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Mary Lou Williams - "Black Christ Of The Andes"

Krass, wie leicht dem kollektiven Gedächtnis Namen entfallen, gerade wenn es sich um die Schwarzer Frauen handelt: Mary Lou Williams, anyone? Ihr Name sollte eigentlich riesige Glocken zum Klingen bringen. Sie gehörte einmal zu den größten Künstlerinnen im Jazz, und doch ist sie heute beinahe vergessen. Dabei lieferte sie mit "Black Christ Of The Andes" eins der spannendsten Alben des Jahres 1964 ab, und natürlich fühlten sich Realkeeper gleich mehrerer Lager davon empfindlich auf die breiten Schlipse getreten.

Mitte der 50er Jahre blickt Williams bereits auf eine vier Dekaden umspannende Karriere zurück. Sie spielt professionell Klavier, seit sie sechs oder sieben Jahre alt ist, und hat sich mit den Jahren zu einer anerkannten Vertreterin ihrer Zunft und damit einer Wegbereiterin für Frauen im Jazz hochgearbeitet. Irgendwann sind die Tanks aber leer, sie braucht eine Auszeit. Williams zieht sich zurück, um wieder zu Atem zu kommen. Mehrere Jahre bleibt sie der Öffentlichkeit fern und findet währenddessen zum Katholizismus. Ohje.

Das Werk, mit dem sie sich auf der Bildfläche zurückmeldet, spiegelt ihre spirituelle Erleuchtung: Eine Andacht hat sie geschrieben, zu Ehren des gerade frisch heiliggesprochenen peruanischen Dominikanermönchs St. Martin de Porres. Jesses!

Was auf dem Papier bedenklich piefig und frömmelnd klingt, nun: "It Ain't Necessarily So": Mary Lou Williams legiert katholische Liturgie mit afroamerikanischer Musiktradition, Eigenkompositionen mit Cover-Verrsionen, Jazz mit Blues und Swing, und kreiert daraus eine avantgardistische Messe. Zu allem Überfluss fällt die auch noch elend unterhaltsam aus und passt eigentlich eher in einen Nachtclub als in eine Kirche. Natürlich reagierten Jazz-Gatekeeper wie Christenpuristen gleichermaßen empört: wunderbar.

Die Aufnahmen, die 1963 während zweier Sessions in New York entstanden, erschienen zunächst ohne Titel auf ihrem eigenen Label Mary Records und bei Folkways Records. "Black Christ Of The Andes" schrieb erst 1975 bei einer Neuauflage eine deutsche Plattenfirma drauf: MPS, kurz für Musik Produktion Schwarzwald, aus dem beschaulichen Villingen.

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