Mitleid zu erregen, sagte sie. Da hat er ihr erklärt, dass sie ihren Eltern und denen die ihr nahe stehen, von dieser ernsten Erkrankung erzählen müsse. Damit sie keine Zeit verschwenden. Es geht ihr jetzt gut. Sie ist in Rehabilitation und hat wirklich Glück gehabt. Aber in dem Song geht es hauptsächlich um die Unterhaltung zwischen den Beiden.
Ist eure Herkunft aus Virginia wichtig? Was ist so besonders an Virginia?
Pharell: Vielleicht, dass es so normal ist. Wir sind dort nie mit irgendeiner Avant-Garde in Berührung gekommen. Nichts, was irgendwie besonders wäre. Siehst du, es gibt keine feststellbare besondere Identität. Unsere Identität ist die Normalität.
Aber ihr macht trotzdem Avantgarde-Musik!
Pharell: We gotta shake it up a little bit!
Manche Leute halten dich für exzentrisch, Pharell.
Pharell: Das stimmt, aber ich verstehe nicht warum.
Vielleicht liegt es daran, dass ihr Hip Hop-Musik macht, aber auch nicht dafür zurückschreckt, richtige Rockmusik zu produzieren. Und das als Afroamerikaner? In den USA wird das doch als exzentrisch ausgelegt.
Pharell: Ich sehe, dass Leute das finden. Aber wenn man darüber nachdenkt, dann hat Rock'n'Roll ja auch mit Afroamerikanern angefangen. Little Richard sagte, er hat es angefangen. Und dann ist da dieser Typ, der behauptete, er hätte seine Seele an den Teufel verkauft. Wie hieß der doch gleich?
Robert Johnson, der Bluessänger.
Pharell: Ja, da hat es wirklich angefangen. Er hatte diese Rock'n'Roll-Attitüde, und alle, die folgten, sahen zu ihm auf.
Ihr holt Rock'n'Roll also von Elvis zurück.
Pharell: Hell, no! Musik ist Musik. Wir könnten auch darüber streiten, wer zuerst Gospel gesungen hat. Dinge werden irgendwo geboren, aber da bleiben sie nicht stehen. Sie bleiben unwichtig, wenn sie sich nicht entwickeln. Ich sehe das nicht so: Rock'n'Roll gehört mir, weil ich ein Schwarzer bin. Das wäre doch ignorant. Wichtig ist, dass es gehört wird. Sonst wird es vergessen. Das ist, was zählt. Die wirkliche Bestimmung von Musik ist, andere Leute sie spüren zu lassen. Darum geht es N.E.R.D. Wir wollen, dass die Leute rumsitzen und unseren Scheiß spüren. Es soll sie erheben.
Zurück zur Exzentrizität. Manche Leute sehen dich als Fashion-Ikone.
Pharell: That's Bullshit. Period. Ich kümmere mich nicht um solchen Scheiß.
Shay, was machst du eigentlich auf der Platte? Du scheinst immer ein bisschen im Hintergrund zu stehen.
Shay: Ich habe gesungen. Allerdings habe ich nichts geschrieben.
Es ist manchmal sehr schwer, eure Stimmen auseinanderzuhalten.
Pharell: Er hat sich aber sehr weiterentwickelt. Früher hast du dich genauso angehört wie ich!
Shay: Fuck no! Ich war so schwach. Ich konnte mich nicht hören. Ich hörte mich so schrecklich an.
Pharell: Dieses Album ist genau zu 33% von uns Dreien. Jeder hat einen gleich großen Beitrag geleistet. Hast du schon mal was vom 33. Grad gehört? Nein? Ok, dann halte ich meine Klappe.
Du meinst Freimaurer?
Pharell: Ja, die Illuminaten! Ich lese viele Bücher darüber. Es fasziniert mich total. Ich glaube, dass vieles davon wahr ist. Weißt du, der Grund warum sie so mächtig sind, ist, dass sie die am besten organisierte Interessengruppierung der Welt sind. Seit Anbeginn der Zeit. Man sieht ihre Zeichen überall. Irgendwann fängt man an, die versteckten Nachrichten zu verstehen. Zum Beispiel auf unseren Dollarnoten. Fast alle unserer Präsidenten sind Freimaurer gewesen. Da Vinci war einer von ihnen. Boticelli und Isaac Newton. Einstein ist wahrscheinlich die einzige historisch relevante Person, die kein Freimaurer war.
Wo sind die Freimaurer im Musikbiz? Machen sie Musik oder sind sie bei den Plattenfirmen?
Pharell: Sie sitzen noch über den Chefetagen. In Deutschland sind sie wirklich stark vertreten. Du musst doch schon davon gehört haben. Sie tun dir nichts, aber sie treffen wichtige Entscheidungen, zum Beispiel über Krieg und Frieden. Damit verdienen sie dann Geld. Sie haben ein ausgeklügeltes System von Beziehungen. Zum Beispiel haben sie das monetäre System erfunden und den Tauschhandel damit abgeschafft. Und diese unterschwelligen Nachrichten, mit denen sie kommunizieren, davon habe ich gelernt. Ich baue dieses sublime Element in meine Lyrics ein. Wir haben viele versteckte Nachrichten. Zum Beispiel heißen wir N.E.R.D., aber eigentlich heißt es No one Ever Really Dies.
Wie können wir dann diese Nachrichten entschlüsseln?
Pharell: Du musst dich hinsetzen und drüber nachdenken. Darum haben wird das Gehirn auf unserem Cover. Wir bringen noch viele Produktionen raus dieses Jahr. Aber nicht unter unserem Namen, auch nicht als Neptunes. Wir werden sie unter verschiedenen Namen rausbringen, aber die verrate ich nicht. Wir produzieren gern, aber wir sind nicht auf die Lorbeeren aus. Wir wollen nicht, dass man uns wegen etwas anderem als N.E.R.D. wahrnimmt. Wenn dann im Booklet komische Namen auftauchen, dann weißt du: da sind sie wieder!
Was sind die irrsinnigsten Gerüchte, die über euch im Umlauf sind?
Shay: Dass ich einmal einen Cop mit Kung Fu flachgelegt haben soll. Das war ziemlich lustig. Dabei kann ich gar kein Kung Fu.
Pharell: Bei mir geht es natürlich um die Frauen. Irgendjemand sieht mich mit einer Frau, mit der ich ausgehe, und dann denken sie, wir sind zusammen. Was, wenn sie einen Freund hat? Das ist doch scheiße. Aber das passiert viel. Ich muss vorsichtig sein, mit wem ich mich umgebe.
Du hast mal gesagt, dass du One-Night-Stands hasst. Deshalb hättest du eine Freundin in jeder Stadt.
Pharell: während Shay lacht Dieses Gerücht kannte ich noch nicht. Das ist ja völlig bekloppt. Was für ein Mädchen wäre das denn, die nur für dich da ist, wenn du in ihrer Stadt bist? Die hätte bestimmt zwanzig solcher Freunde. No Thanks! Wenn sie nicht so wäre, müsste ich sie ja regelmäßig anrufen. Sagen wir mal die größten Städte der Welt, das wären dann so ungefähr 42 Städte mit 42 Mädels. Dafür habe ich doch gar keine Zeit. Nein, ich habe zwei Freundinnen, manchmal drei. Sie treffen mich hier und da, oder ich telefoniere mit ihnen. Ich mag keine One-Night-Stands, das stimmt, aber das heißt nicht, das ich keine habe.
Das Interview führte Mathias Möller
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