Joe Hagan: Sticky Fingers
Worum geht's?
Ganz ehrlich: Ohne Jann Wenner und sein Magazin Rolling Stone hätten Musikjournalismus und auch populäre Musik einen anderen Weg eingeschlagen als den, den wir kennen. Ohne Wenner letztlich kein laut.de, weshalb wir ihm zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sind. Zumindest in der Redaktion. Ansonsten lässt diese umfangreiche Biographie kaum ein gutes Haar am Gründer und Chefredakteur einer der einflussreichsten Zeitschriften seit Ende der 1960er Jahre. Der Mann, der Popmusik in einen größeren Kontext einbettete und aus Superstars Menschen aus Fleisch und Blut machte, ist hier ein selbstsüchtiger, charmanter wie manipulativer, durchtriebener und ehrgeiziger Rockbesessener, der lange seine Homosexualität geheim hielt.
Für seinen Erfolg und den seines Magazins war ihm jedes Mittel recht. 1970 gelang es ihm, John Lennon erst Tränen der Rührung beim gemeinsamen Besuch der Beatles-Doku "Let It Be" zu entlocken, dann Blitze des Zorns, als er entgegen einer Abmachung das später entstandene Interview als Buch veröffentlichte. Lennon sprach nie wieder ein Wort mit ihm. 2015 schickte Wenner Schauspieler Sean Penn nach Mexiko, um Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán zu interviewen. Dazwischen entdeckte er die Fotografin Annie Leibovitz und machte sie, wie auch den Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson, zum Superstar. Selbst wurde er zum Strippenzieher und Multimillionär.
Wer hat's geschrieben?
Joe Hagan sollte es endlich richten: Eine Biographie schreiben, die Wenner in ein gutes Licht rückt, nachdem schon zwei Autoren vor ihn ein mieses Bild zeichneten. Von ihm selbst erwählt, gewährte Wenner Hagan über 100 Stunden Interviews und ermöglichte ihm den Zugang zu Stars wie Mick Jagger, Bob Dylan, Paul McCartney oder Bruce Springsteen. Insgesamt sprach Hagan mit 250 Personen. Das Ergebnis nach vier Jahren Arbeit: Nicht die erwünschte Hagiographie, sondern schlechtes Licht Teil drei, auf mehr als 600 Seiten verteilt.
Wer soll's lesen?
Das Buch präsentiert eine solche Fülle an Zitaten und Fakten, dass die Lesbarkeit oft den Kürzeren zieht. Der Name des Magazins fällt zum ersten Mal auf Seite 109. Dennoch eine Pflichtlektüre für Leser, die sich für das Showbusiness interessieren, mit Betonung auf Business. Wem das Buch zu dick ist, findet die wesentlichen Informationen bereits im 21-seitigen Prolog.
Das beste Zitat:
(von Yoko Ono) "'Er hat sich für das Geld und gegen die Freundschaft entschieden.' Für den jungen Verleger war es ein einschneidender Moment. Und im gleichen Augenblick war sein Verhalten in jeder Hinsicht typisch für ihn."
Wertung: 3/5. Text von Giuliano Benassi
Joe Hagan, Sticky Fingers: Wie Jann Wenner und der Rolling Stone Musikgeschichte geschrieben haben, Rowohlt, gebunden, 672 Seiten, 28 Euro
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