PLATZ 28: "Tonight" (1984)
Ein Jahr nach dem Mainstream-Erfolg mit "Let's Dance" klingt David Bowie komplett ausgebrannt und ideenlos. Einzig der Opener "Loving The Alien", dessen gallenbitterer Text im krassen Gegensatz zur klinisch reinen Produktion steht, sticht hervor. Den größten Teil des Longplayers nehmen schauderhafte Cover-Versionen ein. Den Beach Boys-Klassiker "God Only Knows" lässt Bowie im schleimigen Achtziger-Kitsch versinken. Die Tracks von Iggy Pop, der in "Dancing With The Big Boys" selbst zum Mikro greift, müssen sogar gleich zweimal dran glauben: "Neighbourhood Threat" verkommt zu einem Bon Jovi-Rocker, die Junkie-Ballade "Tonight" verweichlicht im Duett mit Tina Turner zu einem Sunshine Reggae. Manch einer zieht bis heute die Berechtigung für dieses Ungetüm von Platte aus dem Fakt, dass Bowie mit den Tantiemen seinem Freund Osterberg aus der Pleite geholfen hat. Aber hätten da "China Girl" und ein dicker Scheck nicht gereicht?
Anspieltipp:
"Loving The Alien" und "Dancing With The Big Boys".
Besser weiträumig umfahren:
Den Rest.
1 Kommentar mit 5 Antworten
ha! das hat der rotzmeister sich so gedacht (oder ist's der don?). "tonight" - und der ganze 80er-bowie - ist analo miles davis viel besser als sein ruf.
ich trete eurer herrschenden lehre entgegen und vertrete das minderheitenvotum:
Bowies Samariter-Album mit Tantiemen für Iggy Pop und Tina Turner. Diverse Iggy-Tracks und die Backing-Vocals Turners auf dem Titelstück garantieren leider nicht das nach "Let's Dance" erwartete Überalbum. Dennoch spielt die Platte zwischendurch groß auf. Denn mit dem sexy Powerpop "Blue Jean" (auch geil als 15 min film) und dem brillanten Epos "Loving The Alien" hält es immerhin zwei ewige zierden parat. Letzteres erstrahlt knapp 20 Jahre später auf der "Reality Tour" in einem ebenso zurückgenommenen wie akustischen Mantel durchdrindender Melancholie.
Ich mag ja auch gern auf Opposition gehen, nur bei den 80iger Jahren und Bowie nee. Die 80iger waren meine Pubertät bezogen auf Musik. Und bei aller Liebe, Bowie war ausgebrannt damals. Das man sich wieder aufladen muss, wenn man die Kerze an beiden Enden anzündet geht auch einher mit z.b. der Unterstützung von Iggy. Freunden etwas gutes tun, das lädt auf durchaus. Auch die Entstehung von „Under Presure“ ist ein gutes Beispiel für die Kreativ-leere die nicht nur Bowie mit „Under Presure“ damals bekämpfte. Queen war auch am Ende, siehe das bescheidene „Hot Space Album“. Dazu ein paar Interview Fetzen sowohl von Bowie wie von Queen. Da wären dieses merkwürdige Zusammentreffen von Queen und Bowie in Montreux und der spontanen Zusammenarbeit. Zwei Alphatiere die sich im Studio nicht richtig einig wurden. Deshalb ist Under Presure so gut geworden (die B-Seite der Single Soul Brother war besser), wie es geworden ist. Allein und ohne Freddie als Gegenüber, hätten beide nie was gescheites zustande gebracht. Gerade das (leider) kommerziell so erfolgreiche „Let`s Dance“ und hier „Tonight“ waren echte Gurken.
Ein bisschen erinnerst du auch gerade an unseren guten „Popper - Diskurs“ im Duran Duran Meilenstein Thread. Ich kann einfach nicht erkennen, wie diese „Weichspülmucke“ nur weil sie in deine und meine „Fanzeit“ fiel, heute wo die Helden von damals langsam alle abdanken irgendwie besser geworden ist. Ein romantisch verklärtes Zurückblicken vermute ich dahinter. Meine Frau findet Smokie immer noch toll, obwohl sie heute zugibt das es echte „Brechreizmucke“ war. Nun gut meine Frau ist kein Musikredakteur, die muss nicht auf Teufel komm raus alles historisch belegen.
verstehe, was du meinst. an der ausgebrannt-these mag etwas sein. zumindest in teilen.
ich glaube jedoch, dass gut gemachter poprock und aor als kunstform ganz allgemein komplett zu unrecht unterschätzt werden. und die 80er bieten hier viel gutes, (welches aus der zeit heraus betrachtet) eben keine brechreizmucke bedeutet. bowies blue jean, russ ballard, blue öyster cults 1981er platte mit "joan crawford" oder auch genesis' hinwendung zum pop (um nur ein paar beispiele zu nennen), halte ich für große kunst. es ist total schwer so etwas eingängiges gut und ästhetisch zu machen. wie es nicht geht zeigen heute unheilig, fischer, schiller und co.
das hat aus meiner sicht durchaus sein eigenes genretreppchen in der musikgeschichte verdient.
Kot bleibt Kot, auch wenn man in besonders ausgefeilten Kringeln kackt.
Danke Santi besser kann man es nicht beschreiben. Allerdings kann ich dem Anwalt nur in Teilen recht geben, nur weil etwas als kommerziel ganz große Kunst von damaligen Musikredakteuren plakatiert (verkauft) wurde, muss es heute nicht auch noch Rechtfertigung finden bei etwas mehr wissenden Redakteuren. Den Anspruch den du selber aufstellst, entlarvt diese Mucke als Grütze, gerade in der historisch korrekten Einordnung. Das man den Anspruch den man stellt ganz hinten anstellt macht die Sache auch nicht runder.
Die 80iger ansich waren Populär musikalisch mehr ein Rückschritt und die "Poppermucke" ganz besonders. Nicht falsch verstehen bitte, Geld zu verdienen ist legitim. Aber Musik nur zu machen um damit Geld zu verdienen und uns das als Kunst zu verkaufen halte ich für Vollassi bzw. dem kann ich nichts abgewinnen.
sauberer dissens. finde ich gut. und mir ist durchaus klar, dass ich mit dieser ansicht weitgehend allein stehe (kollege johannesberg sieht das wohl in etwa ähnlich wie ich).
und was andere kollegen vor 30 jahren dazu schrieben, meinte ich nicht als maßstab. eher ob man die möglichkeiten seiner zeit qualitativ nutzt.
insofern halte ich den alten juristengrundsatz
"es kommt immer auf den einzelfall an!"
auch in der musik für zielführend.
deshalb stehe ich besonders auf künstler, die über jahrzehnte beides beherrschen; dekonstruktion einerseits und eingängige unterhaltung andererseits (walker, reed, cale, bowie, gabriel etc)